Prozess am Landgericht Mosbach

Lauda-Königshofen: Wie eine Verurteilung für Freudentränen sorgt

Wurde eine feuchtfröhliche Hausparty in Lauda zum Tatort einer Vergewaltigung? Über diese Frage waren sich die Prozessparteien bis zuletzt uneinig. Das Gericht wählt einen Mittelweg

Von 
Simon Retzbach
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Eine feuchtfröhliche Hausparty in Lauda endete in einem Gerichtsprozess. Ein 32-Jähriger wurde unter anderem wegen eines sexuellen Übergriffs verurteilt. © dpa

Lauda-Königshofen. Knappe vier Jahre Haft oder Freispruch – die Uneinigkeit zwischen Anklage und Verteidigung wurde angesichts der Forderungen in den Plädoyers allzu deutlich. Denn auch am zweiten Verhandlungstag gelang es nicht wirklich, Klarheit bezüglich einer möglichen Vergewaltigung auf einer Hausparty zu bringen.

Zwei Polizeibeamte, die an besagtem Januarabend 2023 vor Ort waren, hatten ebenso mit Erinnerungslücken zu kämpfen wie die Partygäste selbst. Eine „heftige Party“ beschrieb ein Polizist, der vermeintlich Geschädigten sei es „sichtlich nicht gut gegangen“. „Sie hat sich nicht wirklich an eine Vergewaltigung erinnert“, erzählte jedoch eine andere Polizistin, die an jenem Abend mit der jungen Frau gesprochen hatte. Einen Strafantrag wegen sexueller Belästigung gab es zunächst nur gegen den Hausherrn, der sich nach eigener Darstellung um die Frau gekümmert haben soll. Er belastete wiederum den Angeklagten G. und beschuldigte ihn der Vergewaltigung. Der Strafantrag gegen den Hausherrn wurde nicht weiter verfolgt, während sich G. nun vor Gericht neben der Vergewaltigung auch wegen Schlägen gegen den Hausherrn verantworten musste.

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Für Erste Staatsanwältin Jana Wolf-Mittmann war die Sache jedoch klar: Der Angeklagte ist der Vergewaltigung schuldig. Nachdem die Geschädigte an dem Abend viel getrunken habe („Alkohol ist kein guter Begleiter“), sei es ihr immer schlechter gegangen. In diesem Zustand habe der Angeklagte sie vor Zeugen vergewaltigt.

Wolf-Mittmann stützte sich hierbei vor allem auf die Aussage des Hausherrn, der als einziger nicht stark betrunken gewesen sei und somit die „Puzzlestücke“ der anderen Zeugen ergänze. Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Geschädigten sah sie nicht: „Es ging ihr nicht darum, jemandem eins auszuwischen. Sie hatte Wahrnehmungen der Tat“.

Durch fehlendes Mitgefühl ein „besonders schwerer Fall“

Vor allem störte sie das Verhalten des Angeklagten G. nach der Tat. „Er hat kein Mitgefühl und überlasst die Drecksarbeit anderen. Die sollen sich um seine Freundin kümmern, während er sich im Wohnzimmer einen Drink macht“, führte sie aus. Die Tat habe die Geschädigte deutlich beeinflusst, diese gehe seitdem nicht mehr feiern wie früher. „Es liegt daher ein besonders schwerer Fall vor“, so Wolf-Mittmann, die auch die Körperverletzungen und die Falschaussage des Angeklagten zum Nachteil des Hausherrn bestätigt sah. Drei Jahre und zehn Monate Haft hielt sie insgesamt für angemessen.

Die Verteidigung widersprach dem vehement. „Von den Vorwürfen gegen meinen Mandanten bleibt wenig bis nichts“, befand Dr. Michael Traub. Er zählte etliche Widersprüche im Verhalten und den Aussagen der vermeintlich Geschädigten („In ihrer Aussage passt gar nichts zusammen“) sowie dem Hausherrn („Er hat ein Motiv für eine Falschaussage: den Verdacht von sich ablenken“) auf.

