Natur - Das Mitnehmen auch von angefahrenem Wild kann bereits Straftatbestand der Jagdwilderei erfüllen / Jungvögel und Nachwuchs der Wildtiere nicht anfassen

Vorsicht bei verletzten und kranken Tieren

Die Liebe zu Tieren hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Bei Wildtieren solle man Vorsicht walten lassen,  wenn sie krank oder verletzt sind.

Von 
Diana Seufert
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Das kleine Rehkitz wartet auf seine Mutter. Scheinbar hilflose Jungtiere oder auch verletzte Tiere sollte man nicht einfach mitnehmen, sondern einen Jagdexperten informieren. © Sabine Richter

Main-Tauber-Kreis. Tiere sind in unserer Gesellschaft nicht mehr nur eine Sache, sondern als Mitgeschöpfe der Natur zu achten. Und in Notsituationen sollte man ihnen auch helfen. „Bei Tieren in freier Wildbahn ist aber Vorsicht geboten“, betont Winfried Müller. Der Jäger aus Königshofen war Ausbilder für Jungjägerlehrgänge und als Prüfer für Jagd- und Naturschutzrecht aktiv. Er berichtet von einer missglückten „Hilfeleistung“, die ins Auge hätte gehen können.

Auf der B 290 zwischen Unterbalbach und Königshofen ereignete sich kürzlich ein zunächst glimpflich verlaufenen Wildunfall. Ein Reh sprang in das Auto einer jungen Frau. Am Auto entstand Blechschaden; das Reh lag schwer verletzt, aber lebend, auf der Straße. Eine nachfolgende Pkw-Lenkerin sah das Reh und hielt an, um das Tier in eine Decke zu wickeln, in ihren Kofferraum zu laden, um es – so vermutet Müller – zu einem Tierarzt zu fahren. Doch schon wenige Sekunden nach dem Anfahren sprang das Tier in seiner Todesangst vor der helfenden Fahrerin – dabei alle Kräfte mobilisierend – aus dem Kofferraum Richtung Windschutzscheibe, um so ins Freie zu gelangen. Die Frontscheibe wurde dabei schwer beschädigt. „Nur durch unglaubliches Glück behielt die Reh-Retterin die Kontrolle über ihr Fahrzeug und konnte  am Straßenrand anhalten“, berichtet Müller weiter. Der herbeigerufene Jäger habe das Reh sodann fachgerecht von seinem Leiden erlöst.

Müller gibt zu Bedenken, dass die Frau bei der „sicherlich gut gemeinten Rettungsaktion“ nicht nur sich, sondern auch andere in Gefahr gebracht hat. „Nicht auszudenken, wenn die Fahrerin die Kontrolle über ihr Auto verloren hätte und in den starken Gegenverkehr geraten wäre. Eine Massenkarambolage mit allerschlimmsten Folgen für Leben und Gesundheit der betroffenen Personen und große materielle Schäden hätten das Ergebnis dieser Rettungsaktion sein können“.

Und: „Die Aktion war bereits eine Straftat, nämlich Jagdwilderei.“ Grundsätzlich gilt: Alle Tiere, die dem Jagdrecht unterliegen – gleichgültig ob tot oder lebend – dürfen ausnahmslos nur von dem für den Fundort zuständigem Jagdausübungsberechtigtem, also dem Jäger, mitgenommen werden.

Fast 700 Wildunfälle 2020

Gut beraten und auf der sicheren Seite sei derjenige, der die Polizei informiert. Rund 690 Mal wurden die Ordnungshüter 2020 im Main-Tauber-Kreis zu einem Wildunfall gerufen. 2019 waren es 824 Fälle, 2018 nur 471 Fälle. Allerdings würden nicht alle Wildunfälle durch die Polizei erfasst, da sich im ländlichen Raum viele Betroffene gleich an den zuständigen Jagdpächter wenden, teilt die Pressestelle der Polizei mit.

