Westlichste Kreisgrabenanlage in Europa

Sensationsfund bei Gerchsheim: Mysteriöser Kreis aus der Jungsteinzeit

Es ist ein Fenster in die Frühgeschichte: Beim Bau der SuedLink-Trasse haben Archäologen eine Kreisgrabenanlage aus der mittleren Jungsteinzeit entdeckt - die erste in Baden-Württemberg. Vor fast 7000 Jahren wurde die Kultstätte geschaffen.

Von 
Diana Seufert
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Fenster in die Frühgeschichte: So wie die 3D-Rekonstruktion der Anlage im sächsischen Kyhna(Landkreis Delitzsch) könnte auch die Kreisgrabenanlage in Gerchsheim ausgesehen haben. © Harald Stäuble, Thomas Preuß, Landesamt für Archäologie Sachsen

Gerchsheim. Was für den Laien eher unspektakulär anmutet, ist für die Archäologen eine kleine Sensation: eine fast 7000 Jahre alte Kreisgrabenanlage. Im Rahmen der Bauarbeiten für die SuedLink-Trasse wurde die Stätte kürzlich bei Gerchsheim entdeckt und teilweise freigelegt. Es ist die einzige ihrer Art und Zeitstellung in Baden-Württemberg überhaupt und die westlichste in Mitteleuropa. Nach dem Mammut-Fund bei Lauda ist dies die nächste Sensation für die Forschenden.

Dr. René Wollenweber, zuständig für lineare Projekte beim Landesamt für Denkmalpflege, freut sich über den großartigen Fund aus der Steinzeit. Der liegt direkt neben der L 578, die für die Stromautobahn erst kürzlich in offener Bauweise gequert wurde. „Wir wussten, dass es in dem Bereich bereits frühneolithische Siedlungstätigkeiten gegeben hat. Die Kreisgrabenanlage ist jedoch erst mit den Baumaßnahmen zum Vorschein gekommen.“

Zwei Ringe und 42 Meter im Durchmesser

Die unscheinbare dunkle Farbänderung – nur 40 Zentimeter tief im Erdreich erhalten – hat bei den Fachleuten sofort Interesse für das Bodendenkmal geweckt. Denn die schwarzen, kreisförmigen und konzentrisch angeordneten Rundungen sind von Menschenhand geschaffen. Mit einem Durchmesser von etwa 42 Metern besteht die Anlage aus zwei Ringen, von denen etwa ein Drittel freigelegt werden konnte. „Zwischen den Ringen wurde wahrscheinlich der Aushub ebenfalls konzentrisch als Wallsystem angelegt, sodass ein mehrfach gestaffeltes Wall-Grabensystem entstanden ist“, so Wollenweber. Entdeckt haben die Archäologen dabei auch zwei schmale Eingänge: einer im Osten, der andere im Süden. Weitere Eingänge, gestaltet als schmale Erdbrücken und Wall-Grabenunterbrechungen, werden im Osten und Norden vermutet.

Verschiedene Scherben der sogenannten Großgartacher Kultur, die zwischen 4900 und 4700 vor Christus in der Region gelebt hat, wurden in den Gräben gefunden. Damit ist eine zeitliche Einordnung der Entstehungszeit möglich. © René Wollenweber

Funktion der Anlagen nicht bekannt

Entstanden ist die Anlage zwischen 4900 und 4700 vor Christus. Die Menschen haben mit bloßen Händen oder einfachen Holzwerkzeugen – Kupfer oder andere Metalle gab es noch nicht – zwei Gräben ausgehoben. Das Erdmaterial wurde in Richtung Mitte jeweils zu einem Wall aufgeschüttet. Wollenweber spricht von einer Kreisgrabenanlage mit Doppelgraben-System, die als Gerchsheimer Anlage in die Literatur eingehen wird. Mehr als einen Meter tief seien die Gräben sicherlich einmal gewesen. Aufgrund der Lage an einem leichten Südhang und der Jahrtausende langen Erosion sei bereits sehr viel Oberboden abgetragen worden. Der Experte schließt nicht aus, dass durch den Einsatz moderner landwirtschaftlicher Geräte schon einiges zerstört worden sei.