Die Geschehnisse im Schlafzimmer seien deshalb keine Vergewaltigung, weil der Angeklagte – wie schon zuvor im Badezimmer – von einvernehmlichem Geschlechtsverkehr ausging. Bleibe höchstens noch die Körperverletzung, hier sei die Beweislage jedoch ebenfalls „dünn“.

Verteidiger sieht grundsätzliches Problem und schlechte Ermittlungen

Das Schlusswort hatte Verteidiger Niklas Baudach. Er nutzte dieses, um ein leidenschaftliches Plädoyer zu halten. „Ich habe heute Nacht wirklich schlecht geschlafen“, gab er persönliche und emotionale Einblicke. Man wolle hier auf „wackliger Basis“ einen Mann verurteilen, obwohl man „nie erfahren wird, was an dem Abend passiert ist“.

Dann wurde er grundsätzlich: „Wir sind dazu übergegangen, heute mit zu viel Glauben das auszugleichen, wo früher zu wenig geglaubt wurde.“ Das Gericht habe das Verhalten seines Mandanten „nicht moralisch, sondern rechtlich“ zu beurteilen. Das von der Anklage kritisierte Verhalten des Angeklagten nach der Tat passe zur bisherigen Beziehung der beiden.

Auch an den Ermittlungen lässt Baudach kein gutes Haar. „Im Rahmen welcher Ermittlungen wurde der Hausherr als Tatverdächtiger ausgeschlossen?“, fragte er sich. Die auditive Wahrnehmungsstörung, weshalb die Geschädigte offiziell als lernbehindert gilt, wurde dem Rechtsanwalt im Prozess zu wenig gewürdigt. Seinen Antrag, ein aussagepsychologisches Gutachten einholen zu lassen, lehnte die Kammer zuvor bereits ab. Der Hausherr kam im Plädoyer ebenfalls nicht gut weg: „Er war nicht der Retter in der Not, sonst hätte er gleich die Polizei gerufen.“ Diese sei jedoch wegen der Körperverletzung erst Stunden nach der vermeintlichen Sexualstraftat gerufen worden. „Wir können objektive Umstände nicht einfach beiseite wischen.“ Eine Vergewaltigung anzunehmen sei „sowas von abwegig“. Für ihn war daher klar: „Auf rechtlicher Basis ist nur ein Freispruch möglich.“

Mit dem Urteil setzt sich das Gericht zwischen die Stühle

Freispruch oder eine mehrjährige Haft? Die 8. Große Strafkammer unter Vorsitz von Michael Haas setzte sich gewissermaßen zwischen die Stühle. Ein Jahr und zehn Monate Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, verhängte die Kammer als Strafmaß. Verurteilt wurde der 32-Jährige letztlich wegen zweifacher Körperverletzung und falscher Verdächtigung (jeweils gegen den Hausherrn) sowie einem „sexuellen Übergriff“.

Dieser Straftatbestand wurde erst 2016 eingeführt und deckt Taten ab, die – grob vereinfacht – vom Schweregrad her zwischen einer sexuellen Belästigung und einer Vergewaltigung liegen. Letztere sah das Gericht nicht gegeben. „Es hat zuvor einvernehmliche Handlungen gegeben, bevor es im Zustand erheblicher Alkoholisierung für kurze Zeit zu nicht einvernehmlichen Handlungen kam“, so das Gericht in seiner Begründung. Der Zustand der Frau im Schlafzimmer sei zudem nicht genau bekannt. Dennoch: „Es ist gefährlich, sich als Frau zu betrinken und in Gesellschaft zu begeben. Das wurde hier sehr stark ausgenutzt.“

Auch wenn er letztlich wegen einer Sexualstraftat verurteilt wurde: Der Umstand, dass er nicht weiter in Haft bleiben muss, ließ beim Angeklagten und seinen Angehörigen die Freudentränen kullern. Er verließ das Landgericht Mosbach nach neun Monaten Untersuchungshaft noch am selben Tag als freier Mann. Die Anklage kündigte an, auf Rechtsmittel zu verzichten. Seitens der Verteidigung ist diese Frage noch offen; sollte sie ebenfalls verzichten, wird das Urteil rechtskräftig.

Redaktion

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