„Vor allem bei größeren Tieren wie Reh, Wildschwein, Dachs, Fuchs, aber auch Wildgänsen, ist immer die Polizei die erste Adresse, da diese die Jagdpächter in dem jeweiligen Gebiet kennt und benachrichtigt“, sagt Müller, der auch als Landesbeauftragter für das Artenschutzprogramm beim Landesjagdverband aktiv war. Bei Schäden am Auto, verursacht durch Haarwild, braucht der Besitzer grundsätzlich eine Wildunfallbescheinigung, um den Schaden mit seiner Versicherung regulieren zu können. „Diese Bescheinigung wird entweder von der Polizei oder dem Jagdpächter ausgestellt.“ Bei Schäden, die durch zuvor rechtswidriges Handeln bei Personen oder Sachen entstehen, dürfte es aus seiner Sicht große Probleme bei der Schadensregulierung mit der Versicherungsgesellschaft geben.

Wie ist die Gesetzeslage bei Tieren, die nicht dem Jagdrecht unterstehen? Alle Tiere genießen in Deutschland grundsätzlich Schutz – zumindest nach dem Tierschutzrecht. Viele Tiere sind wiederum nach Bundes- oder auch Landesnaturschutzrecht unterschiedlichen Schutzstatus zugeordnet, etwa allgemein, besonders, streng geschützt. „Alle Vögel genießen beispielsweise in Deutschland mindestens den Schutzstatus „besonders geschützt“, so Müller.

Alle Tiere mit Schutzstatus darf man nicht der Natur entnehmen – auch nicht deren Entwicklungsformen, wie Schmetterlingsraupen. Aber es gibt Ausnahmen: Man darf tote oder verletzte Tiere, die „besonders geschützt“ sind – außer denen, die zum Jagd- oder Fischereirecht gehören – sich zwar nicht zueignen, aber sie mitnehmen und den Fund der Naturschutzbehörde melden.

Funde melden

Müller verweist auf das Bundesnaturschutzgesetz. In Paragraph 45, Absatz 4 BNatSchG, ist für tote Tiere zu lesen: "Abweichend von den Besitz- und Vermarktungsverboten ist es vorbehaltlich jagd- und fischereirechtlicher Vorschriften zulässig, tot aufgefundene Tiere…aus der Natur zu entnehmen und an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständige Behörde bestimmte Stelle abzugeben oder, soweit sie nicht zu den „streng geschützten Arten“ gehören, für Zwecke der Forschung und Lehre oder zur Präparation für diese Zwecke zu verwenden."

Zum Mitnehmen von verletzten Tieren, die nicht dem Jagd- oder Fischereirecht unterliegen, heißt es in Absatz 5: "Abweichend (...) ist (...) es ferner zulässig, verletzte, hilflose, oder kranke Tiere aufzunehmen, um sie gesund zu pflegen. Die Tiere sind unverzüglich freizulassen, sobald sie sich selbständig erhalten können. Im Übrigen sind sie an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben. Handelt es sich um Tiere der streng geschützten Arten, so hat der Besitzer die Aufnahme des Tieres der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde zu melden. Diese kann die Herausgabe des aufgenommenen Tieres verlangen.“

Hände weg von der Kinderstube

Aber Müller warnt: „Nicht alle Tiere, die auf den ersten Blick einen verletzten, hilflosen oder kranken Eindruck erwecken, sind dies wirklich.“ Besonders im Frühjahr bis hin zum Frühsommer werde die Natur zu einem Kindergarten für unzählige Tierarten. Da könne man Jungtiere antreffen, die sich niederkauern und keinerlei Fluchtverhalten zeigen oder sich sogar zutraulich der Person nähern. Die Jungtier-Phase beginne bereits in den Monaten Februar/März, wenn die Hasen ihre ersten Jungen setzen, bei den Rehen sei ab Ende April bis Anfang Juni jederzeit mit Rehkitzen zu rechnen, die scheinbar von ihrem Muttertier verlassen und fiepend in einer Wiese stehen. Das sei jedoch überwiegend nicht der Fall. „Die Jungtiere werden von ihren Müttern in der ersten Zeit nach der Geburt nur eins bis zweimal am Tag aufgesucht und mit sehr nahrungsreicher Milch gesäugt. Die übrige Zeit ist das Muttertier zwar in der Nähe, aber so weit entfernt, dass das Lager ihres Nachwuchses durch ihre Anwesenheit für Beutegreifer nicht leicht zu finden ist“, erläutert der Jäger. „Wird ein solches Jungtier mitgenommen, in der Meinung, es bräuchte menschliche Hilfe, bedeutet das in der Regel den Tod für das Tier und es ist gleichzeitig eine Straftat wegen Jagdwilderei. Selbst das Streicheln eines solchen Tieres kann schon dessen Tod bedeuten, da ihm der menschliche Geruch anhaftet und es von der Mutter nicht mehr angenommen wird.“

