Schließung dreier Arztpraxen in Bad Mergentheim

„Nirgends läuft die Praxisübernahme so schlecht ab wie hier“

Die abrupte Schließung der Arztpraxen Dr. Träger, Stahnke und Stüber-Brückner sorgt für große Probleme. Betroffenen verdeutlichen die dramatische Situation. Versorgung mit lebensnotwendigen Medikamenten stockte.

Von 
Simon Retzbach
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Nicht nur sprichwörtlich sind in der Allgemeinarztpraxis Silke Stahnke die Lichter ausgegangen. Auch die Praxen Träger und Stüber-Brückner sind betroffen. © Retzbach

Bad Mergentheim. Die abrupte Schließung der Arztpraxen Dr. Träger, Stahnke und Stüber-Brückner in Bad Mergentheim sorgt für große Probleme. Im Gespräch mit Betroffenen wird die dramatische Situation verdeutlicht.

„Das ist ganz einfach ein Skandal“, resümieren Ina und Reinhold Hanske. Das Ehepaar wohnt in Bad Mergentheim und betreut den Vater von Reinhold Hanske. Der 93-jährige Diabetiker muss regelmäßig betreut werden, ist auf Insulin angewiesen und auch aufgrund fehlenden Augenlichts nur eingeschränkt mobil.

Umso beunruhigender daher der Anruf, den das Ehepaar Hanske vergangene Woche vom Pflegedienst des Vaters erhielt. Die Bestellung der Medikamente funktioniere nicht wie geplant, die Praxen seien für ein Ausstellen des lebenswichtigen Rezepts nicht erreichbar.

„Wir waren überhaupt nicht informiert worden, standen genauso wie der Pflegedienst vor vollendeten Tatsachen“, erklärt Ina Hanske. Ihr Schwiegervater war zuvor Patient in der Praxis Stüber-Brückner und blieb auch nach der Übergabe an das Mannheimer Unternehmen Medicas dort.

Keine Erreichbarkeit

Jedoch war der angestellte Arzt keine langfristige Nachfolgelösung: Bereits im Dezember verschwand der Mediziner ohne vorherige Ankündigung, übergangsweise wurde die Praxis von Vertreterinnen weiter geführt. Bis dann am 18. Januar der Betrieb endgültig eingestellt wurde (wir berichteten). Und auch bis dahin lief der Betrieb alles andere als optimal, nicht nur Sprachbarrierenhätten für ein eher ungutes Gefühl aufseiten des Patienten gesorgt, heißt es.

Ein kleiner Zettel am Praxiseingang informiert nun über die Schließung aufgrund von „Umstrukturierungsmaßnahmen“, telefonisch wird kurioserweise auf die ebenfalls geschlossenen Praxen Stahnke und Träger als Vertretungen verwiesen. Hier wiederum ist ein Verweis auf Vertretungen zu hören, die jedoch nicht für alle drei Praxen zuständig sind. Tatsächlich erreichbar ist in den Praxen niemand. Auch bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) kommt man in dieser Sache nicht weiter: „Jede Praxis muss sicherstellen, dass die Patienten Zugang zu den Patientenakten und den Daten haben und das gegebenenfalls auch über eine Vertretungsregelung gewährleisten. Es kann ja immer mal vorkommen, dass eine Praxis aus unterschiedlichen Gründen plötzlich schließen muss. Zuständig ist dafür zunächst einmal der behandelnde Arzt. Wenn eine Kontaktaufnahme nicht möglich ist, oder sich ein Arzt womöglich – aus welchen Gründen auch immer – weigert, kann sich ein Patient an die KV wenden“, teilte die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg den FN auf Anfrage mit.

Man habe jedoch keine Möglichkeit, dem Patienten einen Zugang zu verschaffen, könne nur gegebenenfalls disziplinarisch gegen den Arzt vorgehen, solange er Mitglied der KV ist. Die Suche nach einem neuen Hausarzt für den 93-Jährigen gestaltete sich mangels Kapazitäten bei anderen Ärzten schwierig, Dr. Anne-Lotte Springorum aus Assamstadt erklärte sich schließlich bereit, den im betreuten Wohnen lebenden Mann mit zu versorgen. So kommt er wieder an seine Medikamente, auch die bei Diabetes erforderlichen regelmäßigen Untersuchungen sind wieder möglich.

Für Viele ein Problem

So hatte das Ehepaar Hanske noch Glück im Unglück, wenn auch der Weg dahin durch die fehlende Erreichbarkeit der Arztpraxen äußerst beschwerlich war. „Sie müssen schon Glück haben, einen Arzt zu finden, der Ihnen nur die Rezepte ausstellt. Schwierig ist zusätzlich auch, dass wir einfach nicht an die bisherigen Befunde meines Vaters kommen“, klagt Reinhold Hanske. Doch auch wenn sie die Probleme bislang gemeistert haben, geht es ihnen vor allem um den Perspektivwechsel: „Versetzen Sie sich mal in die Lage eines alten und weniger mobilen Menschen, der kriegt das alleine nicht so hin“.

„Diese Informationspolitik gegenüber hilflosen Menschen ist ein riesiges Problem. Die werden einfach stehengelassen und keiner fühlt sich verantwortlich“, so Ina Hanske. „Wenn in der freien Wirtschaft ein Unternehmen in die Pleite geht, gibt es einen Insolvenzverwalter, hier gibt es überhaupt keinen Ansprechpartner“, ergänzt Ehemann Reinhold. Die gelernte Krankenschwester Ina Hanske arbeitet als Pharmareferentin, betreut in dieser Funktion auch die Bad Mergentheimer Ärzte und kennt die Gesamtsituation daher gut. Auch mit Praxisübernahmen durch privatwirtschaftliche Unternehmen hat sie bereits Erfahrungen gemacht: „Nirgendwo funktioniert die Praxisübernahme durch private Unternehmen so schlecht wie hier in Bad Mergentheim“, zieht sie ein eindeutiges Fazit.

Mit Blick auf die Stadtentwicklung ist die medizinische Versorgung ein Problem: Während Bad Mergentheim stetig wächst, bleibe die ärztliche Versorgung hinter diesem Trend zurück.

Besserung ist nicht zu erwarten, eher im Gegenteil: Die Altersstruktur der Praxisinhaber mache weitere Schließungen in unmittelbarer Zukunft sehr wahrscheinlich, fürchtet sie.

Redaktion

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