Buchen. Anlässlich des Internationalen Tags der Demokratie veranstaltete die Initiative „Herz statt Hetze Neckar-Odenwald-Kreis“ zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung Stuttgart und der Volkshochschule Buchen am vergangenen Donnerstag in der Aula der Abt-Bessel-Realschule Buchen einen Themenabend „Demokratie heute, der Anfang vom Ende?“. Die Begrüßung und spätere Moderation der mit über 120 Gästen gut besuchten Veranstaltung oblag Lena-Marie Dold, Jonas Weber und Julia Kirschenlohr von „Herz statt Hetze“. Ein besonderes Willkommen galt dem Vizekanzler a.D. Franz Müntefering, den Teilnehmern an der Podiumsdiskussion, Lars Castellucci, MdB, Landrat Dr. Achim Brötel, Präsident des Deutschen Landkreistags und des Landkreistags Baden-Württemberg, Bürgermeister Roland Burger und zahlreichen Kreistagsmitgliedern.
Bürgermeister Burger betonte in seinem Grußwort am Vorabend des Tags der Deutschen Einheit, wie wichtig und unverzichtbar demokratische Werte gerade in der heutigen Zeit seien. Sein Credo: „An der Basis wird die Demokratie gelebt“. Und hier müsse man Tag für Tag daran arbeiten, dieses Recht zu erhalten. Kurz ging er noch auf den Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands ein und zog das Resümee, dass auch nach nunmehr 35 Jahren der Prozess der Wiedervereinigung noch nicht abgeschlossen ist, sondern das Lebensgefühl im Westen und Osten Deutschlands differiere und man immer noch keine Innere Einheit erreicht habe. Durch die politische Entwicklung in Ostdeutschland stehe auch die Demokratie auf der Kippe.
Erstmals zog Müntefering 1975 in den Bundestag ein
Nach zwei Gesangsvorträgen des Vokalensembles „Auftakt“ zu Freundschaft, Frieden und Freiheit eröffnet der frühere Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland, Franz Müntefering den Abend mit einem Impulsvortrag zum Thema Demokratie. Der 1940 im Sauerland geborene Politiker schildert in einem Abriss seines Lebens und Schaffens zunächst persönliche Erlebnisse in den schweren Jahren der Nachkriegszeit, seinen beruflichen Werdegang und seine politische Laufbahn. Seit 1966 ist er Mitglied der SPD, deren Vorstand er ab 1991 angehörte. Es folgten Mandate als Bundesgeschäftsführer der SPD, Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen, SPD-Generalsekretär und von 2004 bis 2009 Bundesvorsitzender der Partei. Erstmals zog Müntefering 1975 in den Bundestag ein und gehörte diesem 32 Jahre an. Der Tätigkeit als Minister in NRW folgte ab 1998 die Berufung als Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen unter Kanzler Gerhard Schröder, ab 2005 als Stellvertreter der Bundeskanzlerin Angela Merkel und als Bundesminister für Arbeit und Soziales.
Klare Worte, scharfzüngige Reden und kurze, prägnante Sätze, so beschreibt Müntefering treffend seine rhetorischen Fähigkeiten, Dinge auf den Punkt zu bringen. Einige viel zitierte Sätze „Opposition ist Mist. Lasst das die anderen machen – wir wollen regieren.“ oder „Wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren, das Spiel zu gewinnen, und nicht überlegen, mit wem wir nachher duschen gehen.“ oder auch den kapitalismuskritischen Vergleich von Finanzinvestoren mit Heuschreckenschwärmen nennt er als Beispiele, die heute noch in der SPD und darüber hinaus gerne wiedergegeben werden.
Politische Entwicklung in den USA bereitet Sorge
Alle Menschen sind gleich – die „Menschenrechte sind universell, unveräußerlich und unteilbar“, so zitiert Müntefering die Verkündung von Eleanor Roosevelt von 1948 und, um dies zu erhalten, muss man was machen! „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Art. 1 Grundgesetz). Dieses grundlegende Prinzip der Menschenrechte kann politisch gesehen nur durch aktive Handlung erreicht werden. Sorge bereitet Franz Müntefering die politische Entwicklung in den USA. Die Gefahr bestehe darin, dass durch ein dort eventuell erreichtes Wirtschaftswachstum der ökonomische Erfolg blende und demokratische Werte dann in den Hintergrund rücken. Hier und heute müsse daher Europa zusammenkommen und zusammenhalten und die Chance erkennen, sich als einheitliche demokratisch bestimmte Region für alle Menschen zu bilden. Den Frieden thematisierend folgt der Liedbeitrag „Da berühren sich Himmel und Erde“ und danach „The longest time“ durch das Vokalensemble „Auftakt“.
Als Vertreter verschiedener demokratischer Parteien nahmen an der folgenden Podiumsdiskussion teil: Dr. Mark Fraschka, Gemeinderat und Stadtverbandsvorsitzender, CDU, Marcel Emmerich, MdB, Bündnis90/Die Grünen, Patrick Haag, Kreis- und Gemeinderat, SPD und Georg Heitlinger. MdL, Kreis- und Gemeinderat, FDP. Die erste, von den Moderatoren gestellte Frage geht an Heitlinger: Ist die Demokratie stark genug, die Herausforderungen zu meistern? Der Befragte sieht Deutschland hier gut aufgestellt, kann sich aber die vielfach herrschende Unzufriedenheit nicht immer erklären.
Zur Fragestellung: „Welche Strategien gibt es gegen Rechtsextremismus?“ nimmt Dr. Fraschka Stellung, dass die demokratischen Parteien vor allen Dingen die Politik an die Menschen bringen müssen. MdB Emmerich ergänzt, dass zu viele Debatten geführt werden, die den rechts- und linksextremistischen Parteien in die Karten spielen. Auf Fragen, die die Bevölkerung bewegen, müsse die Politik Antworten finden und die Idee der Demokratie vermitteln. Beim oftmals als negativ empfundenen Kontakt zu Behörden und Ämtern müssen Verbesserungen erfolgen.
Patrick Haag sieht auf die Frage, wie man denn Jugendliche für die demokratischen Werte gewinnen könne, die Antwort darin, dass man diesen vor allem auf Augenhöhe begegnen solle und in Schulen oder Vereinen deren Probleme ernst nehme und durch Gespräche Lösungen finden müsse. Dr. Fraschka sieht die Chance zum Wechsel ebenfalls in persönlichen Ansprachen und der Ermutigung, den demokratischen Weg mitzugehen. Marcel Emmerich plädiert dafür, Jugendliche durch Gespräche in politische Entscheidungen einzubinden.
„Welchen Einfluss haben die Sozialen Medien auf die Jugendlichen?“ Hier sieht Emmerich die Gefahr, dass „spannende“ Fake-Information die Nutzer auf den falschen Weg führen. Zwingend müsse man auch eine adäquate Antwort auf die von amerikanischen und chinesischen Firmen dominierten Plattformen finden, wobei hier mit dem „Digital Services Act“ ein transparenter europäischer Rechtsrahmen entstehe. Kreisrat Haag sieht Social Media als Fluch und Segen zugleich. Eine Gefahr ist die gegebene Anonymität, das Face to Face gehe verloren. Seine Devise: „Sag's mir ins Gesicht und schreib es nicht in Social Media“. MdL Heitlinger berichtete aus eigener Erfahrung, wie durch KI und Zusammenschnitte Verfälschungen im Netz publiziert werden, die als echt wahrgenommen werden.
Die letzte Frage geht an Franz Müntefering: „Können junge Menschen in der Demokratie was bewegen“. Kurz und knackig die Antwort: „In die Diskussion begeben, Klappe aufmachen, miteinander sprechen.“
Fragen aus dem Publikum an alle
Moniert wird aus dem Publikum, dass in Sitzungen des Bundestags oder Landtags immer wieder zu beobachten sei, dass Politiker während Redebeiträgen auf ihren Smartphones „rumdaddeln“. Wertschätzung als Teil der Demokratie sei hier nicht vorhanden. Emmerich und Heitlinger bestätigen diese „Unsitte“, weisen aber darauf hin, dass während Plenarsitzungen auch oftmals gearbeitet werde und hierfür die Eingabegeräte genutzt werden.
Zur Frage „Was ist Demokratie wert?“ antwortet Heitlinger, dass ein Weg zur Wertsteigerung sein kann, die politische Bildung an den Schulen flächendeckend zu forcieren. Müntefering definiert Politik als den Versuch, gemeinsam Lösungen zu finden, um das Land für alle! Menschen lebenswert zu machen. Emmerich regt Bausteine für demokratische Bildung an, sei es über die Schulen oder auch durch weitere Ausdehnung der Zentralen für politische Bildung und Dr. Fraschka sagt, dass die Demokratie den Menschen alles wert sein muss. Deutschland stehe hier unter großem Druck und es sei immer schwieriger, Mehrheiten zu finden, um unsere Demokratie zu erhalten.
Letzte Frage des Abends. „Demokratie heute, der Anfang vom Ende?“ Die Antworten: viermal Nein. In einem abschließenden Resümee zur Veranstaltung wird Alexander Weinlein von „Herz statt Hetzte“ als Hauptorganisator gedankt, bevor mit den Liedern „Freude schöner Götterfunke“ und „We shall overcome“ der Abend ausklingt.
Die nächsten Veranstaltungen finden am 8. November im Burghardt-Gymnasium Buchen „Parallelen zwischen Trumps Maga-Bewegung & der AfD“ und am 12. Januar im Verdi-Zentrum Mosbach „Die AfD und die soziale Frage“ statt, nachzulesen unter www.herzstatthetze-nok.de.
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