Latein - eine tote Sprache? Der Münchner Altphilologe Wilfried Stroh glaubt das nicht. Und offenbar hat er viele Mitstreiter im Kampf um die Wahrnehmung der lateinischen Sprache als Grundlage der europäischen Kultur, denn sein vor zwei Jahren veröffentlichtes Buch "Latein ist tot - es lebe Latein" (List Verlag) wurde ein Bestseller.
Zwei Jahre später hat der emeritierte Professor eine "kleine Geschichte der Rhetorik im alten Griechenland und Rom" unter dem Titel "Die Macht der Rede" vorgelegt.
Darin geht es alles andere als professoral zu. Wilfried Stroh ist kein zweiter Heinrich Lausberg - der ein Handbuch der Rhetorik veröffentlichte -; er schreibt keine weitere historische Betrachtung der Redekunst; und er stellt keine weitere Sammlung von vorbildlichen Reden zusammen.
Wilfried Stroh verbindet das alles zu einem einzigen, nicht ganz schmalen (608 Seiten), aber leicht und vergnüglich zu lesenden Buch. Einem richtigen Buch, das heißt mit fast 50 Seiten kommentierten Literaturhinweisen (die hier natürlich als "Catalogus librorum" erscheinen) und weiteren 40 Seiten mit Notulae (Fußnoten) und Indices (Personen- und Sachregistern).
In der eigentlichen Darstellung geht Wilfried Stroh zwar historisch vor - von Homer über die attischen und hellenischen Rhetoriker bis zu den Römern mit dem alle überragenden Cicero, dem staatlich besoldeten Redelehrer Quintilian und den christlichen Rednern. Entlang des Zeitstrangs macht er aber gleichzeitig mit den rhetorischen Begriffen vertraut, an berühmten Reden demonstriert er Strategien der Überredung und Überzeugung (Begriffe, die in der Antike durchaus als gleichwertig betrachtet wurden).
In seiner Betrachtung wird auch deutlich, welche Bedeutung die Rhetorik innerhalb der Gesellschaft und Politik zum Beispiel der Athener hatte, bei denen demokratische Prozesse ohne Redner und Redenschreiber nicht denkbar waren - was auch ein Schlaglicht auf den Gegner der attischen Rhetoriker, Platon, wirft.
Cicero, dem Orator perfectus, widmet der Autor Wilfried Stroh gleich mehrere Kapitel. Man muss als Leser nach der Lektüre dieser Abschnitte wohl die Reden gegen Catilina im Nachhinein nicht mehr als Belastung, sondern als Bereicherung der eigenen Schulzeit empfinden.
Stroh versäumt es auch nicht, den Bogen seiner Betrachtungen immer wieder bis in die Gegenwart zu spannen, wo die Rhetorik zwar an Reputation verloren hat, häufig als moralisch fragwürdig angesehen wird, aber wo in der Politik trotzdem zwischen vielen Langweilern auch gelegentlich begnadete Redner auftreten - Stroh sieht zum Beispiel die Doppelbeschluss-Rede von Erhard Eppler ganz in der Tradition der Rhetorik des Sophisten Gorgias. str
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