Einweihung in Hettingen - Eiermann-Magnani-Haus wird Museum / Übergabe am 17. Juni / Hettinger Siedlung besteht seit 70 Jahren

Nach dem Krieg sichtbare Sozialpolitik betrieben

Von 
Karl Mackert
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Es ist ein großer Festtag nicht nur für Hettingen, sondern für die Stadt Buchen und die ganze Umgebung: Das Eiermann- Magnani-Haus wird am Sonntag, 17. Juni, eingeweiht.

Hettingen. Das Siedlungshaus in der Kolping-Straße 29 ist zu einer Dokumentationsstätte geworden, welche die deutsche Nachkriegsgeschichte wieder ins Blickfeld rückt.

Der Verein Eiermann-Magnani-Dokumentationsstätte Hettingen konnte dank vieler Spender das Haus zwar erwerben, aber finanziell das Projekt nicht stemmen. Durch den Einstieg der Wüstenrot-Stiftung und dank deren gewaltigen Unterstützung – und hier insbesondere durch den Geschäftsführer Professor Philip Kurz – war es möglich, das einzige, noch fast im völligen Urzustand befindliche Haus nicht nur zu erhalten, sondern auch in die Zeit der Erbauung (1946 bis 1948) zurückzuführen.

Ausstellungskonzept erarbeitet

Neben dem Landesdenkmalamt hat sich auch im besonderen Maße das „Haus der Geschichte Baden-Württemberg“ maßgeblich miteingebracht und das Ausstellungskonzept erarbeitet.

Diese Dokumentationsstätte, ein Museum der besonderen Art und einmalig in Deutschland, ist ein Zeugnis der Nachkriegszeit, in der Not und Elend alltäglich war. In Hettingen war die Wohnungsnot schon sehr angespannt, waren doch bereits über 360 Evakuierte aus den zerbombten Städten, meist Frauen mit ihren Kindern, in die Heimat zurückgekommen.

Drastisch wurde es dann im Frühjahr 1946, als dem damaligen Landkreis Buchen 22 000 Heimatvertriebene zur Aufnahme zugeteilt wurden. Hettingen musste nahezu 600 Heimatvertriebene und Flüchtlinge aufnehmen. Jetzt herrschte eine solche Enge in den kleinen Häusern, das es „fast nicht zum Aushalten und eine große Belastungsprobe“ ist, so beschreibt Pfarrer Heinrich Magnani die Lage von damals.

Pfarrer Magnani, der in den Kriegsjahren für seine Hettinger Gemeinde wie ein Fels in der Brandung war, hatte in dieser Zeit trotz strengsten Verbots durch das NS-Regime jeden Abend den damaligen Feindsender BBC London abgehört. So wusste er, was auf das zerstörte Deutschland nach Kriegsende zukommen würde und konnte die Gemeinde auf einen gewaltigen Umbruch vorbereiten. So gründete Magnani bereits 1945 die „Notgemeinschaft Hettingen“ (NG).

Hier waren die Gemeinde, Kirche und Caritas, die Kolpingsfamilie, die katholischen Jugendgemeinschaften und örtliche Vereine zusammengefasst. Während etwa 100 Frauen und Jungmädchen unter der Anleitung der Nähschulschwester Eugenda aus alten Uniformen und Stoffen aus Beständen der Wehrmacht Kleider nähten, bauten Kolpingssöhne das von der NSDAP angefangene Behelfsheim fertig. Wieder andere sorgten sich um eine Gemeinschaftsküche.

Die politische Gemeinde kümmerte sich um Baugelände. Am Ortsrand in Richtung Eberstadt wurde die benötigte Fläche bereitgestellt. Die Eigentümer tauschten ihr Gelände gegen Ackerland aus den Hettinger Pfarrpfründen. Eine spendenfreudige Hettinger Bevölkerung zeichnete das benötigte Startkapital von 300 000 Reichsmark. 50 000 Reichsmark kamen von Erzbischof Dr. Conrad Gröber von der Kirchenbehörde Freiburg.

Mit der Verpflichtung des später so berühmten Architekten Egon Eiermann, der in Berlin ausgebombt war und zu seinen Verwandten nach Buchen zurückkam, wurde dann der erste kirchliche Siedlungsbau in Deutschland in der kleinen Maurergemeinde Hettingen gestartet.

Stabile Häuser statt Baracken

Eiermann bestand darauf, keine Notunterkünfte oder Baracken, sondern stabile Häuser zu errichten. So haben der Pfarrer und der Architekt trotz der sehr unterschiedlichen Charaktere zu einem Duo zusammengefunden und alles unternommen, um lebenswerten Wohnraum zu schaffen. Der Initiator und Motor des ganzen Unternehmens, Pfarrer Heinrich Magnani, und der geniale Architekt und Visionär, Egon Eiermann, haben etwas geschaffen, was auch heute noch Bestand hat und ein Zeugnis von Integration in höchster Vollendung ist.

Als dann von Februar bis Oktober 1946 im vierzehntägigen Rhythmus die Flüchtlingstransporte am Seckacher Bahnhof eintrafen, konnte Pfarrer Magnani sie in seiner Eigenschaft als Caritasvorsitzender in Empfang nehmen und ihnen Mut und Hoffnung zusprechen. Er versicherte ihnen, wenn sie ihre Arbeitskraft als notwendiges Eigenkapital einsetzten, würden sie schon bald wieder ein Eigenheim mit Garten haben.

Noch bevor die von Eiermann gefertigten und am 19. Mai 1946 genehmigten Pläne vorlagen, wurden schon Ausschachtungsarbeiten durchgeführt. So entstanden bald im ersten Bauabschnitt 14 zweigeschossige Häuser.

Viele Hettinger haben durch kostenlosen Arbeitseinsatz Solidarität mit den Neubürgern gezeigt. Trotz vehementen Baumaterialmangels – alles war nur auf Bezugscheine zu bekommen – gelang es Pfarrer Magnani dank seiner vielfältigen Beziehungen, das Projekt „Hettinger Siedlung“ voranzutreiben.

So konnten die Siedlungshäuser bereits am Sonntag, 17. Oktober 1948, unter großer Beteiligung der Hettinger Bevölkerung eingeweiht werden.

Konzept breitete sich aus

Das Siedlungswerk, in Hettingen begonnen, fand in der Baugenossenschaft „Neue Heimat“, heute Familienheim, seine Fortsetzung und breitete sich über den Landkreis und ganz Deutschland aus. Hochrangige kirchliche und politische Vertreter besuchten die Hettinger Siedlung, um sich vor Ort ein Bild zu machen, wie hier die Aufnahme der Flüchtlinge gelungen ist.

Hettingen war gleichsam ein Modellfall einer christlichen Gemeinde, in welcher alles genauestens auf den Empfang der Heimatvertriebenen vorbereitet war.

Dankschreiben von Papst Pius XII.

Das wurde sogar durch den Vatikan gewürdigt, denn Papst Pius XII. selbst sandte seinen apostolischen Visitator für Deutschland, Erzbischof Dr. Aloisius Münch, nach Hettingen und ließ durch ihn ein persönliches Dankschreiben an Pfarrer Magnani für seinen Einsatz und sein selbstloses Wirken überreichen.

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