Bad Mergentheim. Die ambulante ärztliche Versorgung im Altkreis Bad Mergentheim steht vor strukturellen Herausforderungen. Das wurde beim jüngsten „Bad Mergentheimer Gespräch“ deutlich, zu dem rund 70 Zuhörerinnen und Zuhörer ins Kurhaus gekommen waren. Unter der Moderation und Organisation von Prof. Dr. Werner Romen diskutierten Vertreter aus der Medizin, von Krankenkassen und der Stadt über mögliche Wege, die ärztliche Versorgung in der Region langfristig zu gewährleisten.
Aktueller Versorgungsgrad und gefühlte Realität
Zum Auftakt präsentierte Dr. Karsten Braun, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, aktuelle Zahlen: Der hausärztliche Versorgungsgrad im sogenannten „Mittelbereich“ Bad Mergentheim – dem Bedarfsplanungsgebiet – liege bei 98 Prozent, stellte er dar. In Tauberbischofsheim seien es 88,6 Prozent und in Wertheim 93 Prozent. Die gefühlte Realität weiche allerdings vielerorts von diesen überwiegend guten Werten ab. Praxen seien überlastet, das bestätigte auch eine kurze Umfrage unter den Diskussionsteilnehmern. Zusätzlich verschärfe sich die Situation dadurch, dass nicht wenige niedergelassene Ärztinnen und Ärzte kurz vor dem Ruhestand stehen – während es an Nachwuchs fehle, insbesondere im ländlichen Raum.
Veränderte Berufswünsche junger Ärztinnen und Ärzte
„Immer weniger junge Medizinerinnen und Mediziner streben eine Selbstständigkeit mit eigener Praxis an“, erklärte Dr. Braun – denn aufgrund des hohen unternehmerischen Risikos und langer Arbeitszeiten werde die selbstständige Tätigkeit mitunter als „Selbstausbeutung“ empfunden. Stattdessen bevorzugen viele eine Festanstellung, zunehmend in Teilzeit, etwa in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Der Wunsch nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben stehe beim Ärztenachwuchs stärker im Vordergrund, so Dr. Braun. Das zeige auch die Statistik: Zwar sei die Zahl der Ärztinnen und Ärzte in Baden-Württemberg so hoch wie nie zuvor, die tatsächliche Versorgungskapazität sinke jedoch.
Belastungen im Praxisalltag und steigende Patientenzahlen
Dr. Wolfgang Willfarth, Hausarzt aus Creglingen, beschrieb seinen Arbeitsalltag als eine „Herkulesaufgabe“. Um dem steigenden Verwaltungsaufwand und der wachsenden Sorge vor Regressansprüchen zu begegnen, müsse er mitunter nachts arbeiten. Auch ging er darauf ein, dass er abgestraft wurde, weil er zu viele Patientinnen und Patienten nach einer Praxisschließung übernommen habe. Dabei stellte er die Frage in die Runde: Wer will mit solchen Rahmenbedingungen, wenn Mehrarbeit bestraft wird, noch eine Praxis führen?
Des Weiteren führe der demographische Wandel seiner Ansicht nach künftig zu einer Zunahme an Hausarztkontakten. Hinzu käme ein verändertes Anspruchsverhalten, insbesondere bei einigen jüngeren Patientinnen und Patienten, die eine Art „Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit“ erwarten würden – was den Druck auf die Praxen erhöhe.
Neue Versorgungsmodelle als Perspektive
Auch Dr. Thorsten Zahn, Allgemeinmediziner im Facharztzentrum Bad Mergentheim, betonte, dass neue Versorgungsstrukturen notwendig seien. Gemeinschaftspraxen oder MVZ-Modelle könnten dazu beitragen, die Versorgung stabil zu halten. Mehrfach wurde das Konzept der Medizinischen Versorgungszentren als Ansatz hervorgehoben, denn ein MVZ bündelt medizinische Leistungen, ist oft mit Krankenhäusern oder weiteren medizinischen Diensten vernetzt und wird meist von Kommunen, Landkreisen, Kliniken oder gemeinnützigen Trägern betrieben.
Jeremia Berschauer, Kaufmännischer Direktor des Caritas-Krankenhauses, verwies auf die Vorteile dieser Einrichtungen. Ein MVZ ermögliche es, Patientenströme aus geschlossenen Praxen aufzufangen, interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern und Weiterbildungsmöglichkeiten zu schaffen. Besonders für Berufseinsteiger sei das Konzept attraktiv.
Auch Jürgen Heckmann von der AOK sprach sich für ein Umdenken in der Versorgung aus. Angesichts der Lage müssten neue Formen der Versorgung in Betracht gezogen werden, zum Beispiel Telemedizin mit dem Einsatz von Video-Sprechstunden. Auch wurde das sogenannte Hausarztmodell – die hausarztzentrierte Versorgung (HzV) – angesprochen, das von den anwesenden Hausärzten wegen seiner Effizienz in der Abwicklung gelobt wurde.
Engpässe auch bei Fachärzten spürbar
Nicht nur im hausärztlichen Bereich gibt es Engpässe. Auch bei Fachärztinnen und Fachärzten im Main-Tauber-Kreis zeichnet sich eine angespannte Lage ab – insbesondere in der Kinderheilkunde und Psychotherapie. Dr. Tilmann Rossmanith, Neurologe aus Weikersheim, berichtete von regulären Wartezeiten von sechs Monaten. Akute Fälle ziehe er vor, sehe es jedoch als Aufgabe der Hausärztinnen und Hausärzte, solche Notfälle zu erkennen und an ihn weiterzuleiten.
Ein weiteres Thema war der ärztliche Bereitschaftsdienst. Die bundesweite Servicenummer 116 117 sei grundsätzlich gut organisiert, dennoch gebe es noch Schwierigkeiten in der Umsetzung – beispielsweise längere Wartezeiten in der Callcenter-Leitung bei Stoßzeiten am Samstagvormittag. Es stünde eine Werbekampagne bevor, so Dr. Braun, die Rufnummer noch bekannter zu machen – die aber, wie er betonte, keine Notfallnummer sei, sondern hausärztliche Fälle abfange.
Dr. Tim Schnyder von der Stadtverwaltung Bad Mergentheim hob in seinem Statement hervor, dass sich die Stadt aktiv um die Ansiedlung neuer Ärztinnen und Ärzte bemühe und Förderprogramme anbiete. Diese beinhalten Zuschüsse sowie Unterstützung bei der Praxisgründung. Als Gesundheitsstadt sehe sich Bad Mergentheim in besonderer Verantwortung – auch mit Blick auf einen guten Ruf, den es zu bewahren gelte.
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