„Literatur im Schloss“

Jan Peter Bremer gewährt im Schlosscafé persönliche Einblicke

Autor taucht als Ich-Erzähler in seinem Werk „Nachhausekommen“ fiktional in seine Kindheit ein

Von 
Felix Röttger
Lesedauer: 
„Literatur im Schloss“ mal ganz intim: Kurator Ulrich Rüdenauer stellt im ausverkauften Schlosscafé den Ingeborg-Bachmann-Preisträger Jan Peter Bremer zusammen mit Moderatorin Beatrice Faßbender vor. © Felix Röttger

Bad Mergentheim. In ihre 20. Saison startete die Reihe „Literatur im Schloss“ im Schlosscafé Bad Mergentheim mit einer Lesung von Jan Peter Bremer, der im Gespräch mit der Lektorin, Journalistin und Übersetzerin Beatrice Faßbender seinen Bildungsroman „Nachhausekommen“ vorstellte.

Derzeit lebt der zweifache Familienvater in Berlin, von wo er mit sechs Jahren Anfang der 1970er Jahre mit seinen Eltern ins niedersächsische Wendland umsiedelte, im Jahr 1988 aber wieder in seine Geburtsstadt zurückkehrte.

Ein „Nachhausekommen“ könnte also die Rückkehr in seine Geburtsstadt sein. Doch eher steht der Buchtitel für die Verarbeitung von Kindheitserinnerungen, in diesem Fall von einer dislozierten Kindheit mit einigen Umzügen und einer verkorksten Schulkarriere. Faßbender fragt den Autor nach einem literarischen Vorbild für diesen Roman. Bremer wiegelt ab und erwähnt dann Franz Kafkas „Brief an den Vater“, der ihn sehr beeindruckt habe.

Linkisch und stolpernd

Mehr zum Thema

Literaturfest

Necati Oeziri stellt Debütroman bei Lesen.Hören vor

Veröffentlicht
Von
Helmut Orpel
Mehr erfahren

Bremer schildert als Ich-Erzähler die Kindheit eines schüchternen, in der Schule gemobbten Jungen, der an seiner Einsamkeit leidet und sich unverstanden fühlt. Die in langen Satzkaskaden ausgebreitete Gefühlswelt des Kindes trägt starke autobiografische Züge, insbesondere auch deshalb, weil die geschilderte Vaterfigur Uwe Bremer ist, der als Künstler mit gleichgesinnten linksorientierten Intellektuellen die Werkstatt Rixdorfer Brücke gründete, die 1974 von Berlin ins dörfliche Zonenrandgebiet umzog.

Die Kindheitserinnerungen enden für den Erzähler mit 13 Jahren. Der Junge wird beherrscht von dem Gedanken, anders zu sein als die Kinder im Dorf, worüber er traurig und zugleich irgendwie stolz ist. Denn er sieht seinen Vater als erfolgreichen und reichen Künstler, der sich ein Anwesen mit einem Fachwerk-Schlösschen und einen wuchtigen „American-Station-Wagon“ leisten kann. Vor allem imponiert ihm dessen handwerkliche und künstlerische Begabung, während er sich selbst als „linkisch“ und als „Stolpervogel“ sieht.

Die Dorfbewohner sind für ihn eher einfach gestrickte Landbewohner, die mit Ausnahme von zwei reicheren Bauern ein bescheidenes Leben führen. Andererseits hat er das starke Bedürfnis nach Anerkennung und Zuneigung; Bedürfnisse, die ihm seine Mutter auf ihre Weise, der dominante Vater jedoch kaum zu erfüllen vermögen. Doch zwischen den Zeilen klingt heraus, wie unverbrüchlich die Liebe zu den Eltern ist. Bei der Lesung verrät der Autor, dass sich sein Vater nach dem letzten Buch „Der junge Doktorand“ vor fünf Jahren so angegriffen gefühlt habe, dass er jeden Kontakt mit dem Sohn abgebrochen habe. In dem Roman stutzt der Schriftsteller ein aufgeblasenes Künstler-Ego „eiskalt“ auf das Normalmaß herunter. Nach dem Roman „Nachhausekommen“, so der Sohn, habe der Vater sich wieder mit ihm versöhnt.

