Schulmuseum - Sonderausstellung mit dem Titel "Märchen - Kinder - Schule" im Lohrer "Fischerhaus" wird am Freitag, 17. Mai, eröffnet

Anstand versus Neid und Lüsternheit

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"Das tapfere Schneiderlein" aus Meinholds Märchenbild Nr. 12. In der Ausstellung "Märchen - Kinder - Schule" im Lohrer "Fischerhaus", die am Freitag, 17. Mai, eröffnet wird, ist es als Schulwandbild zu sehen, das um 1904 entstanden ist.

© Kleinfelder

Lohr. Bis weit ins 18. Jahrhundert waren Märchen, vor allem in ländlichen Gegenden, eine übliche Form der Abendunterhaltung, insbesondere für die Erwachsenen. In szenenhafter und verschlüsselter Darstellungsweise wurden menschliche Probleme und Konflikte erzählt. Eine Sonderausstellung im Lohrer "Fischerhaus" vom 17. Mai bis zum 9. Juni befasst sich mit dem Thema "Märchen - Kinder - Schule".

Als 1812 von dem Berliner Verleger Reimer das Buch "Kinder- und Haus-Märchen gesammelt durch die Brüder Grimm" herausgegeben wurde, sollte es eigentlich ein wissenschaftliches Werk sein. Drei Jahre später gaben die Grimms im Vorwort zur zweiten Auflage ihrer Hoffnung Ausdruck, dass "ein eigentliches Erziehungsbuch daraus werde", und sie waren offensichtlich erfolgreich, denn im "Handwörterbuch für den Deutschen Volksschullehrer" aus dem Jahr 1874 heißt es: "Die Märchen sind derjenige Zweig der volksthümlichen Literatur, der bis jetzt in der Volksschule am Meisten gepflegt worden ist. Seit die Gebrüder Grimm dem deutschen Volke seinen Märchenschatz von Neuem erschlossen haben, findet das Märchen die ihm gebührende Vertretung."

Moralischer Anspruch

Aber erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzten sich die Märchen als fester Bestandteil der Lesebücher durch. Das lag vor allem daran, dass immer mehr engagierte Lehrer in den Märchen einen hohen moralischen Anspruch entdeckten, den es für die Erziehung im Sinne der damaligen wilhelminischen Zeit zu nutzen galt.

Welche Erkenntnisse sich aus den Märchen ableiten ließen, wird im "Encyklopädischen Handbuch der Pädagogik" aus dem Jahr 1906 deutlich: "Diebstahl, Betrug, Ungehorsam, Falschheit, Neid, Haß, Habgier, Geiz, Lüsternheit und andere Sünden werden streng geahndet. Zur Pflege der mittelbaren (bürgerlichen) Tugenden wie Fleiß, Ordnungsliebe, Sauberkeit, Höflichkeit und allen anderen Dingen, die man zu Anstand und guter Sitte rechnet, geben die Märchen Veranlassung."

Hinzu kam noch, dass sich auch allgemeine Lebenserfahrungen der Kinder wie Verlust und Tod, Hochzeit und Geburt, Stadt- und Landleben, Handwerk und bäuerliche Arbeit, Armut und Reichtum leicht mit der unterrichtlichen Behandlung von Märchen verbinden ließen.

Ideologische Verformung

In der Folgezeit traten aber auch zusehends weltanschauliche und politische Aspekte in den Vordergrund. Diese Entwicklung fand ihren Höhepunkt im Dritten Reich. Besonders deutlich wird in der Ausstellung die ideologischen Verformung anhand des Schulwandbildes "Dornröschen" aus dem Jahr 1936, auf dem die Spindelverbrennung der Bücherverbrennung gleichgesetzt und die schlafende Prinzessin von einem Prinzen in SA-Uniform mit dem Hitlergruß geweckt wird.

Nach dem Ende des Dritten Reichs wurden die Märchen deshalb als völkisch-braunes Gedankengut aus den Schulen verbannt, erfuhren aber schon in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts eine Renaissance. Erschreckt durch die schlimmen Erfahrungen im Dritten Reich zog sich, gleichsam wie in der Biedermeierzeit des 19. Jahrhunderts, ein Großteil der deutschen Bevölkerung aus der Politik in ein beschauliches, kleinbürgerliches Privatleben zurück. Hier bildeten die Märchen mit ihren einfachen und unpolitischen Inhalten ebenso eine gute Ergänzung wie auch im Schulwesen. Zunehmend wurden die Märchen nun auch vermarktet und als Werbeträger eingesetzt.

Mit dem zusätzlichen Thema "Warum hast Du so ein großes Maul?" - "Rotkäppchen - Märchen und Politsatire" zeigt die Ausstellung, dass Märchen, ähnlich den Fabeln, oft auch dazu verwendet wurden, um zeitgenössische gesellschaftlich-politische Vorgänge zu karikieren. Teilweise stellten sie sogar eine versteckte Form des Widerstandes. Die Ausstellung im Lohrer "Fischerhaus", in Zusammenarbeit des Lohrer Schulmuseums mit dem Lehrstuhl für Systematische Bildungswissenschaft der Universität Würzburg erstellt, ermöglicht dem Besucher anhand von vielen großformatigen Schulwandbildern oder Auszügen aus Fibeln einen guten Überblick über die bekanntesten deutschen Märchen.

Wandlungsfähigkeit

Darüber hinaus ist erkennbar, dass die Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit der Märchen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nahezu grenzenlos war. So wird in der Rückschau die bildliche und textliche Anfälligkeit gegenüber Vereinnahmung, Verflachung und Verfälschung deutlich. Die inzwischen entstandenen Bilderfluten, vor allem zu den Grimm'schen Kinder- und Hausmärchen, sind deshalb nicht nur eindrucksvolle Dokumente der Kunst, sondern auch aufschlussreiche Zeugnisse des jeweiligen Zeitgeistes oder der zeitkritischen Antwort darauf.

Die älteren Besucher werden beim Anblick der großen, farbenkräftigen Bildtafeln mit Szenen der bekanntesten Märchen an die eigene Schulzeit erinnert. Wer möchte, kann auch alte Märchenfilme, wie sie über Jahrzehnte hinweg in den Schulen gezeigt wurden, anschauen oder einen Blick in den "Märchenbrunnen" werfen.

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