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Wie man Stress im Alltag erkennen und behandeln kann

Laut Umfragen sind die Deutschen ein gestresstes Volk. Eine Vielzahl der Befragten gab an, beruflich oder privat gestresst zu sein, Tendenz steigend. Dabei sind die Folgen gefährlich und Lösungen teilweise recht simpel.

Von 
Simon Retzbach
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Die Smartwatch schlägt Alarm. Doch auch ohne technische Hilfsmittel kann man Stress erkennen und behandeln. © dpa

Bad Mergentheim/Odenwald-Tauber. Gesundheitsberaterin Franziska Becker von der Kurverwaltung Bad Mergentheim befasst sich mit dem Themenkomplex „Stress“ und steht den FN im Interview Rede und Antwort.

„Deutschland ist ein Land der Gestressten“. Würden Sie dem zustimmen?

Franziska Becker: Das kommt ganz darauf an, um was für eine Stressform es sich handelt. Es gibt positiven Stress, der sogenannte Eustress. Dieser wird gern angenommen und kann uns sogar stärker machen. Aber wenn wir in diesem Fall vom Distress, dem als negativ empfundenen Stress ausgehen, dann würde ich sagen, dass zumindest im Vergleich zu beispielsweise den Südländern auffällt, dass sie zumindest nach außen hin deutlich gelassener leben als wir Deutschen. In Deutschland ist „Leistung“ schon von Beginn an ein Thema. Man „muss“ funktionieren. Und so macht man sich eben auch viel Stress selbst.

Was sind denn klassische Stressquellen?

Becker: Neben dem wohl größten Faktor Arbeit/Beruf liegt das Familienleben dicht dahinter. Eine Ehekrise oder das Pflegen der Eltern verursacht sehr viel Stress. Für junge Erwachsene sind die Sozialen Medien und der ständige Vergleich des eigenen Lebens mit Idealbildern eine unbewusste, jedoch enorme Stressquelle.

Menschen empfinden Stress sehr individuell. Woran erkennt man Stress überhaupt?

Becker: Zunächst können verschiedene körperliche Symptome auftreten. Bei Frauen sind beispielsweise Hautprobleme oft ein typisches Zeichen für langanhaltende Stressphasen. Aber auch Schlafstörungen und Haarausfall können Erscheinungen sein, die uns mitteilen, dass wir eine Pause machen sollten. Auch nicht selten ist eine Gewichtszu- oder abnahme. Verhaltensmuster, die sonst nicht da sind, können auftreten. In meinem persönlichen Umfeld tendieren Männer dazu, in Stresssituationen cholerisch zu werden. Frauen reden eher auch mal offen darüber oder suchen ein lösungsorientiertes Gespräch.

Gibt es Menschen, die grundsätzlich keinen Stress empfinden?

Becker: Ich glaube nicht, dass es völlig stressbefreite Menschen gibt. Eher gibt es Menschentypen, die mit Stress besser umgehen können. Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Wesen eines Menschen und der Neigung zu Stress: So wissen wir inzwischen, dass Menschen, die hohe Werte im Bereich Neurotizismus erreichen, von der Veranlagung her leichter reizbar sind als der Durchschnitt. Das heißt auch, dass Stress sie leichter „verwundet“. Menschen, die eher niedrigere Werte im Bereich Neurotizismus aufweisen, sind dagegen eher resistent im Umgang mit Stress. Meist sind es eher offenere Menschentypen, die eine Vielfalt an Erfahrungen schätzen und die Spontansituationen nicht negativ, sondern als Herausforderung wahrnehmen. Weniger offene Menschen versuchen solche Situationen zu vermeiden und planen viel im Vorfeld. Da ist die Tendenz höher, Stress negativ zu wahrzunehmen.

Kann man sich diese Offenheit antrainieren? Das könnte ja ein unkomplizierter Weg zur Stressreduktion sein.

Becker: Es gibt in der Forschung vorläufige Hinweise darauf, dass wir unsere Persönlichkeit bewusst ein Stück weit verändern können. Wenn ein Mensch daran wirklich etwas verändern möchte, dann muss er sich vermutlich Tag für Tag darauf fokussieren, wie er über Situationen denkt, sie erlebt und sich in ihnen verhält. Das ist allerdings ein sehr langwieriger und komplexer Prozess, der Zeit braucht.