„Das Spannende ist, dass man die Funktion dieses Phänomens der Kreisgrabenanlage, im osteuropäischen Raum nennt man sie auch Rondelle, nicht kennt“, sagt Wollenweber. Die Fachleute gehen von „multifunktionalen Anlagen“ aus, eventuell für religiöse Zwecke, eher nicht zur Verteidigung. „Sie spiegeln etwas wider, was uns oftmals in der Frühgeschichte bei jungsteinzeitlichen Kulturen begegnet, nämlich dass ein Gebilde konstruiert wird, um einen besonderen Raum von außen zu trennen.“

Man müsse davon ausgehen, dass auch Palisadenringe im Inneren standen, sodass man nicht von außen nach innen schauen konnte. Auch durch die schmalen Eingänge habe man nicht sehen können, was im Innern des Kreises vor sich ging. Denn die Eingänge seien ganz leicht versetzt angeordnet gewesen. Ob es sich um rituelle Praktiken oder eine Art Gerichtsbarkeit, die nur im Inneren vollzogen werden durften, gehandelt habe, sei unklar. „Initiationsriten, die eine ganz wichtige Rolle bei frühgeschichtlichen Menschen spielen“, kann sich der Fachmann vorstellen.

Bereits im März waren die Archäologen an der Stelle fündig geworden. Damals habe man zwar an einen Kreisgraben gedacht, sei sich aber bei der Datierung unsicher gewesen. Durch Scherben, die in der Verfüllung der Gräben entdeckt wurden, konnte nun die zeitliche Einordnung ins Mittelneolithikum erfolgen. Die Bruchstücke aus Ton lassen sich der sogenannten Großgartacher Kultur zuordnen, die nur zwischen 4900 und 4700 v. Chr. existiert hat, so René Wollenweber.

Archäologen haben bei Gerchsheim eine Kreisgrabenanlage entdeckt. Sie ist die einzige in Baden-Württemberg und die westlichste ihrer Art und Zeitstellung. © René Wollenweber

Westlichste, bisher entdeckte Anlage überhaupt

„Etwa 500 Jahre vor dem Bau der Kreisgrabenanlage waren die ersten Bauern aus Südosteuropa hier eingewandert, haben Häuser gebaut und Felder bestellt. Das Vieh haben sie mitgebracht und hier weitergezüchtet.“ Diese Siedler werden der Linienbandkeramik-Kultur zugeordnet, sind aber nicht die ersten Bewohner der Region gewesen. Zur Entstehungszeit der Anlage waren die Behausungen der Menschen dort jedoch schon verlassen.

Über den Balkan-Raum sei die „Idee“ der Kreisgrabenanlagen nach Mitteleuropa gekommen. 120 solcher Anlagen wurden insgesamt entdeckt, vor allem in Ostdeutschland und Bayern. Die bisher westlichsten dieser Anlagen liegen im Würzburger Siedlungsraum bei Ippesheim (Kreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim) und Hopferstadt (Ochsenfurt).

Nun wurden sie von der Anlage bei Gerchsheim abgelöst, auch wenn diese gerade noch in das Definitionsspektrum solcher Anlagen passt: An einer ehemaligen Siedlung, südliche Hanglage, Form und Eingänge und die gefundenen Scherben. Weiter östlich seien die Kreisgrabenanlagen tendenziell größer und komplexer aufgebaut, mit noch mehr Ringen, Wällen und Gräben.

Besondere Profilform weicht von anderen Anlagen ab

Die Anlage hat für die Forschenden noch eine Besonderheit: Die Profilform, wie der Graben angelegt wurde, weicht etwas ab. „Normalerweise wurden v-förmige, also spitztrichterförmige Gräben angelegt. Aber es gibt auch Solgräben, leichte u-förmige Gräben – so wie in Gerchsheim.“

Die dunkle Verfärbung im Erdreich kam bei Bauarbeiten für die SuedLink-Trasse zutage. © René Wollenweber

Wer nun den Vergleich mit Stonehenge bemüht, bekommt von Dr. Wollenweber eine zeitliche Einordnung. „Die Megalith-Kultur, zu der auch Carnac in Nordfrankreich gehört, entstand rund 2000 Jahre später als die Gerchsheimer jungsteinzeitliche Anlage.“ Das Phänomen, dass man in der Mitte eines Kreises Riten vollführt oder einen „heiligen“ Bereich im Inneren definiert, sei aber durchaus ähnlich.

Vor Ort haben die Archäologen die Arbeit beendet, damit das SuedLink-Projekt weiter gehen kann. Doch die Untersuchung der Sedimente aus den Gräben geht weiter. Ob Knochen gefunden werden, bleibt abzuwarten. „Die Gerchsheimer Anlage ist in einem relativ schlechten Erhaltungszustand. Ob sie etwas zur Lösung des Rätsels der Kreisgrabenanlage beitragen kann, wird sich zeigen“, so Wollenweber. „Aber sie komplettiert das Bild.“ Und er vermutet, dass es in der Siedlungskammer noch weitere solche Anlagen geben könnte.

Redaktion Hauptsächlich für die Lokalausgabe Tauberbischofsheim im Einsatz

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