Historisches

Kaisermanöver: Als über 100.000 Soldaten in der Region kämpften

Es war ein Event der Superlative: Das Kaisermanöver 1909 bei Krautheim. Das ließ sich selbst der Kaiser nicht entgehen und reiste in die Region.

Von 
Christoph Behr
Lesedauer: 
Kaiser Wilhelm II. in heiterer Unterhaltung mit Manöverbeobachterinnen. Der Kaiser verfolgte das Manöver damals auf der Neunstetter Höhe. © Tellgmann/Sammlung Behr

Krautheim. Bunt Uniformierte, behelmt mit glänzenden Pickelhauben, mischten sich kürzlich unter die zahlreichen Besucher der Jagsttal Wiesen Wanderung. Aus der Zeit gefallen, schienen die historisch Uniformierten, als sie sich auf der Eckbastion von Schloss Krautheim versammelten, um das unter ihnen liegende Tal zu betrachten. Mit historischen Ferngläsern inspizierten sie die heutigen Gewerbeansiedlungen im eng bebauten Jagsttal. Damals waren an dieser Stelle noch Kohl- und Maisfelder, wie ein Blick auf die originalen Manöverkarten zeigte. Je länger man dem routinierten Umgang mit dem historischen Equipment zusah, desto realistischer wurde das Geschehen, das sich vor über einhundert Jahren, genau auf dieser Eckbastion, tatsächlich zutrug.

Denn an der Jagstbrücke zwischen Krautheim und Altkrautheim, der historischen Grenze des Großherzogtums Baden mit dem Königreich Württemberg, erfolgte am 13. September 1909 das erste Gefecht, in dem bis dato größten Militärmanöver im Kaiserreich. An dem sogenannten Kaisermanöver waren zwei vollständige Armeen beteiligt, insgesamt 125.000 Soldaten und 29.100 Pferde. Von diesen Armeen standen sich nun gegnerische Truppenteile an den beiden Jagstufern gegenüber. Für die aus dem Ginsbachtal heranströmenden Württemberger war am Jagstufer ein unfreiwilliger Halt befohlen. Der Manöverplan sah eine teilweise gesprengte Jagstbrücke vor, so dass Zeit für deren Wiederherstellung eingeplant werden musste. Während der zweistündigen Reparaturarbeiten wurde beim Verschießen von Manövermunition nicht gespart. Die mittlerweile von ihren Pferden abgesessenen Olga-Dragoner sprengten nun über die Jagstbrücke, um sich gegen die Verteidiger Krautheims vorzuarbeiten – verfolgt durch die Ferngläser der hohen Militärs auf der Eckbastion von Schloss Krautheim.

Eine Skizze des Manövergeländes 1909. © Sammlung Behr

In diesem Spätsommer 1909 pilgerten die Manöverbummler in Scharen durch das Jagsttal, den Bewegungen der Regimenter ausdauernd folgend. Schon „mit den ersten Frühzügen fuhren sie los oder rückten bereits in Nacht und Nebel aus“, um kein Gefecht zu verpassen, wie die Presse damals festhielt. Sogar ein Militärluftschiff, für das in Schwäbisch Hall eigens eine Zelthalle errichtet worden war, wurde als Aufklärungsballon eingesetzt. Bei den mehrtägigen und immer im September stattfindenden Kaisermanövern herrschte Volkfeststimmung. Wirtschaften verzeichneten Rekordumsätze und für jedermann bestand die Chance einen Blick auf den Kaiser und die geladenen Monarchen des europäischen Adels zu werfen. Unter den internationalen Gästen galten als Hauptattraktion die türkischen Offiziere aus dem Osmanischen Reich, darunter der türkische Kriegsminister.

Kaiser Wilhelm II. war in den Morgenstunden des 13. September mit der Frankenbahn bis Neudenau gereist und dort sogleich in ein bereitstehendes Automobil gestiegen. Das Gefecht bei Krautheim wollte er von der Neunstetter Höhe miterleben. Dort angekommen, wurde er Zeuge, wie die Verteidiger Krautheims, in einem Eisenbahneinschnitt der Jagsttalbahn festsitzend, unter Feuer genommen wurden. Das Königlich Württembergische Dragoner-Regiment „Königin Olga“ hatte die Jagstbrücke bereits überschritten und vollführte jetzt einen Reiterangriff.

Erst kurz zuvor hatte der Beobachter auf dem Schlossturm anreitende Artillerie von Klepsau kommend, entdeckt, die nun aus allen Rohren in Richtung Krautheim feuerte. Diesem Ansturm nicht gewachsen, zogen sich die Verteidiger Krautheims nach zähem Ringen, über die Neunstetter Höhe, in Richtung Taubertal zurück. In den nachfolgenden Tagen lag hier der Schwerpunkt des Manövers, welches in den vergangenen Jahren wiederholt Gegenstand der Berichterstattung der Fränkischen Nachrichten war.

