Veranstaltung im derrHof

Igersheim: Lesetipps zum Welttag des Buches

Der bekannte Sprecher, Sänger und Schauspieler Stefan Müller-Ruppert stellte in Igersheim-Holzbronn acht lesenswerte Bücher vor.

Von 
Inge Braune
Lesedauer: 
Mit hör- und sichtbarer Freude hat sich Sprecher Stefan Müller-Ruppert in die acht Bände vertieft, auf die er zum Welttag des Buches im Gastraum der Holzbronner derrHOF-Brauerei neugierig machte. © Inge Braune

Holzbronn. Es ist schon ein ulkiges Gedenktags-Zusammentreffen: Der 1995 von der Unesco zum „Welttag des Buches“ ausgerufene Feiertag des Lesens am 23. April fällt nicht nur auf die Todestage der Dichterfürsten William Shakespeare und Miguel de Cervantes, sondern er fällt auch mit dem „Tag des deutschen Bieres“ zusammen, der der vor 509 Jahren erfolgten Verkündigung des Reinheitsgebots gedenkt.

Wo also könnte man besser als direkt bei einem Brauer beide Gedenktage zugleich feiern? An die hundert Lektüre- und Bierfreunde folgten der Einladung der Buchhandlung Moritz und Lux zu ihrer anlässlich des Buchwelttags schon zur Tradition gewordenen „Erste Kapitel“-Veranstaltung in die Holzbronner derrHof-Gaststube.

Seit rund zwei Jahrzehnten präsentiert der aus zahlreichen Filmen und Videospielen bekannte Sprecher, Sänger und Schauspieler Stefan Müller-Ruppert bei Moritz und Lux die literarischen Hors d‘oeuvres. Acht aktuelle Bücher stellte er vor, allesamt lesenswert, unterhaltsam, hintergründig, allesamt irgendwie rankend um Liebe, Freundschaft, Beziehungen.

Liebe! Auch die zum Bier, zu der sich unzweifelhaft Urs Willmann mit „Bier – Das Buch“ (2019) bekennt, ist emotionsgeladen. Wie Willmann, gebürtiger Schweizer, Journalist und Mitglied der European Beer Star-Jury sich des allerersten Schlucks, genauer des allerersten Schaumbissens vom Gestensaft erinnert, ist grandios. Und wie das Müller-Ruppert hörbar machte, ebenfalls.

Verzopft, verschachtelt und verspiegelt

Dann „Wackelkontakt“ (2025) von Wolf Haas. Koinzidenz, dass der aus Österreich stammende Autor Sohn eines Kellnerehepaars ist, also sicher ebenfalls bestens mit Bier vertraut? Wie auch immer: das erste Kapitel des Doppel- und Spiegelromans führt nicht nur in die Wiener Wohnung von Franz Escher, der auf einen Elektriker wartet, sondern auch in dessen Erinnerung an die Feier seines 19. Geburtstags, bei der er ob des M. C. Escher-Puzzles Gäste und Angebetete vergisst. Köstlich. Aufs Wildeste verzopft, verschachtelt und verspiegelt hat Haas die Story um den wartenden Escher und den Ex-Mafioso, die Bücher lesen – je der eine eins über den anderen. Müller-Rupperts Tipp: „Lesen! Sie werden ihren Spaß haben damit.“

Ebensoviel Vergnügen dürfte es machen, tiefer in Adam Fletchers brandneuen Roman „In der Ruhe liegt der Wahnsinn“ einzutauchen. Der gebürtige Brite – bekannt unter anderem für das Kultbuch „Denglish for Better Knowers“ – schickt seinen Protagonisten Adam in ein Schweige-Retreat. Nicht gerade glücklich ist der über das Überraschungsgeschenk seiner Freundin Evelyn, die darauf hofft, ihren Adam so aus der selbst umkreisenden Kurzsprech-Kiste herauszulocken und der Beziehung neuen Pep zu geben.

