Lauda-Königshofen/Konstanz. Die Einzelteile liegen sorgsam auf dem Tisch verteilt. Dr. Giulia Toniato sucht nach passenden Fragmenten am Ellen-Knochen des Mammuts. Sie braucht viel Geduld und ein gutes Auge. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Landesamt für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart hat kein einfaches Puzzle vor sich. Ihr Kollege Dr. Simon Trixl, Referent für Archäozoologie, säubert derweil den schweren Zahn. Die beiden Fachleute aus Tübingen und Konstanz, spezialisiert auf die Tierwelt der Urgeschichte, versuchen akribisch, dem Eiszeitbewohner wieder eine Gestalt zu geben.
Am Bodensee liegen seit kurzem die bei Lauda in Rahmen der SuedLink-Grabungen gefundenen Teile des Mammuts und werden Stück für Stück, Skelettteil für Skelettteil wieder zusammengesetzt. Es ist der erste Fund seiner Art im Norden Baden-Württembergs. Den Stand der Untersuchungen ließen sich das Team von TransnetBW um Johannes Gilhaus, Koordinator der Arbeitsgruppe Archäologie SuedLink, zusammen mit den Fränkischen Nachrichten von den Experten vor Ort erläutern.
Zwölf Kisten mit vielen kleinen Plastiktüten stehen im ersten Stock des Gebäudes mit der osteologischen Vergleichssammlung des LAD. In jedem der Tütchen befinden sich Fragmente von Mammutknochen – fein säuberlich verpackt. Welche anatomischen Teile es genau sind, muss nun bestimmt werden. Dabei achtet Giulia Toniato auf noch so kleine Details. Wie ist die Absplitterung? Gibt es Risse, die durch die Grabung oder bereits während der Sedimentation der Jahrtausende entstanden sind? Anhand unterschiedlicher Verfärbung lässt sich das für die Expertin rasch erkennen. Und immer wieder blickt sie Expertin in den Computer, zieht Vergleichsfotos heran, die ihr die Arbeit erleichtern.
Gefunden wurden bei den SuedLink-Arbeiten bei Lauda Mammutknochen, unter anderem vom Schädel mit Kiefern und Zähnen, dem Schulterblatt, einer Elle, eines Oberschenkelknochens und einiger Rippen. Prachtstücke sind allerdings die Stoßzähne, von denen einer in einer Kiste im Lagerraum des LAD aufbewahrt wird. Er wurde als Block aus der Erde geholt und wartet nun darauf, untersucht zu werden.
Simon Trixl und seine Kollegin haben für die Besucher eine verblüffende Überraschung parat. Das Mammut ist definitiv älter als bisher vermutet. Nicht wie zunächst angenommen vor 12.000 Jahren, zum Ende der letzten Eiszeit, sondern vor mindestens 20.000 Jahren soll der Vierbeiner gelebt haben. Man gehe davon aus, dass es in der Schlussphase der Eiszeit keine Mammuts mehr in der Region gegeben habe, sagt Trixl. Genaueres könnte eine C-14-Untersuchung ergeben, die noch vorgesehen ist. Dabei werden Kohlenstoff-Isotope untersucht und somit das Alter eines Objekts bestimmt. Eine DNA-Analyse sei dagegen vorerst nicht geplant.
„Der Erhalt der Knochen ist gut, die einzelnen Teile sind jedoch relativ fragil, teilweise porös“, erläutert Trixl beim FN-Besuch vor Ort. Einiges sei bei der Bergung zerbrochen. Durch die Wechselwirkung von Temperatur und Feuchtigkeit während und nach der Ausgrabung sei es zu Brüchen gekommen. Das müsse nun konsolidiert werden, so der Experte.
Ein erster Schritt ist dabei, alles zu reinigen und passende Stücke zu einer größeren Einheit zusammenzufügen und teilweise zu verkleben. Dazu wird ein Klebemittel genutzt, die bei Bedarf auch wieder lösbar sein müssen. Zudem dürfe der Kleber bei chemischen Untersuchungen das Ergebnis nicht verfälschen.
