Vor 160 Jahren

Unterlagen für die Besteuerung

In der Gemarkung Waldstetten begann die Katastervermessung

Von 
Herbert Frisch
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In der Gemarkung Waldstetten begann vor 160 Jahren die Katastervermessung. Das Bild zeigt einen Ausschnitt aus einem Gemarkungsplan im Bereich des heutigen Neubaugebiets Glöckle zusammen mit der Koordinatenberechnung. © Herbert Frisch

Waldstetten. Während Geodaten heute in unserer modernen Gesellschaft überall präsent sind, hat es bis zum 19. Jahrhundert gedauert, bis in Deutschland die einzelnen Grundstücke einer Gemarkung flächendeckend und vollständig, auf wissenschaftlichen Grundlagen aufbauend, vermessen und in Karten dargestellt wurden. Im Großherzogtum Baden war es ab 1852 soweit.

Grundlage war das Vermessungsgesetz vom 26. März 1852 und das Vermarkungsgesetz vom 20. April 1854, welche die Abmarkung sämtlicher Gemarkungs-, Gewann- und Eigentumsgrenzen sowie die „stückweise Vermessung sämtlicher Liegenschaften“ im gesamten Land Baden verfügten.

Startschuss fiel 1863

Der Startschuss für Waldstetten wurde durch die Entschließung des großherzoglichen Finanzministeriums Nr. 2574 vom 2. Mai 1863 gegeben. Die Arbeiten begannen im Jahr 1864 mit der Feststellung und Abmarkung sämtlicher Eigentumsgrenzen; abgeschlossen wurden die Vermessungsarbeiten im Herbst 1867 und bis 1872 lagen sämtliche Vermessungsunterlagen ausgearbeitet vor. Damit gehörte Waldstetten mit zu den ersten Gemarkungen, die im Altkreis Buchen vermessen wurden. Die meisten Gemarkungen im Neckar-Odenwald-Kreis wurden im dritten Drittel des 19. Jahrhunderts nach der Umstellung auf das metrische System vermessen; der Abschluss der badischen Katastervermessung fand im Jahr 1934 im Amtsbezirk Tauberbischofsheim statt.

Neben der ursprünglichen Intention der Katastervermessungen, nämlich genaue Unterlagen für die Besteuerung und für militärische Zwecke zu schaffen, kam nach den Zehntablösungen in den Realerbteilungsgebieten Badens zunehmend auch die Eigentumssicherung hinzu. Denn bedingt durch die kleine Parzellierung mit schmalen Grundstücken ohne Kennzeichnung der Eigentumsgrenzen, kam es zuvor zwischen den Angrenzern immer wieder zu Streitigkeiten. Vergeben wurden die Vermessungsarbeiten gemarkungsweise; in Waldstetten wurden die Arbeiten von den Katastergeometern Gillig und Handschuh geleistet und die Ausarbeitung ab 1868 von Geometer Sauter aus Hardheim fertiggestellt.

6668 Flurstücke

Das Ergebnis der Katastervermessung waren in Waldstetten 6668 vermessene Flurstücke, für die die Grenzen mit Maßzahlen in badischen Ruten festgehalten und mit Grenzsteinen abgemarkt waren und deren Flächen, Nutzungsarten und Eigentümer dokumentiert wurden. Damit lag erstmals ein vollständiges Kataster mit exakten Karten und Liegenschaftsbeschreibungen vor, dessen Maßzahlen in vielen Bereichen der Gemarkung noch heute ihre Gültigkeit haben.

Das Kataster diente fortan nicht nur der Besteuerung, im Lagerbuch wurden neben den tatsächlichen Angaben bis zur Einführung des Grundbuchs im heutigen Sinne zum 1. Januar 1900 auch die rechtlichen Angaben wie Eigentümer und Belastungen nachgewiesen.

Die Gemarkungsfläche wurde mit 3788 Morgen und 176,8 Quadratruten ermittelt, was 1363,84 Hektar entspricht. Damit ergibt sich im Schnitt eine Fläche von 20,5 Ar pro Flurstück.

Dieser Durchschnittswert ist jedoch mit Vorsicht zu gebrauchen, fließen in ihn doch eine Vielzahl von Kleinstflurstücken in den Weinbergen und in der Ortslage mit wenigen Ar ein, und ebenso die Gemeindewaldungen, wobei das größte Flurstück im Distrikt Anwande eine Fläche von 204,5 Hektar aufweist. Und dennoch zeichnet der Durchschnitt ein realistisches Bild von der Zersplitterung der Ackerflur in Waldstetten zu dieser Zeit. Durch die mit der Katastervermessung verbundene Eigentumssicherung und der Neuausweisung von Feldwegen wurde in Waldstetten in gewisser Weise auch die Grundlage für den Aufschwung gelegt, der sich fortan einstellte. Die Lebensverhältnisse verbesserten sich und im Mai 1872 wurde der Grundstein für das neue Schulhaus, das heutige Rat- und Bürgerhaus gelegt, 1873 wurde die Pfarrkirche erweitert, was zum heutigen Grundriss führte. In der Landwirtschaft führte die zunehmende Mechanisierung mit Mähmaschine und Heuwender sowie der Einsatz des von Liebig entdeckten Kunstdüngers und dem Wegfall des Flurzwangs zu einer Art „grünen Revolution“, was die Ertragslage deutlich steigen ließ.

Heute, 160 Jahre später, werden die Katasterdaten digital im amtlichen Liegenschaftskatasterinformationssystem ALKIS bei den Landratsämtern geführt – im Neckar-Odenwald-Kreis beim Fachdienst Vermessung in Buchen.

Die Messgeräte von damals, Fünf-Meter-Messlatten, Winkelspiegel und Theodolit, sind modernen elektronischen Entfernungs- und Richtungsmessgeräten (Tachymetern) gewichen, die genaue Lage wird zentimeterscharf mit Satellitenpositionierung und Vermessungsdrohnen ermittelt.

Rohstoff und Schlüssel

Ähnlich wie damals sind die Geodaten heute Rohstoff und Schlüssel für aktuelle gesellschaftliche und politische Fragestellungen und unverzichtbare Grundlage für vielfältige administrative und wirtschaftliche Entscheidungen in den Bereichen Klima und Wetter, Energie und Umwelt, Verkehr, Planung, Wirtschaft und Grundstücksverkehr sowie Land- und Forstwirtschaft und deren Digitalisierung.

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