Buchen. Auf Anregung der Fraktion der Freien Wähler brachten alle Gemeinderatsfraktionen den Antrag ein, die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus’ in Buchen sichtbar zu machen. „Über 80 Jahre nach dem Beginn der Deportation und Tötung von Menschen jüdischer Herkunft, der Verbringung von Menschen mit Behinderung und vieler anderer Verbrechen scheint das Bewusstsein für die nationalsozialistischen Gräueltaten zu schwinden“, befürchten die Antragssteller.
Gleichzeitig trete ein neuer verstärkter Antisemitismus und Nationalismus in der Gesellschaft auf, der es mittlerweile in Parlamente, Gremien und in alltägliche Diskurse geschafft habe. „Es gilt, das Bewusstsein für die hier bei uns in Deutschland, aber auch konkret in Buchen, während des Hitler-Regimes geschehenden Verbrechen zu schärfen und die Menschen daran zu erinnern, was Hass, Hetze und Ausgrenzung in extremer Form für reale Folgen haben kann“, heißt es in dem Antrag.
Deshalb regen die Gemeinderäte an, dauerhaft sichtbar im öffentlichen Raum der Opfer zu gedenken. Stadtarchivar Jan-Tobias Kohler soll ein entsprechendes Konzept entwerfen. Während der Sitzung bekräftigten Sprecher aller drei Fraktionen dieses Vorhaben. Der Antrag wurde bei einer Gegenstimme angenommen.
Viele Orte, die sich zum Innehalten und Gedenken an Opfer eignen, findet man unter anderem in der Buchener Altstadt. Denn zahlreiche Geschäftshäuser gehörten bis in die 1930-er Jahre hinein jüdischen Mitbürgern.
So führte der Buchener Heimatdichter Jakob Mayer, Verfasser des „Kerl wach uff!“ und des Schützenmarktlieds, in der Marktstraße 13/15, dem späteren Haus Remmler, ein Textilgeschäft für Damen- und Herrenmode. Dort nahm er sich am 11. Juni 1939 das Leben.
Wie Dr. Günther Ebersold in seinem Buch „Buchen im Dritten Reich. Eine kleine Stadt unterm Hakenkreuz“, schrieb, seien jüdische Geschäftsinhaber durch Boykottmaßnahmen zum Verkauf ihrer Geschäfte gedrängt worden. So habe Max Sichel sein Textilgeschäft in der Marktstraße 29 an den damals 29-jährigen Kaufmann Linus Ritz aus Uissigheim „verkauft“. Dieser war nach den Recherchen von Ebersold Mitglied in veschiedenen NS-Organisationen, unter anderem in der NSDAP und der Deutsche Arbeiterfront. Das Haus in der Vorstadtstraße 15 wechselte unter ähnlichen Umständen seinen Besitzer. Leo und Julchen Meyer erhielten für ihre Immobilie 5700 Reichsmark. In der Wilhelmstraße 1 wurde die Familie Schüßler aus Rastatt neuer Besitzer des Geschäftshauses. Sie zahlte im Jahr 1938 an Adolf Oppenheimer 5600 Reichsmark. Eine Erklärung dafür, dass der Preis für das Haus unter dem Einheitswert gelegen habe, fand Ebersold im Generallandesarchiv Karlsruhe: „Doch war Herr Schüßler nicht zu bewegen, mehr für das Haus zu bezahlen. Ein anderer Liebhaber hatte sich nicht gemeldet. Der bisherige Besitzer war mit dem Preis einverstanden.“
Erzwungene Besitzerwechsel
Wie Ebersold erläuterte, durften die jüdischen Besitzer bis Ende 1938 über den Preis ihrer Gebäude noch verhandeln. Mit einem Gesetz vom 3. Dezember 1938 wurden sie zum Verkauf verpflichtet. Trotzdem wurde nach jedem erzwungenen Besitzerwechsel in der Beurkundung angemerkt, dass der Handel freiwillig geschlossen worden sei. Ebersold wies auch auf die sogenannten „Reichsfluchtsteuer“ hin. Diese hatte zur Folge, dass die das Land verlassenden Juden im Jahr 1934 fast zwei Drittel ihres Vermögens an die Deutsche Golddiskontbank abführen mussten. Im Jahr 1936 waren es bereits 81 Prozent, im Jahr 1938 schon 90 Prozent und im Jahr 1939 gar 96 Prozent.
An die Opfer von Zwangssterilisation könnte man am Haus Hofstraße 11 erinnern. Wie in der Schriftenreihe des Vereins Bezirksmuseum, Band 37, „In Sammeltransport nach unbekannter Anstalt verlegt“, zu lesen ist, hatte dort das Gesundheitsamts des Bezirkamts Buchen seinen Sitz. Dort wurde unter anderem entschieden, welche Bürger „wegen angeborenen Schwachsinns unfruchtbar zu machen“ seien. Stadtarchivar Tobias-Jan Kohler, Autor des Aufsatzes, schätzt, dass über 100 Frauen und Männern aus Buchen und den heutigen Stadtteilen Opfer von Zwangssterilisation wurden.
Ermordet in Grafeneck
Im selben Buch ist von Alfred W. zu lesen. Dieser wohnte in der Hofstraße 13. Er wurde im Rahmen des NS–Euthanasieprogramms 1940 zusammen mit 44 Männern und 29 Frauen ermordet. Der Buchener wurde nur 42 Jahre alt.
In der Amtsstraße 10 lebte Gertrude Sophie M. Sie wurde nur 32 Jahre alt. Auch sie wurde sehr wahrscheinlich in Grafeneck getötet. Ein weiteres Opfer, Hugo M., entstammte nach Angaben von Tobias-Jan Kohler dem früheren Gasthaus „Zum Grünen Baum“ in der Kellereistraße 18. Auch er wurde im Jahr 1940 in die Anstalt Grafeneck transportiert und am 17. Oktober ermordet.
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