Achtung, Tatort! Gleich sechs Autoren mit regionalen Wurzeln und hoch krimineller Phantasie hatte die Buchhandlung Moritz und Lux zur "Langen Kriminacht" geladen.
Bad Mergentheim. So eine Gelegenheit lassen sich Krimifans nicht entgehen: Bestens besucht war der vierstündige Lesemarathon, dem Autoren und Publikum noch das eine oder andere vertiefende Gespräch, selbstverständlich mit jetzt noch geschärfterem kriminalistischen Gespür, folgen ließen.
Die Fälle drehen sich um Mord, Entführung, Geldgeschäfte. Das Ambiente: pure Vielfalt. Ermittelt wird auf dem Messegelände in Hannover, im Berlin der 68er, in Schlössern, Kellern, Küchen, auf Theaterbühnen und in Reihenhaussiedlungen in Hohenlohe-Franken.
Vertraute Orte
Öhringen, Sommer- und Winterhausen, Kirchberg und Umland, Tauberbischofsheim, Bad Mergentheim sind einige der uns allen bestens vertrauten Orte, an denen Blut fließt und Ermittlerköpfe rauchen.
Die Kriminalisten-Teams könnten unterschiedlicher nicht sein: Die gebürtige Mergentheimerin Heike Wolpert stellt ihrem Hauptkommissar Peter Flott Kater Socke als Ermittlungshelfer zur Seite; der Mergentheimer Autor Uwe Klausner, gebürtiger Heidelberger, stattet seinen Berliner Ermittler Tom Sydow mit trockener Berliner Schnauze aus; Ute Böttingers Kriminalhauptkommissar Karl-Friedrich von Bühl muss sich nicht nur mit einem komplizierten Fall, sondern auch noch mit einer vorlauten jungen Kollegin herumschlagen. Bei Heinrich Eppe ermittelt Solar-Bauer Michael Butz teils gemeinsam mit, teils gegen Baronesse Rosalie von Sondringen; Uwe Reiner Röbers grantelnder Tauberbischofsheimer Hauptkommissar Rudolf von Rhoden und sein Kollege Schmidt haben es unter anderem mit neugierigen und redselig-verschlossenen älteren Damen zu tun und beim gebürtigen Straubinger und aufgewachsenen Würzburger Michael Vogtmanns ermittelt fachfremd Friedrich Fichte, engagierter Lehrer und Laienregisseur nicht nur im schulischen, sondern auch im dörflichen Umfeld.
Gekonnt leiht Heike Wolpert nicht nur Kater Socke, sondern auch dessen vierpfotigen Kollegen, die Sockes Ermittlungen mit Sympathie, Neugier und damenhaft-ablehnender Pose kommentieren, ihre Stimme. Doch wer hat den Wachmann ermordet? Lesen! "Schlüsselreiz" (245 Seiten, Gmeiner-Verlag, 8,99 Euro). Gewohnt trocken dann Uwe Klausner. Die Berlin-Krimis des Geschichtslehrers stecken bislang den Zeitraum von 1942 bis 1968 ab: Geschichtsunterricht als Kriminalroman. Derzeit ermittelt Kommissar Sydow nach Auffinden der Leiche einer jungen Studentin im Kommune-Milieu. Auf "Blumenkinder" (249 seiten, Gmeiner-Verlag, 10,99 Euro) folgt im kommenden Jahr Sydows neunter Fall, in dem es drei Jahre später um die organisierte Flüchtlingshilfe von Ost nach West geht.
Dass die aus dem schwäbischen Herrenberg stammende Journalistin Ute Böttinger lange auch als Restauranttesterin unterwegs war, gibt ihrem kulinarischen Krimi "Friedrichsruhe" eine spezielle Würze. Mancher Reiseführer verrät weit weniger über regionale nicht nur kulinrische Geheimtipps, als ihr Krimi um den verschwundenen Sternekoch. Sie serviert den Krimi, in dem nicht einmal eine große Blutlache zwei- und vierbeinige Spürhunde auf die richtige Fährte bringt, als höchst appetitanregendes Menü in 13 Gängen (310 Seiten, Gmeiner-Verlag, 11,99 Euro). Auch der Kirchberger Autor, Pädagoge und Psychologe Heinrich Eppe ist bekennender Hohenloher - und bekennender Realist. Nichts, aber auch gar nichts hält er von Wünschelrutengängern, die Radiästhesie für eine Wissenschaft halten. "Ermittler" Butz rüstet sich mit eigens hergestellten Wünschelruten aus und scheut auch hohe Kosten nicht, um teilzunehmen am Geomantie-Seminar im Kunstort Himburg. Absolut faszinierend, wie und was Eppe vorträgt: Das Publikumlacht sich schief bei seiner ausschließlich mit Pflanzennamen auskommenden Erotikszene. "Vier Prozent von der Hälfte. Eine un-esoterische Geschichte" (220 Seiten, Eppe Verlag, 14,90 Euro) bietet mit jeder Menge Witz nicht nur regionale Ein- und Ausblicke.
Uwe Reiner Röbers "Gorkipark-Mörder" schlägt nach der Pause in der Tauberbischofsheimer Reihenhaussiedlung zu. Eine Leiche im Schlafzimmer, ein verschwundener Hausherr, zwei in relativer Würde ergraute Nachbarinnen, die reichlich Lokalkolorit zu bieten haben, halten die Soko "Kirschgarten" in Atem. (292 Seiten, Triga-Verlag, 14,50 Euro) Atemberaubend - nicht nur für Tauberbischofsheimer Krimifans.
Kurzausflug an den Main
Zum guten Schluss macht das Publikum noch mit dem Schauspieler, Regisseur, Sänger und Autor Michael Vogtmann ein Kurzausflug an den Main und ins Theaterleben: Ausgerechnet mit Shakespeares "Romeo und Julia" will Junglehrer Friedrich Fichte anno 1974 die sich manchmal zu Feindschaft steigernden Animositäten zwischen Sommer- und Winterhausen beilegen. Wenn Schauspieler fränkisches Gequengel "lesen", hat das mit Vorlesen so gut wie nichts mehr zu tun. "Die soll ihr Maul hald, verreck soll sie, die blöde Sau", schimpft der zum Romeo erkorene Winterhäuser Schüler auf die zur Julia gekürten Sommerhäuser Winzerstochter. In "Wintersommer" (208 Seiten, Allitera-Verlag, 9,90 Euro) bahnt sich ein Drama an, eins mit grotesken Zügen.
Wie soll man nur nach dreieinhalb Stunden Krimilust entscheiden, was unterm Weihnachtsbaum ein Plätzchen findet? So schnell geht's nicht: Also bleibt nur: Schlicht alle lesen - und dann entscheiden.
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