Karl-Trunzer-Schule in Buchen - Seit über einem Jahr als Gemeinschaftsschule aktiv / Erste Erfahrungen

Lernen mit Coaches und Begleitern

Von 
Martin Bernhard
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Kleine Schulklassen mit bis zu 20 Kindern sind Teil des Konzepts der Gemeinschaftsschule. © Martin Bernhard

Schule ohne Noten, ohne Hausaufgaben und ohne Klassenzimmer: Geht das? Die Verantwortlichen der Karl-Trunzer-Schule blicken auf ein Jahr als Gemeinschaftsschule zurück.

Buchen. Wer das herkömmliche Schulsystem durchlaufen hat, ist irritiert, wenn er die Karl-Trunzer-Schule (KTS) besucht. Klassenzimmer heißen hier Lernbüros beziehungsweise Lernlandschaft. Statt Frontalunterricht findet „angeleitetes Lernen“ im Inputraum statt. Zeugnisse enthalten keine Noten und heißen Lernentwicklungsbericht, der Elternsprechtag nennt sich Lernentwicklungsgespräch. Außer Lehrer und Eltern nimmt daran auch der Schüler teil, um den es geht. Streng genommen gibt es auch keine Lehrer und Schüler mehr. Lehrer heißen in einer Gemeinschaftsschule Lehr- und Lernbegleiter, Schüler sind Lernpartner.

Alles ganz normal

Für Philipp Schulz, 11 Jahre alt und Lernpartner in der Klasse 6b, ist das alles normal. Wenn er sich alle zwei Wochen mit seinem Lerncoach Marina Falkenberg zum Lerncoaching trifft, ordnet er Wolkenkärtchen mit Aufschriften wie „Das fällt mir noch schwer“ oder „Das kann ich besonders gut“ Schulfächern zu. Aber auch soziale Themen spielen eine Rolle. Gemeinsam mit Marina Falkenberg macht er sich Gedanken darüber, was er wie besser machen kann. Auf diese Weise sollen die Selbstreflexion und die Selbsteinschätzung des Kindes geschult werden. Natürlich bringt auch der Lerncoach seine Einschätzung des Lernpartners mit ein. Im Gespräch legt man Vereinbarungen für die nächsten beiden Wochen fest, die der Lernpartner in sein Lerntagebuch einträgt. Dieses legt er seinen Eltern zur Unterschrift vor.

Enge Beziehung

Marina Falkenberg ist Klassen-Lernbegleiterin der 6b, die 16 Lernpartner zählt. Sie teilt sich mit einer weiteren Lernbegleiterin die 20-minütigen Coachinggespräche. „Durch das Coaching entsteht eine enge Beziehung zu den Kindern“, stellte sie fest. „Diese trauen sich eher, etwas anzusprechen und werfen Ballast ab.“ Nach den Worten von Schulleiter Walter Scheuermann geht es in der Gemeinschaftsschule vor allem darum, dass Kinder das Lernen lernen. Jeden Freitag blicken sie in der letzten Schulstunde auf die abgelaufene Woche in schriftlicher Form in ihrem Lerntagebuch zurück und planen ihre Ziele für die kommende Woche.

Im Lernbüro sitzen die Kinder an Lerncontainern, in denen sie Bücher und andere Materialien aufbewahren. Die Container sind leicht versetzt angeordnet, so dass man zwar einen Sitznachbarn hat, aber auch ungestört arbeiten kann. Wem es dennoch zu laut im Raum ist, der kann sich vom Lernbegleiter einen Gehörschutz geben lassen.

Unterschiedliches Niveau

An der KTS lernen die Lernpartner der 5. und 6. Klasse in drei Lernstufen: dem grundlegenden- oder G-Niveau, dem mittleren oder M-Niveau und dem erweiterten oder E-Niveau. Damit trägt man der Tatsache Rechnung, dass Kinder oft unterschiedlich begabt sind oder unterschiedlich schnell lernen. Wer in Mathe zum Beispiel das höchste Niveau erreicht hat, kann in Englisch dennoch im G-Niveau angesiedelt sein. Der Übergang zwischen den Niveaus ist fließend. Noten erhalten die Kinder erst in der Abschlussklasse; das heißt, in der Klasse 9 diejenigen, die den Hauptschlussabschluss anstreben, in der Klasse 10 diejenigen, die die Mittlere Reife erwerben wollen.

„Schummeln und Abschreiben gibt es nicht in der Gemeinschaftsschule“, stellte Schulleiter Scheuermann fest. Stattdessen würden lernstärkere Schüler den Schwächeren helfen. Zum Beispiel während der sogenannten Lernzeit und während des „Individuellen Begleiteten Lernens“ (IBL), die beide im Lernbüro stattfinden. In dessen Mitte steht ein sogenannten „Info-Tisch“. Hat ein Lernpartner eine Frage, geht er zu diesem Tisch. Ein Klassenkamerad, der es sich zutraut, hilft dort diesem Lernpartner. Erst wenn die Lernpartner die Frage nicht klären können, wenden sie sich an den Lernbegleiter. Im Inputraum findet das sogenannte angeleitete Lernen statt in Form von Vorträgen, Referaten und Präsentationen.

„Das Lernen von- und miteinander ist sehr wichtig“, sagte Andrea Heinz, deren Zwillinge die Gemeinschaftsschule in Buchen besuchen. „Lernen kann nur in der Gemeinschaft gelingen.“ Ein Beispiel dafür ist das kooperative Lernmodell „DAV“, das aus Denken, Austauschen und Vorstellen besteht. Das Kind erarbeitet sich zunächst allein ein Thema, tauscht sich dann darüber mit einem anderen Lernpartner aus, bevor beide in einer Vierergruppe die Ergebnisse ihrer Arbeit vorstellen. Nach Meinung von Andrea Heinz ist die konventionelle Schule für viele Kinder ein „mühsamer Weg“. Sie würden dort zu „leidenschaftslosen Pflichterfüllern“ erzogen. Ganz anders sieht dagegen ihre Erfahrung mit der KTS aus. „Ich bin richtig erstaunt“, sagte sie. „Meine Kinder haben richtig Lust aufs Lernen.“ Nach den Worten von Walter Scheuermann macht den Kindern in der Gemeinschaftsschulen das Lernen nicht nur Spaß. Die Ergebnisse von Gemeinschaftsschulen, die seit längerer Zeit bestehen, zeigten, dass deren Absolventen beim Realschulabschluss ähnlich abschnitten wie Realschüler. Jeder zehnte ehemalige Gemeinschaftsschüler besuche ein Gymnasium.

Mehr Platz nötig

Wegen der besonderen Pädagogik und Didaktik einer Gemeinschaftsschule und der geringeren Klassenstärke braucht diese mehr Platz als eine konventionelle Schule. Neben dem Lernbüro benötigt jede Klasse einen Inputraum. An der KTS teilen diesen sich zwar zwei Klassen. Dennoch reicht der Platz nach den Worten von Walter Scheuermann nicht aus, wenn im nächsten Schuljahr die dritte Klassenstufe als Gemeinschaftsschule an der KTS unterrichtet wird. Das bedeutet für den Schulträger, die Stadt Buchen, dass man ins Schulgebäude investieren muss. Nach Megan Sopper, die als Gymnasiallehrerin eine 5. Klasse an der KTS unterrichtet, sollte es einem das Geld aber wert sein: „Wir wollen eine kindgerechte Schule statt schulgerechter Kinder.“

Redaktion

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