Zum Gruppenfoto mit Amtskette: Krautheims Bürgermeister Andreas Insam mit den Geschichtsvermittlern (von links): Rainer Keilbach, Stephan Klose, Helmut Eickhoff und Christoph Behr. © Klose

Historische Ereignisse wie dieses nicht dem Vergessen preisgeben, dieser Aufgabe hat sich Christoph Behr verschrieben. Als Geschichtsvermittler belebt er die Vergangenheit an Originalschauplätzen mithilfe der historischen Darstellung wieder. Der Unterschied zum Theater: Historische Darsteller vermitteln Fakten, erklären ihre Rolle und suchen den Austausch mit den Interessierten. Originale Ausrüstungsgegenstände und der damaligen Kleidung präzise nachempfundene Monturen bilden – neben der Sachkenntnis – die Basis der historischen Darstellung.

Zu Kaiser Wilhelm II. forschte Behr bereits im Studium der Museumswissenschaften. Im Anschluss zog ihn sein Beruf nach Hohenlohe, wo er während seiner Anstellung bei den Würth Museen auf das Kaisermanöver von 1909 stieß. Seitdem hat er einiges an Wissen zusammengetragen, auch zu Kaiserparaden und Kaisertagen, beispielsweise denen in Konstantinopel im Oktober 1917. Hier traf Wilhelm II. die türkischen Offiziere des Kaisermanövertags in Krautheim wieder. Behrs letzte historische Darstellung in Istanbul, dem früheren Konstantinopel, organisierte er vor diesem Hintergrund. Zusammen mit dem türkischen Darsteller Cem Tanyü reinszenierte er den Besuch des Kaisers am Bauplatz des Hauses der Deutsch-Türkischen Freundschaft „Dostluk Yurdu“. Ziele solcher Veranstaltungen sind, das Verständnis für die gemeinsame Vergangenheit und Gegenwart zu fördern und das Bewusstsein für die Bedeutung von Verständigung und Zusammenarbeit zu stärken.

Dostluk Yurdu – Haus der Freundschaft: Cem Tanyü und Christoph Behr als Geschichtsvermittler in Istanbul. Ziel ist es, ein Verständnis für die gemeinsame Vergangenheit und Gegenwart zu schaffen. © Herrmann

Während der Kaisertage von 1917 reisten viele Deutsche durch Konstantinopel, meist als Soldaten auf dem Weg an die Palästina- oder Mesopotamienfront des Ersten Weltkriegs. Einer von Ihnen war der spätere Krautheimer Bürgermeister und Heimatdichter Rudolf Weber. Als Telegraphist leistete er seinen Militärdienst in dem mit dem Deutschen Kaiserreich verbündeten Osmanischen Reich. Weber kehrte von dieser weit entfernten Front erst im Jahr 1919 nach Krautheim zurück.

Kaiserstein, Kaiserstraße, Kaiserdenkmal – Besuch prägt die Region bis heute

Zum zweiten Mal folgten historische Darsteller Behrs Einladung ins Jagsttal und erneut nahmen die Exkursionen der Geschichtsbegeisterten vom Weinort Klepsau ihren Ausgang. Hier lebt Behr und hier engagiert er sich in den örtlichen Vereinen sowie als Gemeinderat im Ausschuss für Tourismus und Stadtmarketing. Nachdem in 2024 die Zuganreise zum Kaisermanöver mit der historischen Jagsttalbahn „geprobt“ wurde, folgte am Wochenende eine historische Darstellung zum Burgfest in Krautheim.

Unter den Darstellern war auch der aus Tuttlingen angereiste Rainer Keilbach als Vertreter des 4. Reiter-Regiments Königin Olga, einem Traditionsverein der erwähnten Olga-Dragoner. Dieser sagte seine Unterstützung zu, die Olga-Dragoner mitsamt ihren historisch gewandeten Damen für eine nächste Veranstaltung zu entsenden. Zukünftig könnte auch der Tag des offenen Denkmals ein passender Anlass sein. Der findet im nächsten Jahr am 13. September statt und jährt somit exakt den Krautheimer Manövertag. Interessierte, die an einer historischen Darstellung mitwirken möchten, sind willkommen.

Über die szenische Unterstützung einer Veranstaltung hinaus könnte die Episode des Kaisermanövers auch Eingang in ein geplantes Heimatmuseum der Stadt Krautheim finden. Erste Fragestellungen und konzeptionelle Ideen konnten bereits von Helmut Müller und Friedbert Hügel, Vorstände des Kultur- und Heimatvereins Krautheim, zusammen mit Christoph Behr, der seine Erfahrung als Museumskurator einbringt, diskutiert werden.

Ebenso ist die Aufstellung einer Info-Stele auf der Neunstetter Höhe denkbar. Immerhin ziehen der Kaiserstein an der B290, die noch heute Kaiserstraße genannt wird und das Kaiserdenkmal bei Lauda-Königshofen, bis heute Touristen an. Beide Denkmäler erinnern an die Schauplätze des Manövers, seine Teilnehmer und nicht zuletzt an die Anwesenheit des Kaisers an den Standorten der Monumente. Die Neunstetter Höhe als kaiserlicher Aussichtspunkt könnte ein weiterer Magnet für Geschichtsinteressierte werden und eine direkte Verbindung zur Burg Krautheim sein, der die Radtouristen vom Kocher-Jagst-Radweg auf den Balkon des Jagsttals zieht.

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten