Königshofen. Knapp 60 Zuhörer füllten den Saal im „Kulturschock“. Sie brauchten ihr Kommen nicht bereuen, denn Lucius Teidelbaum ( der Aliasname ist zu seinem persönlichen Schutz notwendig) bot ein 80-minütiges Referat über „die AfD und ihre Netzwerke in die (extreme) Rechte“. Und er kam zum Fazit, dass die Partei eine regelrechte „Staubsaugerfunktion“ für die extreme Rechte habe – entgegen allen diesbezüglichen Aussagen würden sich solche Leute in allen Ebenen und unter den Mitarbeitern von Abgeordneten und Fraktionen tummeln.
Begrüßt wurden die Zuhörer von Stefan Heidrich vom Netzwerk gegen Rechts Main-Tauber, der dabei auch auf die neue Infobroschüre „Organisierte rechte Strukturen zwischen Tauber, Kocher & Neckar“ hinwies, die von der Initiative herausgegeben wurde.
Was unter der „extremen Rechten“ zu verstehen sei, stellte Lucius Teidelbaum anhand „zweier Ebenen“ dar: „Es ist eine Einstellungssache, kombiniert mit einem entsprechenden Weltbild. Diese Menschen treten in die AfD und ihr nahestehende Organsiationen ein.“ Und dann gebe es noch Mitmacher mit einer regelrecht „menschenfeindlichen Einstellung“: Antisemiten, Rassisten, Anti-Homosexuelle und Nationalisten, die sich für Deutsche halten und eine autoritäre Staatsführung wollten.
„Und ,deutsch’ zu sein sein, das heißt, weiß zu sein. Selbst Menschen, deren Eltern schon hier geboren und aufgewachsen sind und Deutsch als Muttersprache sprechen, zählen für diese Leute nicht zu den Deutschen.“ Dabei war Deutschland immer „inhomogen“, wie Teidelbaum darlegte.
Die „Vielgesichtigkeit“
Viel Zeit widmete der Referent der „Vielgesichtigkeit“ der AfD. Und da stelle sich die Frage, „was sie eigentlich ist“. Klar sei, dass die AfD alle nationalen und rechtsextremen Parteien „überflügelt“ habe und über Mitglieder verfüge, die vorher in diesen Parteien und Organisationen tätig waren. Aber: „Nicht alle sind Neonazis, gleichwohl gibt es einzelne, die in dieser Partei aktiv sind.“ Und dazu zähle auch ein Mitarbeiter der hiesigen AfD-Landtagsabgeordneten.
Deshalb könne man die AfD als „Sammelbecken unterschiedlicher Strömungen“ bezeichnen, die zudem „konträr zueinander stehen“. Die Bandbreite – auch sichtbar an der AfD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg – reiche von „Israelfreunden bis hin zu Anhängern der Theorie der jüdischen Weltverschwörung, von evangelikalen Christen bis hin zu blanken Antisemiten und Verschwörungstheoretikern, etwa in Sachen Klimawandel“.
Eingehend auf die „neue Rechte“ verwies Teidelbaum die „Kontinuität der Denkweise der Anti-Demokraten der Weimarer Republik“, die sich unter dem Motto „Konservative Revolution“ sammelten – und teilweise am Nazi-System beteiligt waren. Heute zeige sich die „konservative Revolution“ etwa in der Wochenzeitung „Junge Freiheit“, die sich als Sprachrohr der realpolitischen Rechten verstehe.
Dazu käme die „Bibliothek des Konservativismus“ und die AfD-nahe Erasmus-Stiftung.Das sei zweifellos ein „antidemokratisches, aber eben kein Nazi-Blatt“, betonte Teidelbaum. Allerdings betonten alle diese Stimmführer, dass sie sich als Demokraten verstünden, doch „Demokratie ist vielschichtig, aber das wollen sie eben gerade nicht“.
