Buchen. Vor etwas mehr als 100 Jahren starb der Gefreite Otto Hemberger im Alter von nur 22 Jahren bei der Schlacht um die russische Festung Osowiec. Den entscheidenden deutschen Giftgasangriff mitsamt anschließendem Gemetzel und der Flucht der deutschen Angreifer vor der Geisterarmee der "lebenden Toten" verpasste Hemberger damit um wenige Tage - ein kleiner Segen.
Erste Gefechte zwischen den deutschen Truppen und ihren russischen Gegnern gab es bereits im September 1914 an der zaristischen Festung, die heute auf polnischem Gebiet, in der Nähe von Bialystok, liegt. Bei den Soldaten war die von den Zaren Alexander II. und Alexander III. entworfene Festung auch als "russisches Verdun" gefürchtet.
"Russisches Verdun"
Diesen Spitznamen erhielt die Befestigungsanlage, bestehend aus vier durch Wälle und Gräben verbundene Forts, weil sie ihre Lage zu beiden Seiten des Flusses umgeben von Sümpfen schwer erreichbar und kaum angreifbar machte. Bei der militärischen Führung Russlands galt sie als uneinnehmbar. Dennoch wurde sie im ersten Jahr des Weltkriegs mehrfach von starken deutschen Kräften angegriffen.
Anfang Februar 1915 näherten sich erneut deutsche Truppen der Festung - ihre Annäherung stand im Zusammenhang mit der allgemeinen Offensivbewegung der deutschen Armeen in Ostpreußen. Dabei drängten die deutschen Truppen die Russen bis zu einem zweiten vorbereiteten Verteidigungsring zurück, den diese jedoch erfolgreich verteidigen konnten. Aufgrund der geringen Distanz war es den deutschen Kräften nun möglich, die Anlage direkt zu beschießen.
Alltag im Schützengraben
Der Buchener Gefreite Otto Hemberger kam am 24. Februar 1915 zur vordersten Front bei der Festung Osowiec. In einer Feldpostkarte an seine Familie zeigte er sich durchaus optimistisch: "Es ist ein gegenseitiger Artillerie-Kampf, wobei wir die Oberhand haben." In dem kurzen Text an Vater und Geschwister berichtete er auch vom Alltag im Schützengraben. "Bei Tag liegen wir in Deckung und haben im Allgemeinen Ruhe. Unsere Geschütze donnern sehr heftig und anscheinend wirkungsvoll." Nachts werde an den Verschanzungen gearbeitet, falls man nicht zur Wache eingeteilt sei. Selbst drei Tage nach Hembergers Ankunft im vordersten Schützengraben vor der russischen Festung stand seine Stellung noch nicht unter Beschuss. Bis zum Juli 1915 tobte der Artillerie-Krieg um die Festung - Brände brachen aus und Bauwerke zusammen. Der russische Verteidigungsring konnte jedoch nicht durchbrochen werden.
Am 2. August 1915 verstarb Otto Hemberger bei den Gefechtshandlungen im Alter von nur 22 Jahren - wie genau, ist nicht bekannt. Dem entscheidenden Angriff der deutschen Gastruppen auf die Festung entging er dadurch - ein kaum schlimmer vorstellbares Gemetzel blieb ihm so erspart.
Der Angriff der "Geisterarmee"
Die freigesetzte Chlorgaswolke tötete einen Großteil der Verteidiger auf qualvolle Weise. Ohne Schutzmasken blieben lediglich einige wenige Männer, die in hochgelegenen Stellungen dem Gasangriff entgingen, abwehrbereit. Die deutschen Kräfte begannen ihren Sturm auf die Festung in dem Glauben, keinerlei Gegenwehr anzutreffen.
Stattdessen warf sich ihnen eine "Geisterarmee" aus Männern in blutbesudelten Uniformen entgegen. Durch den Gasangriff in einen psychischen Ausnahmezustand versetzt, wehrten sich die letzten Verteidiger ohne Todesfurcht. Sie ließen sich auch von ihren vom Chlorgas verätzten Bronchien nicht aufhalten - unablässig Blut spuckend kämpften sie mit blutverschmierten Uniformen. Die deutschen Truppen hatten diesem ungewöhnlichen letzten Gefecht nichts entgegenzusetzen und ergriffen panisch die Flucht.
Die alliierte Presse griff dieses Kriegskuriosum auf und ließ die Legende vom Kampf der "toten Männer" entstehen, um Propaganda gegen die deutschen Truppen zu betreiben. Wenige Tage später begann jedoch eine allgemeine Rückzugsbewegung der russischen Truppen in Ostpolen: Osowiec wurde aufgegeben und verlor seine Bedeutung. Die russischen Kräfte sprengten alles, was nicht schon in Trümmern lag, und überließen dann die zerstörte Festung den deutschen Truppen.
Denkmale
Die Festung Osowiec liegt heute auf dem Gebiet des Biebrzanski-Nationalparks in Polen. Die Trümmer der Festung können teilweise besichtigt werden. Ein Museum ist eingerichtet. In Buchen wurde den Gefallenen des Ersten Weltkriegs an der Kirche St. Oswald ein Denkmal errichtet. Otto Hemberger ist hier namentlich aufgeführt.
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