Keine leichte Aufgabe für die beiden Mitarbeitenden des Denkmalamts, die anhaftenden Sedimenten und Erde mit Zahnbürste und Zahnarztbesteck zu Leibe rücken. Anschließend werde alles mit Fotos dokumentiert und in die digitale Datenbank eingepflegt, um die Ergebnisse letztlich auszuwerten. Giulia Toniato geht davon aus, dass anhand der Fragmente aber kein kompletter Knochen rekonstruiert werden kann.
Wichtig sei zudem das Vermessen der Funde. Trixl setzt eine handelsübliche Schieblehre am Backenzahn an und liest die Größe von 15,5 Zentimetern ab. „Solche Knochen- und Zahnmaße sagen uns viel darüber aus, wie groß die Tiere unter Umständen waren.“ Der gefundene Zahn sei schon „ziemlich abgekaut“, verweist er auf die abgenutzten Lamellen.
Interessant ist für die Wissenschaftler zudem der Verschlussgrad einer Wachstumsfuge. Damit lässt sich das individuelle Alter bestimmen. Der Archäozoologe geht von einem Jungtier unter 30 Jahren aus, das noch nicht ausgewachsen war, aber wohl schon die stattliche Größe von rund drei Metern hatte. Über die Todesursache wollte er allerdings nicht spekulieren.
Die Frage, welche Skelettteile überhaupt gefunden worden seien, führe unweigerlich zur Überlegung, warum sich das Wollhaarmammut nach seinem Tod an dieser Stelle so gut erhalten habe. „Das kommt eigentlich sehr, sehr selten vor“, betont Dr. Trixl. Weil man aber keine Werkzeuge in der Umgebung gefunden hat und bislang auch keine Zerlegungsspuren an den Knochen beobachtet wurden, geht der Experte von einem natürlichen Tod und keiner Jagd durch Urzeitmenschen aus.
Und was passiert mit dem Mammutzahn, der im Erdblock geborgen wurde? Der Fachreferent beim LAD erklärt, dass dieses Knochenstück zeitnah durch externe Präparatoren restauriert werden soll. Dann solle es auch ausgestellt werden und nicht in den Magazinen des Amts oder von Museen verschwinden. Ob das Mammut zurück in den Main-Tauber-Kreis kommt? Für Trixl ist das aktuell kein Thema. „Jetzt müssen die Kolleginnen und Kollegen erst mal ihre Arbeit machen und das Puzzle zusammenfügen.“ Die Erstuntersuchungen sollten bis Ende des Jahres abgeschlossen sein, ist er überzeugt. Tiefergehende Analysen, etwa um die Ernährungsweise zu rekonstruieren, könnten folgen.
Der Fachmann kann sich aber auch eine Präsentation über das Mammut vorstellen. Und weil das Landesamt immer auch 3D-Scans durchführt, die man zur Verfügung stellen würde, könnte zumindest ein Duplikat den Weg in den Norden von Baden-Württemberg und vielleicht nach Lauda-Königshofen finden.
Trixl und Toniato sitzen noch einige Wochen vor der Sisyphos-Arbeit, die in den neun Kisten schlummert. Aber das tun sie mit wissenschaftlicher Begeisterung: „Es ist ein sensationeller Fund, den man nicht jeden Tag findet.“
Archäozoologie
- Für die Archäozoologen erzählen tierische Überreste viel über die Geschichte.
- Archäozoologen beschäftigen sich mit den widerstandsfähigen Überresten von Tieren, die bei archäologischen Ausgrabungen zu Tage befördert werden. Dabei handelt es sich vornehmlich um Zähne, Geweihe oder auch Schalen von Schnecken und Muscheln.
- Schwierig ist dabei die zoologische Bearbeitung dieser gefundenen Fragmente. Den Experten dienen als Hilfestellung Sammlungen mit Skeletten heute lebender Tiere.
- Über die Fundstücke können Größe, Wachstum und auch das individuelle Alter des jeweiligen Tieres ermittelt werden.
- Wenn sich an den Knochen Spuren menschlicher Tätigkeiten finden, etwa durch Hack- und Schnittspuren, kann man Hinweise auf die Art des Todes des Tieres erhalten.
- Solche Untersuchungen ermöglichen den Forschenden Einblicke in die Entwicklung und Veränderungen d er menschlichen Wirtschaftsweise. dib
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