Beziehungstechnisch nicht grade besser steht es um Judith und Hugo, die im exklusiven Urlaubs-Resort in Mexiko ihre Ehe kitten wollen. Der Debütroman „Der Duft des Wals“ des gebürtigen Kanadiers Raul Ruban beginnt im Flieger – mit der resigniert-boshaft beobachtenden Stewardess, die der Vorstellung nachhängt, hoch droben einfach mal den Notausgang zu öffnen. Weitere Beobachter mit ausgeprägtem Hang zu sarkastischer Präzision werden folgen. Und die Ehe? Mal sehen.

Mal Entschleunigung, mal hochaktuell

Genug gehört? Noch lange nicht! Und Müller-Ruppert hat auch nach der Pause noch einiges in petto: Tommie Goerz, Dmitrij Kapitelman, Christian Schünemann und Daniel Glattauer. Goerz, gebürtiger Erlanger, lässt in ganz ruhiger, intensiver Erzählung „Im Schnee“ den 80-jährigen Bauern Max beobachten, erinnern, Abschied nehmen von Schorsch, dem Freund, dem innig vertrauten Liebhaber seiner alten Apfelsorten. Langsam und ruhig lesen, empfiehlt Müller-Ruppert, für den „Im Schnee“ in Sachen Entschleunigung ganz oben auf der Liste steht.

Hoch aktuell: „Russische Spezialitäten“ des 1986 in Kiew geborenen Autors Dmitrij Kapitelman. Seine Herkunft – jüdisch-ukrainisch-moldawisch –, die als achtjähriger erlebte Übersiedlung nach Deutschland und auch sein Studium der Soziologie und Politikwissenschaft prädestiniert ihn zum genauen Blick auf Brüche, Dissonanzen, Filterblasen. Familiäre Differenzen schon im ersten Kapitel: Wie können Sohn und Mutter einander lieben, wenn der eine den russischen Angriff verurteilt und die Mutter, die zwar kaum je in Russland lebte, dem Land und Putin schon fast fanatisch verfallen ist? „Ein wirklich lohnendes Buch“, so Müller-Ruppert.

Mit ebenso großer Zuneigung lockt der Sprecher in Christian Schünemanns Familienroman „Bis die Sonne scheint“. Der gebürtige Bremer studierte teilweise in Sankt Petersburg Slawistik und arbeitete unter anderem in Moskau. Das Geld ist knapp bei Familie Hormann: Es tropft durchs Dach, die Eltern suchen Auswege, und der französische Gastschüler handhabt dem Vater das Buttermesser nicht geometrisch genug, kratzt einfach über die Oberfläche, statt den Block exakt senkrecht zu teilen. Ist dieser Vater, der ebenso wenig wie die Mutter mit Geld umgehen kann, faschistoid, wie die Schwester des Ich-Erzählers mutmaßt? Lesen! Und zugleich eine Zeitreise in die 80er Jahre antreten.

Wie Müller-Ruppert den eitlen, von einer Schreibblockade geplagten Liebesroman-Autor Eduard Brünhofer präsentiert, den Daniel Glattauer „In einem Zug“ auf eine Frau früheren mittleren Alters treffen lässt, lässt das Publikum vergnüglich glucksen. Glattauer, Österreicher und unter anderem mit „Gut gegen Nordwind“ auch einem jungen Publikum bekannt, setzt beide einander im Zug von Wien nach München schräg gegenüber. Wie sich der Ich-Erzähler Brünhofer fitzelfein ausdenkt, was sie denkt – und gnadenlos irrt: ein hoch vergnügliches Zuhörvergnügen.

Das gilt für den gesamten Lese- und Hörgenuss-Abend. Gibt‘s was zu meckern? Nee. Nö. Ehemmm. Doch. Haben Sie‘s auch bemerkt? Eben. Autoren. Acht. Keine Autorin. Gibt‘s da denn wirklich keine, bei der sich‘s gelohnt hätte, zum Welttag des Buches die Ohren zu spitzen? Schwer vorstellbar, zumal die Sache mit Liebe, Freundschaft, Leidenschaft nun wirklich nicht ausschließlich Männersache ist. Ausgleichende Gerechtigkeit gibt‘s ja vielleicht beim nächsten Welttag des Buches.

Freie Autorin Berichte, Features, Interviews und Reportagen u.a. aus den Bereichen Politik, Kultur, Bildung, Soziales, Portrait. Im Mittelpunkt: der Mensch.

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten

VG WORT Zählmarke