Unikate

Ist „Kunst am Bau“ noch zeitgemäß?

Mosaike und Sgraffiti sind bescheidene Kulturerben und verkörpern ganz den Geist ihrer Entstehungszeit

Von 
Bernhard Geisler
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Königshofen. Unter Kunst am Bau wird eine Verpflichtung insbesondere des Staates als Bauherrn verstanden, aus seinem baukulturellen Anspruch heraus einen gewissen Anteil – meist zwischen 0,5 und 1,5 Prozent – der Baukosten öffentlicher Bauten für Kunstwerke zu verwenden. Diese Verpflichtung ist beim Bund und den Ländern entsprechend geregelt. Auf kommunaler Ebene gilt eher das Prinzip Freiwilligkeit. Dennoch haben manche Landkreise und Kommunen im Rahmen ihrer Möglichkeiten diese „Selbstverpflichtung“ übernommen. Kunst am Bau ist in der Regel dauerhaft fest innen oder außen mit dem Bauwerk verbunden. Ausnahmsweise kann sie sich auch im öffentlichen Raum im Umfeld des betreffenden Bauwerks befinden. Es besteht so eine gewisse Schnittmenge zur sogenannten Kunst im öffentlichen Raum.

Ihre „Wurzeln“ hat die Kunst am Bau in der Weimarer Republik, verankert in der Reichsverfassung von 1919: „Kunst, Wissenschaft und Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil.“ Hintergrund war, die finanzielle Not vieler Künstler durch Auftragsarbeiter zu lindern – Stichwort: „brotlose Kunst“.

Empfehlung verabschiedet

Nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedete der Bundestag eine Empfehlung für Bauten des Bundes: „Um die bildende Kunst zu fördern, wird die Bundesregierung ersucht, bei allen Bauaufträgen (Neu- und Umbauten), soweit Charakter und Rahmen des Vorhabens dies rechtfertigen, grundsätzlich einen Betrag von mindestens einem Prozent der Bauauftragssumme für Werke bildender Künstler vorzusehen.“ Bei den oft vergrößerten Bauvolumina der 1960-er Jahre gewann die Regelung unter wirtschaftlichem Aspekt mehr Relevanz. Es drängten auch neue Künstlergenerationen in dieses lukrative Arbeitsfeld. Ihren bislang letzten „Boom“ erlebte die Kunst am Bau in Berlin seit den 1990er Jahren.

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Die Kunst am Bau sah sich wegen der Beschränkung auf ortsansässige Künstler immer wieder dem Vorwurf des Provinzialismus ausgesetzt. Im Ergebnis blieb sie häufig unbeachtet und erhielt nicht die Bedeutung, die ihr an sich hätte zukommen können. Manches Werk ist deshalb inzwischen auch in die Jahre gekommen.

Wenige Linien

Großformatige, mit wenigen Linien in den Putz gekratzte Bilder – die sogenannten Sgraffiti – waren in den Nachkriegsjahren besonders beliebt. Noch immer zieren sie Fassaden der 1950er- und 1960er-Jahre. Mal lebhaft geschwungen, mal streng geometrisch, oft kontrastreich. Mit ihrer reliefartigen Struktur beleben Sgraffiti die Oberflächen der Wände und verleihen ihnen Tiefe. Sgraffiti entstehen, indem verschiedenfarbige Putzschichten auf einer Wandfläche übereinander aufgetragen werden. Mit speziellen Eisenwerkzeugen, Nägeln oder Schlingen kratzt man sie im noch feuchten Zustand in unterschiedlicher Tiefe wieder ab, sodass die jeweils darunter liegenden Farbebenen zum Vorschein kommen. Wie bei der Freskomalerei werden die Sgraffiti trotz ihrer einfachen Motive vorher genau entworfen, weil sie rasch in den noch feuchten Putz gearbeitet werden müssen. Diese Technik lässt sie wie fragile Zeichnungen wirken, macht sie aber gleichzeitig robust und extrem witterungsbeständig. In der Herstellung waren sie preisgünstiger, als glänzende Keramikmosaiken und Reliefs.

An markanten Gebäuden

Insbesondere lokal ansässige Künstler verewigten sich mit Sgraffito-Bildern und Mosaiken an den Wänden markanter Gebäude. So auch in dieser Gegend und 1962 beim Bau des neuen Schulkomplexes am Fuße des Turmbergs in Königshofen. Hier schufen der damals in Boxberg ansässige Künstler Sepp Biehler (Großflächenmosaik Pferd, Vogel, Fisch an der Südfassade der Schulturnhalle) und der in Tauberbischofsheim wohnhafte Hubert (Hub) Meyer (Sgraffito Ende des Bauernkriegs an der Nordseite des Schulgebäudes) für die Region bedeutende Kunstwerke. Während Meyer für 1750 Mark alle Arbeiten erledigte, musste die Stadt Königshofen für den Biehler-Entwurf 2500 Mark berappen und für das Mosaik selbst noch 2000 Mark an die Firma Schieblon aus Würzburg aufbringen. Bei einem Gesamtbauvolumen von 437 000 Mark lag man damit bei etwa 1,43 Prozent für die Kunst am Bau.

Den oft gleichförmig aussehenden Bauwerken verhalfen die Kunstwerke zu ein wenig Individualität. Als offenbar verkannte Zeugnisse einer wichtigen Episode unserer Kulturgeschichte verschwinden seit einiger Zeit die in den Putz gekratzten Bilder und sonstige Kunstwerke mehr und mehr von den Fassaden. Denn oft, wie die Gebäude selbst, nicht unter Denkmalschutz stehend, werden sie mit der Architektur abgerissen oder unter dicken Wärmedämmungen oder banalem Verputz versteckt. Nicht wenige unsensibel renovierte Gebäude aus der Nachkriegsära wurden ohne die lebensfrohen Figuren zu gesichtslosen Baukörpern. So auch die Südseite der Turnhalle der Schule in Königshofen, bei der das Biehler-Mosaik im Rahmen einer Renovierung unter einer dicken Putzschicht verschwand. Das Schicksal des Untergangs schwebt wie das berühmte Damoklesschwert auch über dem Bauernkriegssgraffito von Hub Meyer. Nur wegen der Unterbringung von Flüchtlingen aus dem Kriegsgebiet der Ukraine wurde der beschlossene Abriss des alten Schulhauses verschoben. Mehr aber auch nicht.

Kunst am Bau wie Mosaike oder Sgraffiti sind bescheidene Kulturerben. Jedes von ihnen ist ein Unikat und hat dadurch einen hohen Wiedererkennungswert. Sie verkörpern ganz den Geist ihrer Entstehungszeit und haben viel über die Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen zu erzählen.

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