Was kann ich tun, wenn ich den Stress wahrnehme?

Becker: Das ist situationsabhängig und sehr vielseitig. Generell ist Bewegung aber immer eine gute Maßnahme, um das Stresslevel zu minimieren. Dabei geht es nicht um Sport an sich, sondern darum, sich bewusst zu bewegen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Yoga, Qi-Gong oder Meditation. Wem dafür nicht der Sinn steht, der tut sich schon mit einem Spaziergang in der Natur etwas Gutes. Wer gern sportlich unterwegs ist, findet seinen Ausgleich in seiner für sich am besten geeigneten Aktivität. Auch bewusstes Atmen ist eine sehr effiziente Möglichkeit, Stress zu lindern und zu innerer Ruhe zu kommen. Zudem ist eine bewusste und ausgewogene, gesunde Ernährung wichtig. Stressesser brauchen viel Fett und Zucker, greifen so häufiger zu Süßigkeiten oder fettreichen, sehr würzigen Snacks. Bewusstes Essen, für das man sich Zeit nimmt, ist somit ein weiterer Baustein zur Stressbewältigung.

Gibt es Tipps zur Vorbeugung?

Becker: Dem Stress vorzubeugen gelingt im Prinzip mit eben erwähnten Möglichkeiten. Versuchen Sie, genügend Schlaf zu bekommen, setzen Sie sich Prioritäten, nehmen Sie sich Zeit für das, was Ihnen wichtig ist und woran Sie Freude haben. Versuchen Sie Ihre Achtsamkeit zu trainieren, das wirkt sich ebenfalls sehr positiv auf Stresssituationen aus.

Wenn niedrigschwellige Maßnahmen wie Bewegung und bewusstes Atmen nicht (mehr) helfen, welche Möglichkeiten bleiben dann?

Becker: Die erste Anlaufstelle, um sich Hilfe zu suchen, ist der Hausarzt. Oft kann man hier direkt schon eine Möglichkeit finden um das „gröbste“ in den Griff zu bekommen. Natürlich gibt es in der Pharmaindustrie unzählige Medikamente, die den „ersten Knall“ etwas abdämpfen können, eine dauerhafte Lösung sollte das jedoch, wenn möglich, nicht sein. Dann wäre eine Therapie meiner Meinung nach der langanhaltendere und gesundheitsfördernde Weg.

Woran merke ich, dass ich professionelle Hilfe brauche?

Becker: Das ist nicht leicht, weil die Übergänge zwischen Eu- und Distress so fließend sein können. Man merkt es oft erst, wenn es schon fast zu spät ist. Den Kollegen hat man bereits angemotzt, den Hörer mitten im Gespräch aufgelegt oder die Waage überrascht uns. Ein sinnvoller Zeitpunkt ist auf jeden Fall, wenn ich anfange, mich selbst zu fragen, ob ich ein Problem mit Stress habe.

Wie sieht eine Therapie gegen Stress genau aus?

Becker: Es kommt ganz darauf an, wie „stark“ der Stress zugeschlagen hat. Der Arzt wird eine ausführliche Anamnese durchführen, um dann herauszufiltern, wo die Ursachen liegen könnten. Daraus resultiert ein Therapieplan, der auf die Gesundheit des Patienten abgestimmt ist, mit dem Ziel, dass dieser durch die Maßnahmen wieder am Leben teilnehmen kann.

Mittlerweile ist der Begriff der Work-Life-Balance vermehrt ein Thema. Das klingt danach, als ob Menschen zunehmend ein Bewusstsein für Stress und den Wunsch nach Entschleunigung entwickelt haben...

Becker: Work-Life-Balance, wie sie oft dargestellt wird, ist für den Durchschnittsmenschen nicht machbar. Sich damit zu vergleichen, bringt eher noch mehr Stress und Versagensgefühle in uns hoch. Sich ein gesundes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit zu gestalten wäre hier der sinnvollste Weg. Nichts sollte so überwiegend stark in unserem Alltag sein, dass wir das Gefühl haben, wir werden davon bestimmt.

Redaktion

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