Liga trifft Politik

Deutliche Kritik an derzeitiger Politik der sozialen Kälte

Liga der Wohlfahrtsverbände mahnt bei ihrem Jahresempfang zu stärkerem gesellschaftlichem Zusammenhalt.

Von 
Jens-Eberhard Jahn
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Bürgermeister Johannes Leibold, Landrat Christoph Schauder, Liga-Vorsitzender Werner Fritz und Gastredner Joachim Rock vom Paritätischen diskutieren diskutierten über Gesundheits- und Sozialpolitik. © Jens-Eberhard Jahn

Main-Tauber-Kreis. Die hiesige Wahlkreisabgeordnete und Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hatte abgesagt. Auch Wolfgang Reinhart (CDU), der seit über 30 Jahren den Main-Tauber-Kreis im Stuttgarter Landtag vertritt, saß nicht im Publikum. Landrat Christoph Schauder (CDU) und die Kreis-Sozialdezernentin Elisabeth Krug hatten in der ersten Reihe Platz genommen und auch zahlreiche Bürgermeister sowie Mitglieder des Kreistags waren der Einladung der „Liga“ nachgekommen. Und natürlich ließen es sich auch ehrenamtlich wie hauptamtlich Aktive der Wohlfahrtsverbände nicht nehmen, sich auf dem nur alle zwei Jahre stattfindenden Empfang miteinander auszutauschen.

Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege im Main-Tauber-Kreis sind die Caritas, der Paritätische, das Deutsche Rote Kreuz und die Diakonie. Mit der „Liga“ haben sie eine Arbeitsplattform gebildet. Sie dient der Koordinierung der Aktivitäten zwischen den Verbänden sowie als Ansprechpartnerin für Kreistag, Gemeinderäte und Verwaltungen, zum Beispiel bei der Sozial- und Jugendhilfeplanung.

Werner Fritz von der Jugendhilfe Creglingen ist Kreisvorstand des Paritätischen und derzeit turnusgemäß Vorsitzender der Liga. In seiner Begrüßungsansprache kritisierte er, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt derzeit nicht hoch im Kurs stehe: „Schwache werden verächtlich gemacht, und es wird uns weisgemacht, dass Migranten und Bürgergeldempfänger an finanziellen Engpässen des Staates Schuld sind“.

„Das Bürgergeld taugt nicht für Einsparungen“

Noch deutlicher wurde der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes des Paritätischen, Joachim Rock, der als Gastredner zunächst auf die Bundespolitik einging: „Die Regierung will eine Sozialstaatskommission bilden, in der nur über die Grundsicherung geredet werden soll, nicht aber über Krankenversicherung und Rente. Und in dieser Kommission sollen Wohlfahrtsverbände und Sozialpartner überhaupt nicht mitreden dürfen“. Dabei schlage das Bürgergeld nur mit vier Prozent des Sozialbudgets zu Buche. Rock betonte: „Das Bürgergeld taugt nicht für Einsparungen“. Denn fast die Hälfte derer, die Ansprüche auf Sozialleistungen haben, nähmen sie gar nicht in Anspruch. Das sei die Wahrheit, nicht ein sogenannter Missbrauch von Leistungen.

Das Sozialrecht müsse entbürokratisiert werden. Der Verbandsvertreter bezog sich auf Johann Hinrich Wichern, einen der bedeutendsten Vertreter der christlichen Soziallehre im 19. Jahrhundert: „Das Geld ist da, nur nicht hier. Wir müssen gesamtgesellschaftlich zu einer neuen Lastenverteilung kommen“. Es sei ungerecht, dass die Einkommen durch die Kosten der Sozialversicherungen belastet würden, nicht aber die Vermögen. Es könne nicht sein, dass Superreichen aufgrund fadenscheiniger Rechtslücken die Erbschaftssteuer erlassen wird.

Wohlfahrtspflege ist atmende Instanz des Sozialstaats

Die freie Wohlfahrtspflege übernehme die Rolle, soziale Sicherheit zu schaffen. Sie sei die „atmende Instanz des Sozialstaats“. Und mit der Klimakrise und den gestiegenen Wohnkosten seien neue Aufgaben auf sie zugekommen. Gleichzeitig sei die soziale Infrastruktur in der Fläche gefährdet. Dies sei ein Grund, weshalb sich Menschen von der Demokratie abwenden. Sozialpolitisch sei die kommunale Ebene die wichtigste Bühne, zeigte sich Rock überzeugt.

In der anschließenden von Fritz moderierten Podiumsdiskussion kamen daher die Kommunalpolitiker Christoph Schauder sowie Johannes Leibold, Bürgermeister von Großrinderfeld, zu Wort. Leibold wünschte sich mehr Geld für die freiwilligen Leistungen der Gemeinden. Schauder beklagte, dass der Landkreis für Kosten der Unterkunft und Heizung der Bürgergeldempfänger mehr bezahle, als er durch die Kreisumlage einnehme. Der Sozialetat umfasse über ein Drittel des Kreishaushalts und das meiste davon seien durch den Bund auferlegte Pflichtaufgaben. Er sagte den Verbänden zu, weiter intensiv mit ihnen zusammenarbeiten zu wollen.

Bei der Erbschaftssteuer bezog er allerdings eine deutlich andere Position als der Paritätische und erklärte: „Wenn ein mittelständischer Unternehmer die Erbschaftssteuer nicht bezahlen kann, dann stirbt der Betrieb“. Rock wies im Gegenzug darauf hin, dass die Steuer ja gestundet werden könne, aber nicht zwingend erlassen werden müsse.

Tägliche Erfahrungen an der Basis

Vertreter der Verbände berichteten anschaulich von ihren täglichen Erfahrungen an der Basis, den Ansprüchen der Bedürftigen sowie dem Personalmangel. Ein Fazit: Soziale Probleme nehme man konkret nur vor Ort wahr. Sie könnten allerdings nur gesamtgesellschaftlich durch einen Politikwechsel gelöst werden.

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