Zur „Radikalen neuen Rechten“ gehöre das „Institut für Staatspolitik“, und „diese Leute wollen einen anderen Staat“, wie im Magazin „Sezession“ nachzulesen sei. Das alles zeige, „welche Strömungen bei der AfD andocken, obwohl ihre Vorstellungen nicht deckungsgleich mit dem aktuellen Parteiprogramm sind“. Kein Wunder, wenn man sich etwa Björn Höcke ansehe, der bereits vor der Gründung der AfD bei rechten Demos mitmarschierte und ein radikal-völkisches Weltbild propagiere. Zur extremen Rechten gehörten viele Initiativen und Organisationen, und auffällig sei die enge Verzahnung und Nähe zur AfD. Die Mitglieder der „Identitäre Bewegung“ betonen oft, keine Nazis zu sein, dennoch hätten sie ein „klares Feindbild, den Kommunismus, den Islam, aber auch den liberalen Unternehmer George Soros. Zudem pflegen sie den Antisemitismus.“
Vertreter der „Patriotischen Plattform“ trafen sich mit österreichischen Identitären bei einer Demo in Wien. Der Gründer des Netzwerks „Ein Prozent“ sei mittlerweile AfD-Mitglied. Auch versuche man, bei Betriebsratswahlen zu kandidieren, zum Beispiel mit dem „Zentrum Automobil“, in dem ein ehemaliger Rechtsrocker mit Neonazi-Vergangenheit (Oliver Hilburger) aktiv sei.
Auch in Sachen Studentenverbindungen sei die extreme Rechte aktiv und AfD-nah vernetzt – bundesweit bekannt sei etwa der AfD-Kandidat für den Posten des Bundestagsvizepräsidenten, Albrecht Glaser, der diesen Kreisen nahestehe. Mitglieder alter und teilweise langlebiger völkischer Jugendverbände wie etwa der Wiking-Jugend (1994 verboten) oder der HDJ (Heimattreue deutsche Jugend, 2009 verboten) seien heute in der AfD aktiv –als Mitarbeiter der Landtagsfraktion Baden-Württemberg und als Abgeordneter in Brandenburg. „Sie haben keine Scheu vor ihrer Vergangenheit, sie stehen dazu“, sagte Teidelbaum.
Kontakte ins Ausland
Das Studienzentrum Weikersheim streifte Teidelbaum nur kurz, machte aber klar, dass die AfD drauf und dran sei, das SZW zu übernehmen. Interessant sei auch der „Verein für Rechtsstaatlichkeit“, der der AfD Wahlkampfhilfe gewähre. „Es gab ja diese pro-AfD Plakate, die nicht von der AfD waren.“ Auch zahlreiche national-neoliberale oder christliche Netzwerke (Christliche Familie) sowie Initiativen wie etwa Pegida suchten und fanden die Nähe zur AfD. „Auch die Reichsbürger zieht die AfD magnetisch an, ebenso Klimawandel-Skeptiker (Eike)“. Dazu pflege die Partei Kontakte ins Ausland, etwa zur österreichischen FPÖ, der schweizerischen Volkspartei oder der Orban-Partei in Ungarn, außerdem nach Russland und in die Ost-Ukraine.
Kurzum: „Die AfD steckt voller Widersprüche“, was ganz deutlich am Beispiel Alice Weidel werde. Sie lebe in einer lesbischen Beziehung mit einer Partnerin aus Sri Lanka – „das widerspricht dem Weltbild von der deutschen Familie mit Kindern ja eindeutig“. Teidelbaum sieht die AfD als „Staubsauger“ für die extreme Rechte. „Eine extrem rechte Vergangenheit ihrer Mitglieder ist für die Partei kein Problem. Es gab zahlreiche Skandale wegen entsprechend belasteten Mitarbeitern, doch sie blieben ohne Konsequenzen.“
Auch in der anschließenden Diskussion wurde diese Frage mehrfach angesprochen. Einen guten Ratschlag gab der Referent für Diskussionen mit AfD-Mitgliedern. „Mit normalen Mitgliedern kann man noch diskutieren, aber bei Podiums-Veranstaltungen schicken die ihre besten Leute. Die versuchen immer, die Veranstaltung zu übernehmen. Also gut vorbereiten, sonst bestimmen die die Themen.“
Und er warnte vor einer Verharmlosung: „Sie wollen die Macht, und dann werden sie entsprechend handeln. Von der rechtskonservativen Regierung in Österreich wurden Frauenhäusern die Mittel gestrichen und in Sachsen-Anhalt, wo die AfD größte Oppositionspartei ist, wird der Verein ,Miteinander’ der sich für ein Zusammenleben mit Flüchtlingen und Migranten einsetzt, regelrecht angegriffen.“ Und nein, Rechtsextremismus sei kein neues Phänomen in den neuen Ländern, „den gab es auch schon in der DDR“.
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