Kunst voller Geheimnisse und Offenbarungen - Ausstellung "... und weiß" mit Werken der Heidelberger Künstlerin Ellis Neu im Kulturforum Vis-à-Vis in Buchen eröffnet

Eine Wanderin zwischen den Welten

Von 
Tim Krieger
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Vernissage im Vis-à-Vis: Das Bild zeigt (von links) Bürgermeister Roland Burger, die Künstlerin Ellis Neu, die Kuratorin Ursula Drenker, Birgit Sommer vom Kunstverein, Dr. Susanne Himmelheber, Landrat Dr. Achim Brötel vor Arbeiten von Ellis Neu - einer Malerei und ihren typischen "Memory Boxen".

© Krieger

Buchen. Zu einer Reise in einen anderen Kunstkontinent macht sich der Kunstverein Neckar-Odenwald mit seiner am Sonntag im Buchener Kulturforum Vis-à-Vis eröffneten Ausstellung " ... und weiß" auf, die Arbeiten der Heidelberger Künstlerin Ellis Neu zeigt.

Ein anderer Kontinent in doppelter Hinsicht: Ihre Arbeiten wurden inspiriert durch Aufenthalte in Kanada und durch ihre Begegnung mit dem Volk der Inuit, der Menschen, die es geschafft haben, in der wohl unwirtlichsten Region der Erde, der Arktis, zu überleben und sich dabei sogar eine unverwechselbare und reiche Kultur geschaffen haben.

Birgit Sommer vom Kunstverein begrüßte bei der gut besuchten Vernissage ein äußerst interessiertes Publikum, das wie sie selbst neugierig geworden war, zu erfahren, für was die drei Punkte wohl stehen mochten, mit dem die Künstlerin im Ausstellungstitel das "weiß" kombinierte.

Für Bürgermeister Roland Burger, der - auch im Namen des ebenfalls anwesenden Landrats Dr. Achim Brötel - die offizielle Begrüßung sprach, verbinden sich mit dem Titel Assoziationen an das Geheimnisvolle. Sich den Blick dafür zu bewahren, gehört für ihn zum Lebendigsein - wer es nicht kennt, dessen "Auge ist erloschen", wie er aus dem Song "Über Weiß" von Lisa Bassenge zitierte. Und dass er sich an diesem für ihn so angefüllten Tag des Goldenen Mai in Buchen so viel Zeit nahm für die Kunst, das wurde ihm hoch angerechnet.

Die Kunsthistorikerin Dr. Susanne Himmelheber führte dann sachkundig, humorvoll und tiefgründig in das Werk von Ellis Neu ein. Sie näherte sich den Arbeiten - Assemblagen, Malereien, Plastiken und einer Installation - auf verschiedenen Ebenen und kehrte wie in einem Lied refrainmäßig immer wieder zu passenden Zitaten eines historischen "Besserwissers" aus dem 19. Jahrhunderts zurück, die, wie sie am Schluss ihres Vortrages enthüllte, alle von Goethe und aus seiner "Farbenlehre" stammten.

Die Rednerin machte deutlich, wie überaus reizvoll es ist, sich mit der Nicht-Farbe Weiß zu beschäftigen. Doch sie zeigte auch gleich zu Beginn ihres Vortrages, dass für die Arbeiten von Ellis Neu das Wort von besonderer Bedeutung ist. So spielt für sie die Lyrik von Paul Celan eine große Rolle, wie beispielsweise die Serie "Durch die Sternwüste" offenbart, die einem seiner Gedichte gewidmet ist.

Was zunächst kaum vereinbar erscheint, bringt die Künstlerin, doch zusammen: ihre starke Hingabe an diese zunächst so ganz fremde, stark eigenständige Kultur der nordamerikanischen Inuit und ihre genauso starke Verwurzelung in der westlichen Geisteswelt des 20. Jahrhunderts. Diese Herkunft zeigt sich in dem strengen Charakter der künstlerischen Form, die ihre Arbeiten annimmt: die strikt geordneten Assemblagen in ihren "Memory Boxen", ihre malerische und plastische Sprache, die viele Anklänge schwingen lässt - Art brut, Arte povera, Jean Dubuffet einerseits, dann die Subtilität einer feinen, von mystisch-spirituellen Inhalten geprägten Kunst in der Nachfolge Paul Klee andererseits - alles aber immer in ihrer ganz eigenen Handschrift dargeboten, dabei der Erforschung von Textur-Struktur und Symbol gleichermaßen hingegeben.

Und andererseits in den literarischen Bezügen, die darauf hindeuten, wie sie ihre eigenen Erfahrungen einzuordnen sich angewöhnt hat. Dann immer wieder die Bezüge auf die Einfachheit der Inuit-Welt, deren elementarer Zugang zur mächtigen Natur wie auch ihr Umgang miteinander, die sie als künstlerische Impuls in ihre Arbeit eingehen lässt. So das Geschichtenerzählen der Inuit, den Brauch der "Geschenkfeste", die Wertschätzung für das noch kleinste Stück, das die Natur herzugeben bereit ist. In ihren "Memory Boxen" kombiniert Ellis Neu ihre eigenen Erinnerungen an Erfahrungen mit der Kultur der Inuit mit eigenen Fundstücken, die sie zum Beispiel am St.-Lorenz-Strom gemacht hat.

Für diesen nur anfangs widersprüchlich scheinenden Hintergrund der Arbeiten von Ellis Neu zu sensibilisieren, gelang Dr. Himmelheber ausgezeichnet. Sie analysierte nicht trocken, sondern ließ den Kern dieser Kunst selbst lebendig werden.

Der Kunstverein hat mit Ellis Neu einen guten Fang gemacht, auch, weil ihre Arbeiten vorzüglich in das selbst so "weiße" Kulturforum passen. So viel Weiß - inneres Weiß, äußeres Weiß - da ist es umso faszinierender, dass die allerneuesten Arbeiten der Künstlerin plötzlich tiefschwarz sind, belebt von, wie Dr. Himmelheber assoziierte, weißen Sternschnuppen, die über die Bilder zucken. Wer sich diese Schau, die von der Malerin Ursula Drenker kuratiert wurde und bis zum 10. Juni zu sehen sein wird, entgehen lässt, verpasst eine Gelegenheit, einmal über etwas scheinbar so Einfaches nachzusinnen: über sich selbst "... und weiß"!

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