Schule als Schreckensszenario

Ein süffisanter Schlüsselsatz findet sich auf Seite 26: „Ein Junge, der wie ein Mädchen aussah, der schwach war und sich nicht wehrte und dabei nichts begriff und rein gar nichts konnte.“ Der Leser wird mehr und mehr in die Welt eines fantasiebegabten Jungen eingesogen und dazu gebracht, sich immer stärker mit ihm zu solidarisieren. Als der Junge in die Realschule wechselt, kommt es knüppeldick, denn es hagelt nur noch schlechte Noten und von den Mitschülern wird er auf übelste Weise beschimpft.

Diese detailliert geschilderten Bloßstellungen und Ausgrenzungen eines zart besaiteten Kindes, das es eigentlich allen recht machen will, sind eine autofiktionale Aufarbeitung der eigenen Schulzeit des Autors. Der Junge klammert sich verzweifelt an die Hoffnung, dass er es später einmal wie seine Mutter sieht, für die ihre Schulzeit „die schönste Zeit ihres Lebens“ gewesen sei, „und da dies eigentlich allen Menschen so ging, würde auch ich mich nach dieser Zeit zurücksehnen.“ Eine naive Hoffnung, die sich für den Autor wohl nicht erfüllte.

Versteck mit Kuscheltier

Bei der Häufung von Niederlagen an allen Fronten werden erleichtert positive Erlebnisse aufgenommen, die sich ausschließlich außerhalb des Einflusses der Eltern ereignen. Besonders der Vater wird als eine unangreifbare Respektsperson geschildert, zu dem das Kind keine intensivere Beziehung aufbauen kann. Die Überforderung des Kindes bei der in linksliberalen Kreisen der 1970er Jahre propagierten antiautoritären Erziehung zur Selbstbestimmung, Kreativität und individueller Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes wird bei einem Ereignis fast schon persifliert: Mit dem Spaten versucht der überforderte Junge ein Loch für sich und sein Kuscheltier so tief zu graben, „dass nichts mehr von uns sichtbar war.“

Lauter Streit

Die geschockte Mutter kommt hinzu und gerät in der Künstlerwerkstatt mit dem Vater in einen lauten Streit, der dann aber beendet wird: „So, wir beide bauen jetzt eine Hütte für dich.“ So richtig wohl scheint sich das Kind im dann entstandenen Wigwam mit Marterpfahl nicht gefühlt zu haben.

Insgesamt verstärkt sich bei den gelegentlich ermüdenden, ausufernden Schilderungen des Alltags der Eindruck, dass Bremer hier das Schreiben als etwas Befreiendes sieht. Im Gespräch mit Beatrice Faßbender ist von „Schatten auf der Seele eines Kindes“ die Rede.

Der Vater als Patriarch, wie in dieser Zeit üblich, drückt der Mutter ihr Einkaufsgeld und dem Sohn sein Taschengeld in die Hand. Die alltäglichen Bedürfnisse werden eher beiläufig „gnädig“ erfüllt. Innerlich erlebt der Junge eine enge emotionale Beziehung zu den Eltern, doch der Vater hält den Sohn klein. Der Romanleser muss sich bis Seite 172 gedulden, bis der Junge mit einer „ulkigen“ Geschichte zum Geburtstag seiner Mutter den Eltern, und endlich auch dem Vater, ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Weitere Ideen

Der Knoten ist geplatzt, denn weitere Ideen sprudeln nur so aus Jan Peter heraus. Für den Leser wird es ein Aufatmen nach einer packenden Tauchfahrt ins detailreich geschilderte Aufwachsen und Erwachen eines lange verkannten Heranwachsenden. Jan Peter Bremer hat mit seinem Roman ein weitläufiges Haus gebaut, in dem man sich als Leser gelegentlich verläuft, aber eine emotional packende Zeit verbringen kann.

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten

VG WORT Zählmarke