Bad Mergentheim. Einen Sturm der Entrüstung hat der Strafbefehl gegen einen bayerischen Notarzt ausgelöst (wir berichteten). Ihm war rücksichtsloses Fahren bei einem Blaulicht-Einsatz vorgeworfen worden. Am Montag machte die Generalstaatsanwaltschaft in München die Entscheidung wieder rückgängig. Gestern meldete sich zu dem Thema der DRK-Kreisverband Bad Mergentheimer zu Wort.
Der 51-jährige Notarzt Alexander H. war im vergangenen April von der Rettungsleitstelle Ingolstadt in das gut zehn Kilometer entfernte Karlshuld geschickt worden: Ein zweijähriges Mädchen hatte Schnellkleber verschluckt und drohte zu ersticken.
Mit Blaulicht und Martinshorn eilte er zu der Familie und erhielt drei Wochen später einen Strafbefehl über 4500 Euro wegen Verkehrsgefährdung. Außerdem wurde ihm ein sechsmonatiger Führerscheinentzug angedroht. Ein Autofahrer hatte ihn angezeigt, weil er beim Überholen zu weit ausgeschert sein soll. Dadurch habe dieser scharf bremsen und ausweichen müssen.
Der Vorfall hatte in den Medien und im Internet einen Proteststurm entfacht. Am Montagmittag hatten schon mehr als 200 000 Menschen in einer Online-Petition einen "Freispruch" für den Arzt gefordert.
Durch das große Medienecho schaltete sich der Münchner Generalstaatsanwalt ein, um den Fall nochmals zu überprüfen. Die Vorwürfe, so ein Sprecher der Behörde am Montag, ließen sich unter Berücksichtigung der Sonderrechte für Rettungsdienste nicht aufrechterhalten.
Mit Sorge hatten der Präsident des DRK-Kreisverbandes Bad Mergentheim Prof. Dr. Werner Romen und Kreisgeschäftsführer Klaus Eckel den Fall verfolgt und gestern zu einer Pressekonferenz gerufen. Bevor bekannt wurde, dass der Strafbefehl wieder zurückgezogen wurde, hatten einige Notärzte gegenüber Romen nämlich bereits angekündigt, ihren Dienst an den Nagel hängen zu wollen, wenn sie bei jedem Einsatz schon mit einem Bein vor dem "Kadi" zu stehen drohten. Bedenklich seien mögliche Auswirkungen aus dieser "Affäre", so Romen: Organisationen wie das Rote Kreuz müssten sowieso schon um "Zulauf und Anerkennung" kämpfen. Es sei ohnehin schwer, Ärzte für den Notarztdienst zu gewinnen. Nicht auszudenken, fürchtete Romen, wie sich das gestalten würde, wenn den Ärzten auch noch Bestrafung für die normale Ausübung ihres Dienstes drohe. Um hier ein vernünftiges Miteinander zu gewährleisten, sei es wichtig, dass die Bürger gegenüber Rettungsdiensten Verständnis und Aufmerksamkeit walten ließen, sagte Romen.
Grundsätzlich sei dies auch der Fall, wie Eckel betonte. 1400 Notarzteinsätze würden im Kreis Mergentheim/Creglingen pro Jahr gefahren und noch nie habe es bisher Anzeigen oder Beschwerden gegeben, was sicher auch auf die gute Ausbildung der Fahrer zurückzuführen sei. Behinderungen der Einsatzkräfte folgten meist nicht aus Absicht, sondern "weil viele Menschen mit den Sondersignalen nicht vertraut und manchmal völlig überfordert sind", wenn sich ihnen ein Einsatzwagen nähere. Worauf ist also zu achten, wenn sich der Notarzt nähert? Professor Romen: "Jeder Bürger sollte sich überlegen, wie er sich verhalten würde, wenn er wüsste, dass der Notarzt auf dem Weg zu seinem eigenen Kind ist..."
Was dürfen Polizei, Feuerwehr und Notarzt, wenn sie mit Blaulicht fahren?
- Die Straßenverkehrsordnung regelt in den Paragraphen 35 und 38 den Einsatz von Blaulicht und Martinshorn also die so genannten "Sonder- und Wegerechte".
- Das Wegerecht gibt bestimmten Fahrzeugen das Recht, von den anderen Verkehrsteilnehmern "freie Bahn" zu verlangen.
- Dies darf nur geschehen, wenn "höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwenden, flüchtige Personen zu verfolgen oder bedeutende Sachwerte zu erhalten".
- Das Wegerecht ist eine verkehrsrechtliche Anordnung, die sofort befolgt werden muss, sonst droht die Ahndung als Verkehrsordnungswidrigkeit.
- Um der Anordnung Folge zu leisten, kann es auch sein, dass man - ohne andere zu gefährden - selbst kleinere Verkehrsverstöße begehen muss wie das Ausweichen auf den Gehweg, das Überfahren von roten Ampeln, das Überfahren von weißen Linien, wenn man sonst nicht freie Bahn schaffen könnte.
- Auf Autobahnen muss eine Rettungsgasse gebildet werden.
- Auch Fußgänger sind verpflichtet, Platz zu machen.
- Genutzt werden dürfen Blaulicht und Martinshorn von Polizei und Feuerwehr, aber auch von Bundeswehr, Katastrophenschutz und Zoll.
- Nicht der Notarzt selbst, sondern nur die Rettungsleitstelle bestimmt, ob sie zum Einsatz kommen.
- Ausnahmen gibt es dann, wenn ein Polizist auf Streife beispielsweise einen Raubüberfall beobachtet.
- Ein Polizist/Notarzt usw. im Einsatz darf schneller fahren, die Vorfahrt übergehen, Rot ignorieren und den Mindestabstand verringern.
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