Wenn am Sonntag, 30. Juni, der neue Kulturradweg feierlich eröffnet wird, rückt der idyllische Weiler Bowiesen in den Fokus der Öffentlichkeit.
Bowiesen. Beginnend in Bütthard, überquert der Weg nach Tiefenthal die Grenze nach Baden-Württemberg. Über Simmringen, Bernsfelden und Oesfeld führt er direkt durch den Weiler Bowiesen. „Da musst du aufpassen, dass du rechtzeitig bremst, sonst bist du, eh’ du dich versiehst, wieder aus Bowiesen draußen“, lacht Hans Stattelmann. Er ist ehemaliges Mitglied des Ortschaftsrats und lebt hier mit seiner Familie.
Überschwang an Blüten
Zwei Enkelkinder spielen in dem wundervollen Garten, der den Besucher mit einem Überschwang an Blüten, Duft und Farben umfängt. Eine Fülle gelber und roter Kletterrosen rankt sich um den Rundbogen, prächtig leuchtet das Blau des Rittersporns, Zierlauch in gigantischer Größe reckt seine lila Kugelköpfe. „Meine Frau hat einen grünen Daumen“, erklärt Hans Stattelmann, „der Garten ist ihr Hobby.“
Vier schmucke Anwesen und ein Kirchlein – das ist Bowiesen. „Wir haben derzeit 16 Einwohner, der Höchststand lag bei 30. Früher war der gesamte Weiler ein einziger Hof. Heute teilen sich vier Familien den Grund von insgesamt etwa 100 Hektar. Stattelmann, Nebl und Trunk – die alten Familiennamen sind erhalten geblieben. „Das vierte Haus bewohnt seit einiger Zeit ein neu zugezogenes Ehepaar, das sich gut in die kleine Gemeinschaft eingefügt hat“, versichert Hans Stattelmann.
Wahrscheinlich lag der Ort ursprünglich etwa 300 Meter westlich und wurde im 30-jährigen Krieg zerstört. Einst betrieb Graf Wago vom Gut Uettingshof hier eine Schäferei. Vermutlich war es auch der adelige Herr, von dem der Name „Bowiesen“ abgeleitet ist (Wiesen des Wago).
Damals gehörte der Ort zur Zent Bütthard und war Erblehen der Grafen von Rieneck. 1375 wurde es mit Zustimmung des Bischofs von Würzburg vom Deutschen Orden übernommen und unterstand der Verwaltung des Deutsch-Ordensamtes Balbach. Zusammen mit Balbach kam Bowiesen 1809 an Württemberg und befand sich somit zwischen bayerischem und badischem Territorium.
„Noch heute“, weiß Hans Stattelmann, „befindet sich auf der Gemarkung Bowiesen der sogenannte „Dreiländerstein“, der die damalige Grenze zwischen dem Königreich Bayern, dem Königreich Württemberg und dem Großherzogtum Baden anzeigt“. Seine Lage als Exklave hat Bowiesen behalten.
Der Begriff „Exklave“, der von dem französischen Wort „exclavé“ abgeleitet ist, bedeutet „ausgeschlossen“. Nach wie vor ist der Weiler durch bayerisches Gebiet vom Hauptort Bernsfelden getrennt und als ehemaliger württembergischer Ortsteil vom ehemals badischen Vilchband umschlossen. Als Teilort von Bernsfelden gehört er seit der Gemeindereform in den 70er-Jahren zur Großgemeinde Igersheim.
Ausdruck des Dankes
Neben den prächtigen Höfen mit den schönen Bauerngärten wirkt die kleine Kirche schlicht und zieht doch den Blick auf sich. Hans Stattelmann zeigt auf den Dachreiter: „Dreimal täglich wird die Glocke zum Angelus-Gebet in wöchentlichem Wechsel von einer der Anwohnerfamilien geläutet. An dieser Tradition haben wir bisher festgehalten.“
Gemeinsam haben einst die Anwohner den Kirchenbau finanziert. „Der Mit- und Nachwelt tun wir hierdurch kund und zu wissen, dass 1955 die vier Hofbauern Anton Trunk, Edwin Schmitt, Josef Nebl, Ludwig Leonhard Stattelmann und ihre Angehörigen eine neue Kapelle zu Ehren ‚Unserer Lieben Frau von Fatima’, der Rosenkranzkönigin und Friedenskönigin und zu Ehren des Friedensheiligen ‚Nikolaus von Flüe’ erbaut und würdig ausgestattet haben“ – so steht es in der Stiftungsurkunde zu lesen.
„Mama“, sagt die kleine Enkeltochter mit rührend kindlichem Vertrauen und deutet auf das geschnitzte Altarbild Mariens. Mit dieser Zuversicht und dem unerschütterlichen Vertrauen in die Muttergottes sind sie Bewohner in Bowiesen bis heute gut gefahren. „Die Kirche wurde zum Dank für den überstandenen Krieg erbaut“, erzählt Hans Stattelmann.
Kirchlein komplett renoviert
Unbeschadet kam der kleine Ort nicht davon. „Zwei SS-Männer hatten sich hier verschanzt und wollten auf die letzten Tage noch den Krieg gewinnen. Vor den anrückenden Amerikaner ergriffen sie die Flucht und ließen die Bewohner mit dem Schaden zurück“. 1992 wurde das Kirchlein komplett renoviert. Unvergessen ist das 40-jährige Kapellenfest, das im Sommer 1996 ausgiebig gefeiert wurde.
Man glaubt es Hans Stattelmann aufs Wort: Die Bowiesener verstehen zu feiern.
Die Augen blitzen, wenn er von den „Dreiländertreffen“ spricht, die man in Bowiesen Ende der 60er-Jahre beging und an denen alle Ortschaften der Umgebung teilnahmen. Er schiebt das schwere Scheunentor zurück. „Hier haben wir gefeiert. Und wie! Dort drüben saß die Musik, droben über der Tenne wurde getanzt und darunter wurde ausgeschenkt.“
Fast meint man zu sehen, wie sich fröhliche Paare im Tanz drehen. „Ist lange her“, ein bisschen Wehmut klingt in der Stimme mit. Die Preisliste von damals hängt noch da, mit einem Nagel an einem Balken befestigt: „Eine Maß Bier 2 DM, eine Bluna 50 Pfg“ ist deutlich zu lesen. Das waren Zeiten! Einst gab es am Ort auch eine Gastwirtschaft „Zum Dreiländerblick“. Sie wurde von der Familie Stattelmann geführt. „Wir haben den Wirtschaftsbetrieb 1976 aufgegeben. Es war schwierig, die Gaststätte neben der Landwirtschaft zu betreiben. Der Aufwand hat sich nicht mehr gelohnt“, erzählt Hans Stattelmann.
Zurück in der Gegenwart
Auch vor Bowiesen macht der Fortschritt nicht Halt. Man ist „online“, die moderne Kommunikationstechnik ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Mit der Landwirtschaft, die einst das Auskommen sicherte und Wohlstand brachte, kann heute keine Familie mehr überleben. Nur noch zwei der vier Anwohner betreiben Landwirtschaft im Nebenerwerb.
Begleitet vom fröhlichen Geschnatter einer Gänseschar verlässt der Besucher den Weiler. „Sind besser als jeder Wachhund“, versichert Hans Stattelmann.
Auf der Anhöhe ein letzter Blick zurück. Exklave – ausgeschlossen. ‚Eher umschlossen’, möchte man meinen. Wie eine Insel – eingebettet in das Grün von Wiesen und Feldern leuchtet das Rot der Dächer von Bowiesen.
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