Bad Mergentheim. Der Mann macht schon rein optisch einen ordentlichen Eindruck: Er trägt trotz des tropischen Sommerabends einen seriösen Dreiteiler samt Namensschild, wobei letzteres mit dem Schriftzug "Namensschild" bemerkenswert präzise beschriftet wurde. Dass es sich bei dem Mann um Ursus Wehrli handelt, dürfte ohnehin fast jeder wissen, seit der Schweizer mit der Idee des aufgeräumten Kunstwerks für Furore sorgt. Das Bad Mergentheimer Kulturforum ist voll, gut 100 Gäste warten gespannt - und erleben gleich zum Auftakt, wie Wehrli ihre geordneten Reihen mit einer kleinen Versuchsanordnung in ein unerwartetes Chaos stürzt.
Es ist eben die Vernissage eines Künstlers, der gleichzeitig Kabarettist und Komiker ist - mehrfach preisgekrönt als eine Hälfte des Duos "Ursus und Nadeschkin". Wehrli erzählt auf urkomische Art und Weise von Ordnung im Alltag. Er karikiert den Aufräumservice guter Hotels, der selbst anarchische Stör-Aktionen mit Würde ordnet: "Die in die Minibar gesteckte Fernbedienung wird dann parallel zum Snickers ausgerichtet."
Was treibt diesen Künstler an? Womöglich will er einfach nur helfen. "Vielleicht war Klee in Eile", überlegt Wehrli nicht ohne Verständnis. Das Ordnen der bunten Quadrate hat dann halt er übernommen. Keiner der großen Meister ist vor ihm sicher. Wobei Wehrli gesteht: "Jackson Pollock war eine harte Nuss." Am Ende musste er dessen Abstraktionen in die ursprünglichen Farbtöpfe zurückfüllen. Das Schöne an dieser Ausstellung ist, dass es kein festes Muster gibt - sondern immer wieder neue Ansätze, um aufzuräumen. So eröffnen die rund 50 Bildpaare und interaktiven Elemente einen verspielten und verblüffenden Zugang zur Kunst. Wann sonst sitzen bei einer Vernissage schon einmal begeisterte Kinder in der ersten Reihe.
Auch wenn sich Wehrlis geniale Idee nicht abnutzt und jedes Mal aufs Neue fasziniert, hat der Schweizer sein Ordnungskonzept inzwischen ausgeweitet. In Bad Mergentheim trägt er Goethes Gedicht "An den Mond" in aufgeräumter Fassung vor. Das bedeutet: alphabetisch geordnet. Und wenn im Gedicht sieben Mal das Wort "und" vorkommt, dann wird es auch an entsprechender Stelle sieben Mal hintereinander rezitiert. Die Befürchtung, Goethe könne sich ob dieser Neuordnung im Grabe rumdrehen, zerstreut Wehrli sogleich: "Ich habe das neulich schon einmal vorgetragen, jetzt liegt er wieder richtig."
Etwas zum Aufräumen findet sich für einen wie Ursus Wehrli immer und überall: Zum Abschluss seiner Einführung hält er noch zwei Varianten einer Flagge hoch. "Wenn Sie die Schweiz aufräumen, dann kommt Österreich dabei heraus", stellt er fest - nicht ohne aufrichtiges Staunen.
In Bad Mergentheim begrüßt hatten den Gast zum Auftakt der Vernissage Bürgermeisterstellvertreterin Sylvia Schmidt. Sie freute sich über "den Höhepunkt im Jahresprogramm des Kulturforums". Mit Ursus Wehrli stelle ein "Meister überbordender Kreativität" in der Kurstadt aus. Ihren Dank richtete Schmid an Verkehrsdirektor Kersten Hahn, der die Idee hatte, Wehrlis Bilder nach Bad Mergentheim zu holen - und diese gemeinsam mit Manuela Wischnewski vom Kulturamt auch umsetzte.
Umgesetzt haben die Verantwortlichen auch ein kongeniales Rahmenprogramm: Ralf Glenk musizierte mit Mandoline, Gitarre und Gesang, wobei es um Fragen der Ordnung eines jeden Lebens ging ("Whisky before Breakfast"). Und das Buffet präsentiert sich den Vernissage-Besuchern in einem aufgeräumten und einem nicht aufgeräumten Teil.
Bleibt die Frage, wie man die Sache mit dem Aufräumen nun kulturell einzuschätzen hat? Angebracht wäre wohl das, was auch Ursus Wehrli letztlich all seinen Chaoten aus dem Kunstbetrieb entgegenbringt: eine Verneigung. stv
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