Medizin

Künstliche Intelligenz auf Vormarsch

„diateam“ aus Bad Mergentheim veranstaltet Konferenz zur Zukunft der Diabetologie in Berlin

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pm
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Das Bad Mergentheimer Team auf der „diatec“. © Fuchs

Die Diabetesversorgung ist derzeit von einem Technologieschub geprägt. Um diese neuen Techniken drehte sich alles bei der „diatec“, einer Fachtagung für Diabetesteams in Berlin.

Bad Mergentheim/Berlin. Kontinuierliche Glukosemessung (CGM), automatische Insulindosiersysteme (AID) und zunehmend auch der Einsatz künstlicher Intelligenz eröffnen den rund elf Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland und mehr als einer halben Milliarde Betroffenen weltweit neue Behandlungsmöglichkeiten.

Um diese neuen Technologien dreht sich alles bei der „diatec“, einer Fachtagung für Diabetesteams in Berlin. Organisiert wurden die beiden Kongresse mit insgesamt 1400 Teilnehmern erstmals von dem neuen Bad Mergentheimer Unternehmen „diateam“, einer Ausgründung aus dem Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim. Stefanie Linhart und Kerstin Kalwach (Bad Mergentheim) waren für die Durchführung verantwortlich.

Hinter dem neuen Unternehmen diateam stehen die Professoren Bernd Kulzer, Norbert Hermanns und Privatdozent Dominic Ehrmann (Bad Mergentheim) zusammen mit Prof. Dr. Heinemann und Gabrielle Heinemann (Düsseldorf/San Diego) sowie in enger Kooperation das Diabetes-Zentrum Mergentheim mit dem überregional tätigen Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM).

Neben diesen Veranstaltungen führt diateam jährlich eine Befragung von Ärzten, Diabetesberatern und Menschen mit Diabetes in Deutschland, Österreich und der Schweiz zum Stand der Digitalisierung durch. Die Präsentation der Ergebnisse dieses Digitalisierungs- und Technologiereports (dt-Report), an dem insgesamt 512 Ärzte und 3696 Menschen mit Diabetes teilgenommen haben, stand im Mittelpunkt des ersten Tages der diatec. Renommierte Referenten aus den drei Ländern zeigten, dass Ärzte und Patienten den neuen Technologien sehr positiv gegenüberstehen und diese auch zunehmend nutzen. So wird in allen drei Ländern die kontinuierliche Glukosemessung, bei der ein Sensor im Gewebe die Glukose kontinuierlich misst, mittlerweile von über 80 Prozent aller Menschen mit Typ-1-Diabetes genutzt. Bereits jeder fünfte Patient wendet eine neue Technologie an, bei dem diese Messwerte über einen Algorithmus zur nahezu autonomen Steuerung des Diabetes mit Hilfe einer Insulinpumpe, die am Körper getragen wird, genutzt werden. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz wollen Experten diese Algorithmen so verbessern, dass bald eine vollautomatische Therapiesteuerung möglich ist.

KI auf dem Vormarsch

In einem einleitenden Vortrag fasste Bernd Kulzer den Stand der Anwendungen künstlicher Intelligenz zusammen. Im Vergleich zu allen anderen Anwendungsbereichen ist künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen am weitesten verbreitet.

Auch in der Diabetologie gibt es mittlerweile zahlreiche KI-Anwendungen, die bereits Einzug in den klinischen Alltag gehalten haben. So erfolgt die Augendiagnostik in der Diabetesklinik Bad Mergentheim bereits seit einigen Jahren mit Hilfe eines KI-Computers, der die Aufnahme des Augenhintergrundes auf Basis einer Datenbank von mehr als zwei Millionen Bildern in Sekundenschnelle auswertet und befundet.

In Deutschland werden jährlich 150 Millionen Arztbriefe geschrieben, bürokratische Arbeiten wie Kodierung und Abrechnung nehmen immer mehr Zeit in Anspruch. Abhilfe könnte ein von der Fraunhofer-Gesellschaft entwickelter Arztbriefgenerator schaffen, der auf die vorhandenen Daten zugreift und mit Hilfe künstlicher Intelligenz den Großteil des Arztbriefes selbst schreibt.