Auch bei Vögeln ist Rücksicht geboten. Die Jungen einiger Vogelarten, etwa von Eulen, verlassen ab einer fortgeschrittenen körperlichen Entwicklung – noch flugunfähig – ihren Horst und klettern als „Ästlinge“ auf Ästen und Zweigen herum. Diese Jungeulen sind nicht aus dem Nest gefallen, sondern erkunden ihre nächste Umgebung. Die Elternvögel versorgen sie nach wie vor.

Überträger von Krankheiten

Natürlich gebe es auch kranke oder verletzte Wildtiere. „Die Natur kennt aber keine Gefühlsduselei. Hier herrscht der Grundsatz Fressen und gefressen werden.“ Was sich nach menschlichen Verständnis grausam anhöre, gehöre zum Leben und Überleben in der Natur.

Und Müller warnt, dass Tiere auch Überträger zahlreicher Krankheiten auf den Mensch – sogenannte Zoonosen – oder auf deren Haustiere sein können. Zu den Übertragungen komme es häufig, wenn tierliebende Menschen Wildtieren helfen wollen und sich dabei infizieren. Die Tollwut sei in Mitteleuropa glücklicherweise bekämpft. Aber es gebe andere Ansteckungsgefahren, wie den Fuchsbandwurm, die Tularämie, die durch Hasen übertragen wird, oder die Staupe, die von scheinbar zahmen Füchsen auf Hunde übertragen wird. „Hat der Hund keinen ausreichenden Impfschutz, wird er sterben.“ Besonders warnt er vor dem Anfassen tot aufgefundener Wildschweine. Diese könnten an der „Afrikanischen Schweinepest“ gestorben sein.

Eine große Verletzungsgefahr bestehe für Tierretter, wenn man kranke oder verletzte Tiere anpacken oder gar wegtragen will. „Die Angst vor ihrem größten Feind, dem Menschen, lässt selbst schwerstverletzte Tiere ungeahnte Abwehrkräfte entwickeln.“ Lasse sich ein Anfassen nicht vermeiden, so sollte der Retter dicke Handschuhe tragen, sich dem Tier nur von dessen Rückenseite nähern und wenn möglich dem Tier eine Decke über den Kopf legen.

Tierfund-Kataster

Viel Unheil für wildlebende Tiere könnte vermieden werden, wenn man mehr über ihr Vorkommen, ihr Verhalten und ihre Lebensräume wüsste, meint Müller. Das treffe besonders für die Planung von Verkehrswegen oder auch Windkraftanlagen zu. Müller, der Vertreter des Deutschen Jagdverbandes beim Verkehrssicherheitsrat des Bundesamtes für Straßenverkehr war, verweist auf das Tierfundkataster. Mit Hilfe einer in Schleswig-Holstein entwickelten App werden Wildunfallschwerpunkte erfasst. Sie dienen als Grundlage für Verkehrssicherheitsplanungen.

Das System kommt mittlerweile bundesweit zum Einsatz. „Alle Tierfunde werden per Smartphone erfasst und weitergemeldet – nicht nur verunfallte.“ Werde etwa ein totes Wildschwein im Wald gefunden, so könnten Fundort und Tierart in die App eingegeben werden. Die Daten würden sofort an die nächste zuständige Dienststelle weitergeleitet und die entsprechenden Maßnahmen getroffen.

Müller betont: „Falsche Tierliebe – und sei sie noch so gut gemeint – kann für Tier und Mensch unangenehme bis schlimme Folgen haben. Dem mitgenommenen Tier erweist man in aller Regel keinen Gefallen, da die meisten Menschen ihm weder eine artgerechte Ernährung noch den Lebensraum bieten können. Nur Personen, die wirkliche Sach- und Fachkenntnisse zur Aufzucht und Pflege von Wildtieren haben, sollten diese verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen.“

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