Hainstadt. Was in den vergangenen zwei Wochen in der Mehrzweckhalle Hainstadt stattgefunden hat, lässt sich kaum in Worte fassen. Sechs ausverkaufte Vorstellungen, hunderte bewegter Menschen, ein wachsendes Gemeinschaftsgefühl dank eines Bühnenprojekts, das weit über den Ort hinaus Aufmerksamkeit erregt hat. Viele Zuschauer sagten, sie hätten „so etwas noch nie gesehen“. Während am Premierenwochenende bewusst manches offen blieb, damit sich die späteren Besucher überraschen lassen konnten, darf nun endlich ausgesprochen werden, was das Publikum an allen sechs Abenden in seinen Bann gezogen hat.
Eine zentrale Rolle im Stück spielt Pater Ambrosius, der gemeinsam mit seinen beiden Mitbrüdern auftritt. Ambrosius will im Rahmen der Handlung ein neues Buch über die Geschichte Hainstadts verfassen, und so führt er die Zuschauer immer wieder in vergangene Zeiten, erzählt Episoden, kommentiert Ereignisse und lässt historische Szenen lebendig werden. Seine Mitbrüder begleiten ihn und verleihen diesen Erzählmomenten immer wieder eine humorvolle, persönliche oder nachdenkliche Note. Auf diese Weise entstehen jene Szenen, die das Publikum über alle sechs Abende hinweg besonders fasziniert haben: die Begegnung mit den Römern am Grenzwall, der kraftvolle Limesfall, der dramatisch inszenierte Bauernkrieg oder die Vorstellung der Grundherrschaften, die das Dorf über Jahrhunderte geprägt haben und die an „Les Misérables“ angelehnte Revolutionsszene, in der zu „Hört ihr, wie das Volk erklingt“ Fahnen geschwungen wurden und eine Menschenmenge in den Saal zog.
Historisch, spielerisch, ernst, heiter und voller Energie
Alle diese Sequenzen gehören zu den Geschichten, die Ambrosius und seine Brüder einander und dem Publikum erzählen, während sie an seinem Buch arbeiten. Dadurch wirkt das Stück an vielen Stellen zugleich historisch und spielerisch, ernst und heiter, erklärend und doch voller Energie. In diese Erzählung eingebettet ist die Handlung um zwei Familien, deren Beziehung zueinander das Dorfleben prägt. Die Brauerfamilie in der Mühle und die neu etablierte Wirtsfamilie Bundschuh gerieten immer wieder aneinander. Die Spannungen bildeten den Boden für die Liebesgeschichte, die das Stück trägt. Die Beziehung der Magd Helene und des Brauersohnes Johannes entwickelt sich zwischen Streit, Misstrauen und familiären Spannungen.
Dass diese Liebe trotz aller Widerstände wächst und schließlich gefeiert wird, sorgt im Verlauf der Aufführungen für viele ruhige, berührende und lustige Momente. Einen besonderen Eindruck hinterließ gleich zu Beginn der große Festzug zur Eröffnung des Gasthauses, der das Publikum unmittelbar in das dörfliche Leben der frühen 1920er-Jahre versetzte. Auch der kurze Traum vom Wolfstanz sorgte für einen besonderen Moment auf der Bühne.
Einer der emotionalsten Augenblicke des gesamten Abends war die Hochzeit der beiden, die in einer festlichen Szene dargestellt wird. Bruder Michel, einer der beiden Mönche, hatte den Wunsch zu Beginn des Stückes, einmal mit einer echten Nonne gemeinsam auf der Bühne zu singen, und genau dieser Wunsch erfüllte sich im Hochzeitstanz. Der Gesang, die Stimmung und die szenische Ruhe machten diesen Augenblick zu einem krönenden Abschluss des Stückes.
Nach dem letzten Vorhang folgte an allen Abenden noch ein ganz eigener Höhepunkt: die gemeinsame Zugabe. Alle Mitwirkenden versammelten sich ein letztes Mal auf der Bühne und sangen „Das alles ist Hainstadt“. Viele Zuschauer sangen mit, manche standen bereits beim ersten Refrain, und die Stimmung in der Halle war jedes Mal zum Greifen nah. Dass dieses Projekt weit über das Dorf hinaus Beachtung findet, zeigte sich besonders am Freitagabend der zweiten Woche: Ein Zuschauer hatte den Südwestrundfunk darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei „Gasthaus Ambrosius“ um ein außergewöhnliches Musical handele, das unbedingt dokumentiert werden müsse. Kurzerhand kam am Freitagabend ein Team des SWR in die Halle und zeichnete große Teile der Vorstellung auf. Der vier- bis fünfminütige Beitrag, der am heutigen Montagabend in der „Landesschau“ ab 18.15 Uhr ausgestrahlt wird, zeigt nicht nur Ausschnitte aus der Aufführung, sondern ist eine besondere Anerkennung für alle Mitwirkenden und ein weiterer Beweis für die außergewöhnliche Wirkung dieses Abends.
Mit dem Ende der sechsten Vorstellung bleibt ein Eindruck, der sich nur schwer über Worte einfangen lässt: Dieses Stück hat die Menschen über zwei Wochen hinweg zusammengeführt und ihnen Bilder gezeigt, die bleiben werden. Nicht nur wegen der historischen Themen, nicht wegen einzelner Szenen – sondern wegen der Art, wie alles ineinandergreift. „Gasthaus Ambrosius“ hat bewiesen, dass eine Dorfgemeinschaft Großes erschaffen kann, wenn viele bereit sind, Zeit, Können und Herzblut zu teilen. Und vielleicht liegt genau darin die besondere Stärke dieses Projekts: Es erzählt nicht nur Geschichte. Es hat selbst ein Stück Geschichte geschrieben.
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