Üttingshof. Der Verein „Sprungbrett“ feiert seinen 25. Geburtstag. Die Vorsitzende, Dr. Sabine Kaplirz zu Sulewicz, und ihr Mann Uwe sprechen über Höhepunkte und Herausforderungen der vergangenen Jahre.
Ursprünglich sollte es eine kleine Hofstelle sein mit ein paar Hektar Land, so die Vorstellung des jungen Ehepaares, das mit seinen beiden Kindern auf der Suche nach einem naturnahen, ländlichen Anwesen war. „Als wir vor Gut Üttingshof standen, dem imposanten Gutsgebäude, warfen wir augenblicklich unsere Pläne über Bord“, erinnert sich Uwe Kaplirz zu Sulewicz lächelnd. „Es war Liebe auf den ersten Blick. Dieser altehrwürdige Hof musste es sein.“ 1989 wechselte Üttingshof seine Besitzer. Familie Kaplirz hatte eine neue Heimat gefunden. Nach der ersten „Schockverliebtheit“ stellte sich bei dem Agraringenieur und der promovierten Ökotrophologin eine gewisse Ernüchterung ein. Die Restaurierung des Gutes erwies sich als aufwendiger als gedacht.
Alles begann mit dem Achtjährigen namens Florian
Untrennbar ist die Geschichte des Vereins „Sprungbrett“ mit dem Üttingshof verbunden. Sie begann mit einem kleinen Jungen, dem damals achtjährigen Florian, der mit dem Down-Syndrom geboren worden war. „Bereits mit drei Jahren saß er zum ersten Mal auf einem Pferd. Wir sahen, wie positiv sich die frühe Förderung und der Umgang mit dem Pferd auf seine Entwicklung auswirkte“, erzählt Sabine Kaplirz. „Leider mussten wir nach unserem Umzug feststellen, dass es in der Region um Bad Mergentheim keine Möglichkeit des therapeutischen Reitens gab. So bekamen Florian und seine Schwester Sophie ein eigenes Pony und zunächst regelmäßigen Reitunterricht beim Reitverein Assamstadt“
Sanft bewegen sich die Wiesen um Üttingshof im Wind wie Wogen hin und her. Es gibt Ereignisse im Leben von Menschen, die einem stillen Wind gleichen, der sie sacht, aber stetig in eine zunächst unvorhersehbare Richtung drängt. Sabine Kaplirz hat sich dem Wind ausgesetzt und manchem Sturm standgehalten. „Wir waren sehr verwundert, dass ,Integration‘ hier offensichtlich noch ein Fremdwort war.“ Als ehemalige zweite Vorsitzende des Montessori Kindergartenvereins in Lemgo hatte sie eine andere Vorstellung von Förderung behinderter Kinder und Jugendlicher.
„Besuch der Sonderschule mit anschließender Beschäftigung in einer Behindertenwerkstätte, das war der Weg, der den jungen Leuten vorgezeichnet war. Doch ich hatte ein anderes Ziel vor Augen: Nicht nur versorgt sein, sondern teilhaben am Leben mit seiner ganzen Vielfalt und den Möglichkeiten, weitgehend selbständig etwas daraus zu machen“, erklärt Sabine Kaplirz mit Nachdruck. Nach der Einschulung von Florian engagierte sie sich an der Sonderschule, der „Schule im Taubertal“. Ein bisschen Pionierarbeit musste sie schon leisten. „Ein erster Schritt in die richtige Richtung wurde getan, als sich einige Lehrkräfte bereit erklärten, an einer integrativen Gesamtschule in Bielefeld zu hospitieren. Die Erfahrungen hinterließen Eindrücke“, erinnert sich Sabine Kaplirz. „Im September 2000 schlossen sich einige Eltern, Lehrer der „Schule im Taubertal“, Bürgermeister, der Kommandeur des ehemaligen Bundeswehrstandortes Lauda und ein Schulrat zu einem Verein zusammen. Er erhielt den Namen „Sprungbrett“ – er sollte fortan junge Menschen mit Behinderung ermutigen, den Sprung ins Leben zu wagen.
Bald schon entstand ein Netzwerk von Integrationsfachdienst, Arbeitsamt, Schule, Schulamt und Partnerfirmen mit dem Ziel, Schulabgängern berufliche Zukunftsperspektiven zu eröffnen – ein Erfolgsmodell, wie sich bald herausstellte. Bereits 2004 wurden die ersten Berufspraktikanten in feste Arbeitsverhältnisse übernommen.
