Höpfingen. „Man spricht heute viel von europäischem Zusammenschluss, es gibt Weltbürger. Aber unser Fest ist deshalb nicht unmodern geworden. Ein schlechter Heimatbürger kann kein guter Weltbürger sein“, sagte Dr. Josef Künkel in seiner Festrede zum Heimatfest, das vom 19. bis 31. Juli 1950 stattfand. Alles andere als unmodern ist die Festrede aus dem Jahr 1950. Obwohl schon 75 Jahre alt, erscheint vieles auf verblüffende und leider auch tragische Weise aktuell. Nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bleiben die Waldstetter jedoch ihrem Grundsatz treu und veranstalten, wiederum unter ungewöhnlichen Voraussetzungen, ihr zweites Heimatfest.
Waldstetten musste in den Jahrzehnten vor den Weltkriegen einen enormen Bevölkerungsschwund verkraften. Man erhoffte sich in den Städten ein besseres Leben. Beispielhaft dafür kann auch der Festredner des Heimatfestes 1950 genannt werden. Dr. Josef Künkel lebte und arbeitete als Rechtsanwalt in Mannheim. Geboren und aufgewachsen war er in Waldstetten. Zeitzeugen erinnern sich noch gut daran, dass er, wie so viele andere Abgewanderte auch, zu den Erntezeiten immer wieder als Helfer in die alte Heimat zurückkehrte. Zeit seines Lebens blieb er seinem Heimatdorf verbunden.
Dr. Künkel formulierte es so: „Mögen wir auch in überschäumender Jugendkraft der Heimat den Rücken kehren, weil sie uns zu eng und klein für unsere Begriffe erscheint. Wie tief sie dennoch in uns lebt, welch unersetzlich beglückenden Wert sie darstellt, das zeigt sich erst dann, wenn wir sie entbehren müssen. Das werden uns unsere Neubürger, die man aus ihrer Heimat vertrieben hat, mit wehem Herzen bestätigen.“
1950 zählte Waldstetten 920 Einwohner
Die Zahl der Waldstetter Bürger lag 1950 bei einem Rekordhoch von 920 Einwohnern. Ursächlich dafür war die hohe Zahl von Heimatvertriebenen, Evakuierten und Flüchtlingen als Folge des Krieges. Eine Stellungnahme des Gesundheitsamtes nach einer Begehung vermittelt ein Bild über die damaligen Wohnverhältnisse im Dorf: „Der Kranke muss mit seiner sechsköpfigen Familie, darunter ein Säugling und ein Kleinkind, in einem Raum zusammen hausen.“
Doch trotzte man den unerfreulichen Bedingungen. Und so begann das zweite Heimatfest in Waldstetten am Samstag, 29. Julie 1950 um 6 Uhr in der Frühe mit einem Gottesdienst zum Gedenken an alle Verstorbenen und Gefallenen der Gemeinde. Dies war der erste von insgesamt drei Gottesdiensten, die im Festverlauf gefeiert wurden. Auch der Festsonntag begann mit einem musikalischen Weckruf um 6 Uhr, dem ein Frühgottesdienst folgte. Um 9 Uhr traf man sich erneut in der Kirche zu einem feierlichen Leviten-Amt mit Festpredigt. Die Zeit zwischen den Kirchgängen musste, vermutlich von den meisten, zur Stallarbeit genutzt werden.
Doch kam neben dem geistlichen Teil auch das weltliche Vergnügen nicht zu kurz. Los ging es samstags um 21.30 Uhr mit einem Fackelzug und anschließendem Festbankett. Am Nachmittag des Festsonntags wurde den zahlreichen Gästen ein stattlicher Festzug präsentiert. Im Anschluss ging es zu Musik, Gesang und Tanz auf den Festplatz am Ortsausgang in Richtung Bretzingen. „Zur Steigerung der Feststimmung trugen Blaskapelle und Gesangverein nicht wenig bei“, wusste auch die Zeitung zu berichten. Der Festmontag begann um 13 Uhr mit einem Festzug der Dorfkinder und endete mit Darbietungen und Gesang auf dem Festplatz.
Kinderumzug fand am Montagnachmittag statt
Ein Zeitungsartikel über die Heimattage in Waldstetten berichtete mit einer gewissen Ironie: „Kaum waren am Sonntag früh die letzten Schritte der Heimwärtswankenden verhallt, so weckte schon wieder flotte Marschmusik die Schläfer.“ Ortspfarrer Josef Scheuermann beschrieb das Festbankett am Samstag als „wirklich gemütlich und gelungen“ und den Festzug am Sonntag als „eine wahre Herrlichkeit“. Auch für den Kinderfestzug fand er lobende Worte: „Am Montagnachmittag trat der schöne feine Kinder-Festzug dem am Tag zuvor würdig an die Seite.“
Doch war der Geistliche mit dem Ausklang der Heimattage nicht recht einverstanden: „Aber die folgende Nacht: ‚Nachfeier der Waldstetter vom Heimattag‘. Ein Grab der Unschuld! Der Heimattag wurde unter der Parole ‚für den Turm u. die neuen Glocken‘ aufgezogen. Der viele Kuchen dafür verkauft; aber es blieb nichts dafür übrig!“Damit sollte er nicht recht behalten. Bereits am Ostermontag im Jahr darauf feierte man Glockenweihe. Waldstetten darf stolz sein auf eine der schönsten Dorfkirchen im Umkreis, die beim fünften Heimatfest von 5. Juli bis 7. Juli in diesem Jahr für Besucher zur Besichtigung geöffnet sein wird.
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