Hardheim. Formulare ausfüllen, Ausrüstung und Bettwäsche in Empfang nehmen, die ärztliche Untersuchung absolvieren, Spind einräumen: Seit der Gründung der Bundeswehr und der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1956 stand diese Prozedur für 8,5 Millionen junge Männer am Anfang ihres Soldatenlebens. Seit wenigen Wochen ist das Ende des militärischen, aber auch den zivilen Pflichtdienstes beschlossene Sache. Zum 1. Juli wird die Wehrpflicht ausgesetzt. Der vorerst letzte Rekrutenjahrgang wurde am Montag eingezogen. Nicht alle freiwillig, die meisten aber aus Überzeugung. Bundesweit 12 150 Soldaten. Schon ab 1. März folgen dann nur noch Freiwillige.
Geschichte schreiben damit auch die 71 Rekruten, die ihren Dienst beim Sicherungsbataillon 12 in der Carl-Schurz-Kaserne in Hardheim angetreten haben. In der 3. Kompanie bekommen sie in den kommenden drei Monaten unter dem Kommando von Hauptmann Thomas Pauk die militärischen Grundlagen vermittelt und beenden mit Ablauf ihrer sechsmonatigen Dienstzeit die über zweihundertjährige allgemeine Wehrpflicht in Deutschland.
Bis vor wenigen Monaten noch völlig undenkbar und letztendlich doch unausweichlich, denn angesichts veränderter Aufgabenstellungen wächst die Bedeutung kleinerer, flexibler und gut ausgerüsteter Verbände zusehends. Die Massenarmee für die Landesverteidigung hat ausgedient.
Absehbar sind die Folgen der Aussetzung der Wehrpflicht insbesondere bei der Nachwuchsgewinnung. "Früher hatten wir automatisch alle. Jetzt stehen wir im Wettbewerb mit zivilen Laufbahnen", hat Oberstleutnant Peter Bienert die Zeichen der Zeit erkannt.
Und die Konsequenzen sind für den stellvertretenden Kommandeur des Hardheimer Sicherungsbataillons alternativlos: "Wir wollen die Rekruten nicht über den Kasernenhof schleifen, sondern sie als wichtiges Element der Bundeswehr sehen".
Attraktive Perspektiven bieten und sich dabei mit der Industrie auf Augenhöhe bewegen, lautet die Devise. "Wir müssen hart am Ball bleiben. Wir wollen schließlich auch die Guten", betont Bienert.
Leistungsgrenze erfahren
Vielleicht ja auch den Rekruten Pascal Pieczyk aus Offenburg. "Ich will meine Leistungsgrenze erfahren und ausbauen und Kameradschaft erleben", erzählt der 19-Jährige im Gespräch mit den FN. Seinen Pflichtdienst nicht anzutreten, kam für ihn nie infrage. Im Gegenteil. "Bisher habe ich einen guten Eindruck. Mal sehen, ob ich vielleicht weitermache", steht der gelernte Maler und Lackierer einer freiwilligen Verlängerung seiner Dienstzeit grundsätzlich offen gegenüber.
Für seinen Vorgesetzten Oberstleutnant Bienert geradezu der Idealfall, denn über das "Reinschnuppern" in die Truppe soll auch zukünftig geeigneten Kandidaten der Einstieg erleichtert werden. Dann allerdings nur noch über den freiwilligen Wehrdienst, der jährlich bis zu 15 000 jungen Männern und Frauen offen stehen soll und wahlweise zwischen zwölf und 23 Monaten dauern kann. Eine sechsmonatige Kündigungsfrist inklusive.
"Das Schnuppern wird weiter möglich sein und wer mit einer positiven Einstellung zu uns kommt, den müssen wir versuchen zu halten", betont Bienert und sieht den generalsanierten Standort Hardheim mit seinem Standortübungsplatz, der modernen Schießanlage, dem Munitionsdepot, dem Sprungplatz für Fallschirmspringer und dem Übungsdorf "Wolferstetten" für diese Aufgabe bestens gerüstet. Pfunde mit denen es sich zweifellos wuchern lässt, die jedoch längst nicht jeden überzeugen.
"Die Neugier war da, aber nach dem Grundwehrdienst gehe ich wieder zurück in meinen Beruf", fasst Marc Müller seine ersten Eindrücke als Rekrut zusammen. Vorläufiges Fazit des 20-jährigen Anlagenbauers aus Ladenburg: "Militärischer Ton gewöhnungsbedürftig, Kameraden eigentlich ganz in Ordnung."
Alles in allem aber eine andere Welt, wie auch Alexander Romme einräumt. "Hier gelten eigene Regeln, da muss man sich anpassen", hat der 19-jährige Fachabiturient schnell erkannt. Die Anpassung ist für ihn jedoch nur von vorübergehender Natur, um die Zeit bis zum Ausbildungsbeginn im August überbrücken zu können. Bis es soweit ist, zählt er aber zu den letzten klassischen Staatsbürgern in Uniform, die in den kommenden Wochen mit Waffenkunde, Schießausbildung, Gefechtsdienst, Sanitätsausbildung und politischer Bildung auf den Ernstfall vorbereitet werden. Danach wird es die Bundeswehr als das oft zitierte Spielgelbild der Gesellschaft in dieser Form nicht mehr geben.
Die ebenso oft von Kritikern geäußerte Sorge einer drohenden Entfremdung von Truppe und Bevölkerung will Oberstleutnant Bienert trotzdem nicht teilen: "Die automatische Bindung sehe ich nicht in Gefahr. Bei der Polizei ist das ja auch nicht der Fall und die Tendenz geht ohnehin zum Zeitsoldat, weniger zum Berufssoldaten. Eine Umwälzung werden wir immer haben".
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