„Sicherheit ist gesamtgesellschaftlich“

Vom Schlummern zur Stärke: Deutschland formt Reserven und Resilienz

Beim 28. Ketterberg Dialog erläutert Prof. Sensburg, wie Unternehmen zur gesellschaftlichen Resilienz beitragen können.

Von 
Felix Röttger
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28. Ketterberg-Dialog: Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitte) referierte im Bad Mergentheimer Kursaal zum Thema „Reserve und Resilienz bei neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft – im Zusammenwirken mit dem Operationsplan Deutschland“. Neben ihm Rainer Bürkert (rechts), Geschäftsbereichsleiter der Würth-Gruppe und Geschäftsführer der Würth Industrie Service sowie Armin Rother (links), Leiter Ausstellungen der Würth Industrie-Service. © Felix Röttger

Bad Mergentheim. Zahlreiche Gäste aus Wirtschaft, Verwaltung und Organisationen hatte der 28. Ketterberg Dialog im Kursaal gefolgt. Der diesmal geringere Anteil an feldgrauen Schulterklappen war kein Mangel, sondern ein starkes Signal: Sicherheitspolitik geht alle an, nicht nur die Streitkräfte.

Rainer Bürkert, Geschäftsbereichsleiter der Würth-Gruppe und Geschäftsführer der Würth Industrie Service, zeigte sich erfreut über die große Resonanz, auch von vielen ranghohen Vertreter der Bundeswehr. Prof. Dr. Patrick Sensburg, Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, gab mit seinem Vortrag „Reserve und Resilienz bei neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft – im Zusammenwirken mit dem Operationsplan Deutschland“ die inhaltliche Richtung des Abends vor.

Schon zu Beginn betonte Bürkert das gesamtgesellschaftliche Engagement der Würth Industrie Service und rief zu Spenden auf, diesmal für das Soldatenhilfswerk der Bundeswehr. Der 27. Ketterberg Dialog hatte 2.000 Euro für die Hilfe von Kindern in Krisen- und Konfliktgebieten erbracht.

Bürkert zeigte sich überzeugt, dass es in Zukunft ohne eine Verstärkung der territorialen Reserve nicht gehen werde. Resilienz im Inland beinhalte nicht Passivität, sondern aktives Sich-Vorbereiten: „Wir brauchen die Hilfe und das Wohlwollen jedes einzelnen Unternehmers, um das Thema Resilienz aufs Gleis zu bringen“.

Damit lag er ganz auf der Linie des Referenten, der daran erinnerte, dass sicherheitspolitische Themen in Zeiten der Entspannung kaum eine Rolle spielten, während die Nationen ihr Militär deutlich verkleinerten. Heute sehe man, dass „die Welt nicht friedlicher wird, sondern man in Frieden investieren muss.“ Sicherheitspolitisch sei in Deutschland fast alles reduziert worden, was man aus den Zeiten des Kalten Krieges noch gekannt habe, gipfelnd 2011 in der Aussetzung der Wehrpflicht. Damals habe er als einziger Unions-Abgeordneter im Bundestag dagegen gestimmt, wohl wissend, dass man solche Strukturen in 20, 30 Jahren nicht mehr „mal eben“ wieder aufbauen könne.

Wehrpflicht als Schlüssel zur Nato-Zielerfüllung

Erst gegen Ende der halbstündigen Fragerunde kamen die nüchternen Zahlen zur Sprache: Der Referent machte deutlich, dass die von der Nato im Juni 2025 in Brüssel beschlossenen Fähigkeitsziele für Deutschland ohne eine Rückkehr zur Wehrpflicht kaum erreichbar seien. Demnach soll die Bundeswehr künftig über 460.000 Soldatinnen und Soldaten verfügen, darunter 200.000 aktive Kräfte und 260.000 Reservisten. Aktuell zählt die Bundeswehr rund 180.000 aktive Soldatinnen und Soldaten sowie etwa 51.000 Reservistinnen und Reservisten.

Zugleich betonte der Prof. Sensburg die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber mit vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten. Er zeigte sich optimistisch, dass noch ungenutzte Potenziale vorhanden sind, um den personellen Bestand der Reserve weiter auszubauen. Besonders kritisch bewertete er den Verlust des sogenannten R1-Bestands; einer Datenbank mit rund 900.000 ehemaligen Soldatinnen und Soldaten, darunter zahlreiche mit Auslandseinsatzerfahrung. Viele seien grundsätzlich bereit, ihr Wissen weiterzugeben, doch seien die entsprechenden Datensätze gelöscht worden und damit nicht mehr verfügbar.

„Brandwache statt Rauchmelder“

Am prominenten Beispiel des 2020 stillgelegten Berliner Flughafens Tegel, für den Pläne zur zivilen Nachnutzung mit Wohnbauprojekten oder einer Flüchtlingsunterkunft gestoppt wurden, verdeutlichte Prof. Sensburg die sicherheitspolitische Neubewertung und die Rückkehr militärischer Präsenz in urbanen Räumen. „Wir haben Liegenschaften, die schlummern so vor sich hin“, meinte der Referent, um dann bewusst zuzuspitzen: „Wenn es am Rauchmelder liegt, dass ich in der Kaserne keine Rekruten mehr unterbringen kann, dann stelle ich eine Brandwache auf.“ Weiter regte er an, Kasernen künftig als „privilegierte Vorhaben“ nach Paragraf 35 Baugesetzbuch (BauGB) einzustufen, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.