„Oft wird nur wahrgenommen, was Menschen mit Behinderung nicht können, viel zu wenig wird beachtet, dass viele über außergewöhnliche Begabungen verfügen“, beschreibt Sabine Kaplirz ihre Erfahrungen. Ein Beweis sei die Reiter-Karriere ihres Sohnes. Schon früh zeigte sich sein Talent im Umgang mit Pferden. Die positiven Erfahrungen haben Sabine und Uwe Kaplirz veranlasst, auf dem Hof therapeutisches Reiten anzubieten, wovon nun auch Florian profitierte. Die 2007 gegründete Einrichtung für therapeutisches Reiten ist eine vom Deutschen Kuratorium für Therapeutisches Reiten zertifizierte Anlage. Nicht nur pferdegestützte Förderung wie Hippotherapie werden dort angeboten, sondern auch Reiten als Freizeitsport bis hin zum Paraleistungssport.
Mehrfach holte Florian Kaplirz mit seinen Vereinskameraden Auszeichnungen und Medaillen bei regionalen Turnieren sowie bei den „Special Olympics“, der weltweit größten Breitensportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Beeinträchtigung. Besonders stolz ist er auf die Silbermedaille, die er im Sommer 2024 bei den Virtus Open European Championships in England in Winchester errang. „Leider müssen Eltern bis heute um die Kostenübernahme für pferdegestützte Förderung als Leistung der sozialen Teilhabe kämpfen“, bedauert Sabine Kaplirz die derzeitige Situation.
Die Aktivitäten des Vereins blieben nicht unbemerkt. Prominenz aus Politik und Wirtschaft besuchte den Üttingshof. Besondere Ehre erwies die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen 2008 und 2013 der Familie Kaplirz und dem Verein mit ihrem zweimaligen Besuch. 2015 machte sich „Landesmutter“ Gerlinde Kretschmann ein Bild von den Angeboten des Vereins und besuchte die Reitanlage. Sie war davon so angetan, dass sie spontan zusagte, die Schirmherrschaft für das Inklusive Theater „Sprungbrett“ zu übernehmen. „Mit ,Mr. Scrooge – eine Weihnachtsgeschichte‘ starteten wir unser erstes inklusives Theaterprojekt mit der Studiobühne Bad Mergentheim.“ Noch gut erinnert sich das Ehepaar Kaplirz an die zauberhafte vorweihnachtliche Atmosphäre im festlich geschmückten Kursaal. 2023 wurde Frederike Umscheid, Leiterin des Jungen Theaters der Frankenfestspiele Röttingen, als Nachfolgerin von Florian Brand für die Regie gewonnen. Unter ihrer Leitung wird das Inklusionstheater auch im Jubiläumsjahr wieder ein Theaterstück auf die Bühne bringen.
„Menschen mit Beeinträchtigung brauchen wie alle anderen Menschen Anerkennung und Motivation zur Selbständigkeit“, erklärt Sabine Kaplirz. Genau darauf zielen die Angebote des Vereins ab: Selbstsicherheit und Gewandtheit bei der Erledigung alltäglicher Dinge zu fördern – Hilfe zur Selbsthilfe. Die Teilnahme an inklusiven Sportfesten sowie Veranstaltungen um Kultur und Kunst ergänzen das Angebot. In den Vereinsräumen im Johanniterhof treffen sich Jugendliche und Erwachsene, um miteinander Freizeit zu verbringen.
Nichts bleibt ewig – das Leben ist Veränderung. Nach der Hofübergabe 2017 an die Tochter, leben Sabine und Uwe Kaplirz mit Sohn Florian weiterhin auf dem Hof in einem umgebauten Nebengebäude, wo sich auch das Vereinsbüro befindet. „Ab dem nächsten Jahr möchte ich mich etwas zurücknehmen und einen Teil der Verantwortung in jüngere Hände übergeben.“ Sabine Kaplirz streichelt sanft über Pferderücken, wuselt liebevoll in Pferdemähnen. Im Stall des Gutes stehen sieben Pferde, werden versorgt, geritten und geliebt. Zwei davon gehören dem Verein. „Eine Weile möchte ich schon noch die wertvolle Arbeit mit und auf dem Pferd begleiten“, stellt die Vereinsvorsitzende in Aussicht. „Denn - was wären wir ohne die Pferde?“
„Es geht nicht um meine Person, sondern um die Sache“
„Es geht nicht um meine Person, sondern um die Sache“, machte Dr. Sabine Kaplirz zu Sulewicz deutlich, als ihr im November 2011 vom damaligen Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich in Anerkennung ihres Einsatzes für die Rechte von Menschen mit Behinderungen das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde. In diesem Jahr, zum Jubiläum des Vereins Sprungbrett, blickt sie dankbar auf Freunde und Wegbegleiter, ohne deren Unterstützung vieles nicht möglich gewesen wäre. „Wir handeln aus einer Gruppe Gleichgesinnter heraus. Wir brauchen einander, um weiter an unserem Ziel zu arbeiten – eine inklusive Gesellschaft, ein gleichberechtigtes Miteinander aller Menschen.“
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