In einem weiteren Vortrag schilderte Dr. Anke Diehl vom Universitätsklinikum Essen, die in Essen und für Nordrhein-Westfalen federführend die Transformation des Klinikums zu einem „Smart Hospital“ vorantreibt, eindrucksvoll die Chancen eines umfassenden Einsatzes von Künstlicher Intelligenz für alle Prozesse im Krankenhaus. Essen soll das erste KI-Krankenhaus in Deutschland werden, auch die Diabetologie ist Teil dieser Transformation. So gibt es erste Modellvorhaben, wie größere Diabetes-Zzentren, wie beispielsweise die Diabetes Klinik Bad Mergentheim per Telemedizin auch die Diabetologie in kleineren Krankenhäusern mitversorgen kann. Da neue Wettbewerber aus Fernost zunehmend auf den Markt drängten und damit die Preise sinken werden, so Prof. Haak, Chefarzt der Diabetes-Klinik, in seinem Vortrag, könnten solche Versorgungsmodelle in Zukunft auch wirtschaftlich sein.

Vorsicht bei Chatbots

Der Durchbruch der künstlichen Intelligenz gelang im November 2022 mit dem Chatbot ChatCP. Wie PD Dr. Ehrmann in seinem Vortrag erläuterte, gibt es auch in der Diabetologie viele Einsatzmöglichkeiten für sogenannte Chatbots. Allerdings seien die derzeitigen Systeme noch nicht in der Lage, korrekte Therapieempfehlungen zu geben.

Er zeigte auf, dass es im Einzelfall für Menschen mit Diabetes sogar lebensgefährlich sein kann, sich auf die Ratschläge von Chatbots zu verlassen.

Auf der Konferenz präsentierten sich auch zahlreiche Start-ups mit innovativen Ideen. SNAQ ist eine App, die sich nicht nur an Menschen mit Diabetes richtet. Anhand eines Fotos der Mahlzeit zeigt sie mit hoher Trefferquote die Nährwerte der Mahlzeit wie Kalorien, Kohlenhydrate, Eiweiß und Fett an. Noch einen Schritt weiter geht die Anwendung perfood, die dem Nutzer auf Basis unterschiedlichster Datenquellen personalisierte Ernährungsempfehlungen gibt. Welche Auswirkungen moderne Technologien auf das Essverhalten haben, diskutierte die Psychologin Laura Klinker von der Diabetesklinik Bad Mergentheim mit den Teilnehmern in einem sehr gut besuchten Workshop.

Reform der Ausbildung

Die fortschreitende Digitalisierung erfordert auch neue Wege in der Weiterbildung. Juliane Steffan, die zusammen mit Kathrin Böhm die berufsfachliche Leitung der Ausbildungsstätte für Diabetesberater/innen in Bad Mergentheim ausübt, berichtete auf der Tagung über neue Lerninhalte, Online-Seminare und ein neues Modulsystem für die Weiterbildung unterschiedlicher Berufsgruppen. Statt in der bisherigen starren Kursform soll die Weiterbildung künftig in einer Art Baukastensystem erfolgen. Ein Modellprojekt zur reformierten Weiterbildung wurde gerade in Mergentheim erfolgreich abgeschlossen.

Als Vertreter der rund 55 000 Hausärztinnen und Hausärzte in Deutschland nahm Dr. Markus Beier, Vorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, an der Tagung teil. Er plädierte für eine strukturierte Diabetesversorgung, bei der den Hausärzten aufgrund der hohen Patientenzahlen eine Schlüsselrolle zukomme.

Allerdings seien auch sie vom technischen Fortschritt geradezu überrollt worden und daher auf eine gute Zusammenarbeit mit spezialisierten Diabeteszentren und Schwerpunktpraxen angewiesen, die oft besser mit den neuesten Technologien vertraut seien. pm

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