Würth statt Wehr: Eine Liegenschaft als Wirtschaftsmotor

Viele bereits aufgegebene militärische Liegenschaften müssten erneut für die Bundeswehr aktiviert oder erhalten werden. Grund dafür sei der gestiegene Bedarf an Infrastruktur im Zuge der geplanten Vergrößerung der Streitkräfte und der Umsetzung des „Operationsplans Deutschland“. Auch wenn Deutschland künftig wieder mehr Kasernen und Ausbildungsstandorte benötige, um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu sichern, bleibe Bad Mergentheim außerhalb jeglicher Diskussion. Der einstige Bundeswehrstandort, früher Heimat der Panzerbrigade 36, sei heute ein bedeutender Wirtschaftsstandort der Würth-Gruppe und ein Leuchtturm geglückter Konversion.

Transparenz kontra Sicherheit

Auch wenn der Impuls erst in der Fragerunde kam: Ein Vertreter des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport unterstrich die Bereitschaft des zivilen Sektors, Verantwortung zu übernehmen und Resilienz als gemeinsame Aufgabe zu begreifen: „Wir konnten aus Datenschutzgründen nicht direkt unsere 20.000 Mitarbeiter befragen, wer Reservist, Mitarbeiter bei der Feuerwehr oder beim THW ist.“ Der Referent nahm dies zum Anlass, ironisch festzustellen: „Wenn wir in Deutschland ein Vorhaben verhindern wollen, dann reden wir vom Datenschutz oder vom Brandschutz.“ Tatsächlich beruhigte der Volljurist und Jura-Professor Sensburg den Fragesteller, dass man freiwillig diese Auskünfte bekommen könne, ohne mit der Datenschutz-Grundverordnung Probleme zu bekommen.

Wie Unternehmen zur Resilienz beitragen können

Sicherheit ist längst keine rein militärische Aufgabe mehr; das machte der Referent unmissverständlich deutlich und plädierte für eine enge Verzahnung von Reservisten, Behörden und Bevölkerung. Gerade in Zeiten wachsender globaler Unsicherheiten sei es entscheidend, dass nicht nur die Bundeswehr, sondern auch zivile Akteure Verantwortung übernehmen und Resilienz als gemeinsame Aufgabe begreifen. Als verbindendes Element zwischen Streitkräften und Gesellschaft verwies er auf die Rolle der Reserve: Sie sei strategische Ressource und zugleich Brücke in einem sich wandelnden sicherheitspolitischen Umfeld.

Prof. Sensburg zeigte sich offen für neue Anreize, um das Engagement von Unternehmen für die Reserve zu stärken. Eine Auszeichnung als „Partner der Reserve“ sei ein wichtiges Signal der Anerkennung – denkbar sei, so Sensburg, diese künftig mit einer Bevorzugung bei öffentlichen Aufträgen zu verbinden. Damit könne man nicht nur das sicherheitspolitische Bewusstsein in der Wirtschaft fördern, sondern auch die gesellschaftliche Verankerung der Reserve weiter stärken.

Alt im Wortlaut, neu in der Realität

Auch die verfassungsrechtliche Dimension blieb nicht unerwähnt. Der Referent erinnerte an Artikel 12a des Grundgesetzes, der die Heranziehung von Bürgern zu Dienstpflichten im Verteidigungsfall regelt; darunter auch die Möglichkeit, Angehörige des Bundesgrenzschutzes einzubeziehen.

Ausgehend von einer Publikumsfrage zur praktischen Umsetzung der geplanten Wehrpflicht ab 2026, insbesondere angesichts der abgeschafften Kreiswehrersatzämter, machte der Referent eine klare Ansage: Man rechne mit rund 600.000 Personen pro Jahrgang, die über einen Abgleich mit den Einwohnermeldedaten angeschrieben und zur Rückmeldung aufgefordert werden sollen. Männer seien dabei gesetzlich verpflichtet, Auskunft über ihre Wehrdienstbereitschaft zu geben; Frauen könnten sich freiwillig äußern. Die Befragung diene der Vorbereitung und Auswahl für eine spätere Musterung, die ab 2028 erfolgen soll. Diese könne beispielsweise durch zivile Ärzte in Reservefunktion durchgeführt werden; etwa im Rahmen von Wehrübungen und über einen längeren Zeitraum gestreckt.

Resilienz, so Prof. Sensburg, beginnt nicht erst im Ernstfall, den sich niemand wünscht, sondern im Alltag durch Haltung und Mitverantwortung. „Nicht reden, was nicht geht – sondern wie es geht“. Es war eine Botschaft, die – dem Applaus nach zu urteilen – auf breite Zustimmung stieß.

Die „Ketterberg Dialoge“ werden fortgesetzt am 9. Dezember sowie am 19. Februar und 23. April 2026.

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