FN Familienserie

„Ein Spagat, der nur mit vielen Akteuren zu organisieren ist“

Sie ist sie die neue Gleichstellungsbeauftragte im Neckar-Odenwald-Kreis. Das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ist für sie ein „Herzensanliegen“: Annette Vogel-Hrustic. Sie stand den FN Rede und Antwort.

Von 
Daniela Käflein
Lesedauer: 
Annette Vogel-Hrustic ist die neue Gleichstellungsbeauftragte des Neckar-Odenwald-Kreises und sprach im Interview mit den FN über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.. © Landratsamt Mosbach

Mosbach. Frau Vogel-Hrustic, welches ist für Sie als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte das wichtigste Argument, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht?

Annette Vogel-Hrustic: Mein wichtigstes Argument ist, dass es nicht sein darf, dass Frauen aufgrund ihrer Mutterschaft von bestimmten beruflichen Tätigkeiten, Führungspositionen und Karriereschritten ausgeschlossen sind oder sich zwischen Beruf und Familie entscheiden müssen. Für unsere Gesellschaft sind Kinder die Zukunft, aber sie kann auch nicht auf die Kompetenzen von Frauen in der Arbeitswelt verzichten. Daher sind Maßnahmen für eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie unerlässlich.

Was hat sich in diesem Bereich in den letzten 30 Jahren entwickelt?

Vogel-Hrustic: Die Zahl der erwerbstätigen Mütter steigt stetig und liegt mittlerweile bei etwa 75 Prozent. Folgende Entwicklungen sind hier zu nennen: der Ausbau von Ganztagesbetreuungsangeboten an Kitas und Schulen, allerdings noch nicht flächendeckend, der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr seit 2013. Trotzdem gibt es häufig lange Wartezeiten auf einen geeigneten Platz. Auf der anderen Seite sind mehr Arbeitsstellen in Teilzeit möglich. Aber Achtung aufgrund der Teilzeitfalle!!! Hier gibt es die Gefahr von Altersarmut.

Wo liegt Ihrer Ansicht nach für Unternehmen die Herausforderung beim Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“?

Vogel-Hrustic: Die größte Herausforderung für viele Unternehmen in der heutigen Zeit ist der Fachkräftemangel. Dadurch werden die Unternehmen mehr und mehr gefordert sein, Arbeitsplätze attraktiver zu machen. Und da sind Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine gute Möglichkeit.

Reformen der Arbeitsmarkt-, Steuer-, Bildungs- und Betreuungspolitik haben für eine widersprüchliche Übergangssituation bezüglich der „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ gesorgt. Was raten Sie jungen Frauen oder Eltern?

Vogel-Hrustic: Hier gibt es leider kein Pauschalrezept. In jeder Familie ist die Situation anders und hängt sowohl von der jeweiligen Arbeits- und Familiensituation, der Zahl und dem Alter der Kinder und den Kinderbetreuungsangeboten vor Ort ab. Danach sollten Familien jeweils ein individuelles funktionsfähiges Konzept entwickeln, das auf die eigene Situation angepasst ist, die Arbeitszeitmodelle und Angebote der Arbeitgeber mit einbezieht und auch Ferienzeiten berücksichtigt.

Häufig wird das Konzept der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Praxis immer wieder als „unrealistisch“ bezeichnet. Wie sehen Sie das?

Vogel-Hrustic: Wenn beide Partner berufstätig sind oder besonders für Alleinerziehende ist es meistens immer noch ein Spagat, Beruf und Familie gut miteinander zu vereinbaren. Allein mit einer guten Kinderbetreuung ist es noch nicht getan, es bleibt auch noch die Sorgearbeit zu erledigen, zusätzlich zur Berufstätigkeit. Und die liegt nach wie vor hauptsächlich bei den Frauen, da meist immer noch die Väter die Hauptverdiener sind. Viele Frauen arbeiten deshalb in Teilzeit oder stecken in einer Doppelbelastung. Aber die Zahl der Väter, die sich mehr Zeit für die Familie wünschen und bereit sind, sich mehr in die Sorgearbeit mit einzubringen, steigt kontinuierlich. Konzepte der Familienarbeitszeit, in denen Väter ihre Arbeitszeit etwas verringern und Frauen dafür ihre Arbeitszeit ausdehnen, so dass beide beispielsweise mit 80 bis 90 Prozent arbeiten, gibt es bereits und wären hier eine gute und realisierbare Lösung. Haupthindernis für viele Väter ist immer noch die Angst vor finanziellen Einbußen und schlechteren Aufstiegschancen, wenn sie ihre Arbeitszeit reduzieren. Hier ist natürlich in erster Linie die Politik gefragt, die rechtlichen Rahmenbedingungen und Anreize, zum Beispiel durch Lohnzuschüsse, zu schaffen.

Es braucht zudem die Bereitschaft, in den Unternehmen.

Mehr als die Hälfte der Hochschulabsolventen sind Frauen. Trotzdem ist ihr Anteil an Führungspositionen gering. Wie könnte man das Ihrer Ansicht nach ändern?

Vogel-Hrustic: Zunächst muss es für Frauen – insbesondere für Frauen in Familienverantwortung – bessere Zugänge zu Führungspositionen geben. Maßnahmen können hier beispielsweise die Ermöglichung von Führungspositionen in Teilzeit, betriebliche Gleichstellungsbeauftragte, betriebsinterne Zielsetzungen und Selbstverpflichtungen durch Chancengleichheitspläne und –berichte, Qualifizierungs-, Coaching- und Mentoringprogramme und betriebliche Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein. Frauen schrecken aber trotz der vorhandenen Kompetenzen davor zurück, in Führungspositionen zu gehen.

Welche Rückmeldungen bekommen Sie von jungen Frauen in Sachen „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“?

Vogel-Hrustic: Meistens höre ich, dass es ein Spagat ist, der oft schwierig und nur mit vielen Akteuren zu organisieren ist. Berufstätige Mütter befinden sich häufig in einer Doppelbelastung, da sie zusätzlich zur eigenen Berufstätigkeit auch noch überwiegend die Familienarbeit leisten müssen. Dazu beschreiben viele Frauen einen innerer Konflikt, da sie aufgrund ihrer Mutterschaft das Gefühl haben, keine vollwertige Arbeitskraft zu sein und umgekehrt ein schlechtes Gewissen mit sich rumtragen, dass sie aufgrund ihrer Berufstätigkeit zu wenig für ihre Kinder da sind. Insbesondere in der Pandemiezeit hat sich die Doppelbelastung und dieser innere Konflikt für viele berufstätige Frauen noch verstärkt und nicht selten zu Überlastung geführt. Auch mangelnde Ganztagesangebote und sehr lange Wartezeiten bei der Kinderbetreuung werden häufig genannt. Als positiv wird bewertet, dass es seit der Pandemie eher möglich ist, von zuhause aus zu arbeiten.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Buchen

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten