Unterschüpf/Üttingshof. Dankesworte richtet die Vorsitzende an die Kooperationspartner des Vereins, an die Realschule St. Bernhard Bad Mergentheim und an die Kulturkirche Unterschüpf. Andreas Stierle, Leiter des Förderkreises Kulturkirche, betont die Wichtigkeit und den Erfolg dieser Partnerschaften.
Gespanntes Publikum
Die Zuschauer sind gespannt. „Rotkäppchen bringt die Märchenwelt total durcheinander“, kündigt Ulrich Lauterbach in der Rolle des Jägers ihren Auftritt an. Wie soll man sich das vorstellen? Rotkäppchen – eine Rebellin, eine Revolutionärin? Vielleicht Mitglied bei „Fridays for Future“ oder gar bei Greenpeace: „Rettet den Märchenwald“? Da kommt sie, zupft das Schürzchen zurecht, macht eine schüchterne Verbeugung: „Muss ich mich vorstellen?“ Nicht nötig! Ja, das ist das Rotkäppchen, wie man es aus Kindertagen kennt – klein, lieb, niedlich. Dieses Mädchen soll die Märchenwelt auf den Kopf stellen? Dieses Kind, das nie erwachsen geworden ist, gefangen in einer Endlosschleife im eigenen Märchen?
Rotkäppchen hat Glück. Nach über 200 Jahren befreit Anna Christina Harandt das arme Mädchen aus seiner festgefahrenen Geschichte und macht sie zur Heldin des Theaterstückes. Delilah Döhner und Sophia Witzel teilen sich die Hauptrolle.
Schnell wird klar: Dieses Rotkäppchen ist anders. Ein aufgewecktes, kritisches Mädchen, das Fragen stellt: „Wer bin ich?“ „Wie sehen mich andere, was erwarte ich selbst vom Leben?“ „Was, wenn mir der Mut fehlt, wenn ich Angst habe vor dem Unbekannten?“ Die innige Zwiesprache zwischen Mutter (Bärbel Reinhard) und Tochter (Sophia Witzel) ist eine der berührendsten Szene des Stückes.
Behutsam führt die Mutter das Mädchen weit zurück in die Kindheit, in eine Zeit jenseits seines Bewusstseins – noch eingehüllt vom Urvertrauen und schon umfangen von Liebe. „Eine Umarmung zeigt dir, ich lieb’ dich sehr“.
Es singt unter der Leitung von Priska Hirsch der Unterstufenchor der Schule „St. Bernhard“ – ergänzt durch zwei Solistinnen (Sabine Ries und Maja Reuter).
Waldhörner erklingen (Uwe und Florian Kaplirz zu Sulewicz). Dunkel liegt der Wald vor Rotkäppchen – undurchschaubar, unheimlich. Sie ist auf dem Weg zur Großmutter (Ros-witha Kraus). „Guten Morgen Rotkäppchen. Na, was machst du denn heute Schönes.“ Die „Anmache“ kennt man! Doch es ist nicht der Wolf, der üble Verführer. Es sind die Eule (Monika Schumann) und der kecke Rabe „Huggi“ (Frank Scheufele), die Rotkäppchens Angst spüren und ihr Mut machen.
Zufällig kommt der Jäger mit Gattin (Hanna Marie Leyrer) und Sohn (Jannik Bauer) auf einem Spaziergang vorbei. Waldtiere gesellen sich dazu: Ein Eichhörnchen (Ursula Döhner), ein kleiner Fuchs (Maja Reuter), eine Fledermaus (Nadine Bauer) und der Rabe „Manni“ (Michael Illig).
Rotkäppchen lernt den Wert der Freundschaft schätzen. „Freunde sind wie Licht auf einem dunklen Weg“, sagt ein Sprichwort. Zwei Mädchen schließen sich an, auf der Suche wie Rotkäppchen. Sie haben sich hoffnungslos verlaufen und wissen nicht mehr, in welche Märchen sie gehören. Rotkäppchen nennt sie Goldlöckchen und Goldmarie (Bettina Friedmann, Jessica Hammrich).
„Rotkäppchen will den Wolf treffen“, zwitschern inzwischen die Vögel von allen Bäumen. Auch der Wolf (Frank Dimler) hat vom Plan des dreisten Mädchens erfahren. Nicht jeder, der ein großes Maul hat, ist auch mutig. Dem Wolf ist das „neue“ selbstbewusste Rotkäppchen jedenfalls nicht geheuer. Doch er muss sich zusammenreißen, wenn er nicht ganz sein Gesicht verlieren will. Munkeln die Waldtiere doch schon, er fürchte sich vor einem kleinen Mädchen, und Rabe „Huggi“, dieser Ausbund an Respektlosigkeit, wirft ihm ein knallhartes „Angsthase“ an den Kopf. Als wenn das alles noch nicht schlimm genug wäre, muss er auch noch erfahren, dass er es inzwischen mit drei Mädchen zu tun hat! Das ist selbst für den gefräßigsten Wolf zu viel. Er flieht in eine Wurzelhöhle und versteckt sich. Da mag die Eule alle Überredungskunst anwenden und schwätzen, so viel sie will. Er traut dem Braten nicht.
Die Zeit ist reif für Veränderung
„Veränderung wächst still und leise und zeigt sich erst, wenn sie groß und stark ist“ – die kluge Eule weiß, die Zeit ist reif. Mit Blitz und Donner zieht ein Gewitter auf, von der Technik (Kris und Niklas Braun) so überzeugend inszeniert, dass man versucht ist, in seiner Tasche nach einem Regenschirm zu kramen. Rotkäppchen findet Schutz in einer Höhle. Sie ahnt nicht, dass sie einen Mitbewohner hat.
Während draußen der Donner kracht und der Sturm heult, kommen sich die beiden so nahe, wie man sich nur nahekommen kann, wenn man bereit ist, eine alte Feindschaft zu begraben, Vorurteile über Bord zu werfen und einen Neuanfang zu wagen. Delilah Döhner und Frank Dimler spielen herzberührend das zarte, vorsichtige Annähern, das Entstehen von Vertrauen und Freundschaft.
Am Ende kehrt wieder Ordnung ein in der Märchenwelt. Die beiden verirrten Mädchen finden mit Hilfe von Rotkäppchen und ihren Freunden in ihre eigenen Märchen zurück. „Lass die Sonne wieder aufgeh’n“ – mit diesem hoffnungsvollen Song, der wie alle anderen Stücke aus der Feder von Martin Wutz stammt, endet das bezaubernde „Märchen-Musical“.
An einer Blumenwiese beginnt die Erzählung der Brüder Grimm. An einer Blumenwiese endet die Geschichte von Anna Christina Harandt. Bunt und verlockend liegt das Leben vor Rotkäppchen, ausgebreitet im Licht der Morgensonne. Diesmal darf sie die Wiese entdecken und Blumen pflücken nach Herzenslust – ohne schlechtes Gewissen. Ein Kind ist erwachsen geworden.
Die Schauspieler haben wieder einmal ihre unglaubliche Vielseitigkeit bewiesen – in ihren Bühnenrollen, mit Tanzeinlagen und sogar als Gesangssolisten. Begeisterter Applaus belohnt diese beeindruckende Leistung. Frederike Umscheid hat ihr Debüt als Leiterin des Inklusionstheaters „Sprungbrett“ mit Bravour gemeistert. Sie hat die Schauspieler gefordert und ihnen eine Menge zugetraut. Der Erfolg gibt ihr recht. Trotz intensiver Probenarbeit ist die Freude nicht auf der Strecke geblieben. Ein Blick in die glücklichen, strahlenden Gesichter sagt alles. Was für eine tolle Truppe! Was für ein Theater!
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