Konferenz mit 80 Teilnehmern abgehalten - Vertreter der Gemeinwohl-Ökonomie trafen sich in Bad Mergentheim

„Binnenmarkt der Guten“ unterstützen

Von 
Birte Vehrs
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Der Österreicher Christian Felber, Begründer der Gemeinwohl-Ökonomie, sprach bei der Tagung der Bewegung in Bad Mergentheim. © Birte Vehrs

Was ist Gemeinwohl-Ökonomie und wie würde sie unser Wirtschaftssystem verändern? Diese Frage wurde jetzt bei einer Konferenz in Bad Mergentheim besprochen.

Bad Mergentheim. Was wäre, wenn für ein Unternehmen das Gemeinwohl, also das Wohl aller und der Natur, an erster Stelle stünde? Wäre das für Betriebe realisierbar und ökonomisch umsetzbar? Mit dieser Frage beschäftigen sich die Verfechter der Gemeinwohl-Ökonomie. Mehr noch: sie leben es vor.

Im deutschsprachigen Raum gibt es 400 Unternehmer und Gemeinwohl-Vorreiter. 80 von ihnen trafen sich kürzlich zu ihrer zweitägigen Jahreskonferenz in Bad Mergentheim und berichteten über ihre Arbeit.

Die meiste Resonanz findet die Gemeinwohl-Ökonomie bisher bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Sie scheint ein Instrument zu sein, dessen Wert immer mehr verantwortungsbewusste Inhaber für sich erkennen.

Vertreter von kleinen, aber auch von Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, berichteten bei der Tagung, dass diese Art der Nachhaltigkeitsorientierung umsetzbar sei und sich keineswegs gewinnschmälernd, sondern in vielerlei Hinsicht sogar positiv auswirke.

Angereist waren Eigentümer von Maschinenbau-Unternehmen, aus der Energiewirtschaft, dem Facilitymanagement, aus einem großen Weiterbildungskonzern, von Start-ups, aus der Wissenschaft und von kleinen und kommunalen Dienstleistern.

Begründer der Gemeinwohl-Ökonomie ist Christian Felber aus Österreich, der ebenfalls nach Bad Mergentheim gekommen war. Sein Terminkalender ist inzwischen randvoll, er ist Autor und ein gefragter internationaler Sprecher, Dozent und Vertreter für seinen Nachhaltigkeitsansatz in der Wirtschaft. „Das Geld ist zum Selbst-Zweck geworden, statt ein Mittel zu sein für das, was wirklich zählt: Ein gutes Leben für alle“, erinnerte Felber.

Wie Felber aus mehreren kürzlich veröffentlichten wissenschaftlichen Untersuchungen zitierte, sei die Gemeinwohl-Ökonomie inzwischen das Nachhaltigkeits-Instrument der Wahl. Seit April 2017 gebe es eine gesetzliche Vorgabe für „Corporate Social Responsibility“, die sogenannte CSR-Richtlinie. Sie verpflichte Unternehmen mit mehr als 500 Angestellten, neben dem Finanzbericht jährlich einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen.

Diese Berichte seien leider oft nicht transparent und vergleichbar. „Nachhaltigkeit ist ein viel zu unscharfer Begriff“, kritisierte Felber und forderte „ein Instrument, um nachhaltiges Wirtschaften zu messen und zu verbessern“. Dies sieht er in einer „Gemeinwohl-Bilanzierung“. Sie solle neben ökologischen auch ethische und soziale Kriterien wie Menschenwürde, Transparenz und Mitentscheidung mitbewerten. Die Gemeinwohl-Bilanzierung würde somit auch die Beziehungen eines Betriebes zu Lieferanten, Kunden, Mitarbeitenden, Finanzpartnern und zum gesellschaftlichen Umfeld anhand sozialer, ökologischer und ethischer Kriterien überprüfen. Eine solche Bilanzierung ermöglicht es nach Felbers Überzeugung, künftig den gesamten Wirtschaftsstrom in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken oder einen „Binnenmarkt der Guten“ zu unterstützen. In Portland (USA) gebe es schon Steuersenkungen von 25 Prozent auf nachhaltige Unternehmen und erhöhte Steuersätze für die Betriebe, die wenig nachhaltig arbeiten.

Christian Liebhardt aus der WBS-Trainingsgruppe mit über 1000 Mitarbeitern berichtete von einer bei seinem Unternehmen im Jahr 2016 vorgenommenen Gemeinwohlzertifizierung. „Der gesamte Prozess hat bei uns dazu geführt, dass ein internes Umdenken eingesetzt hat und an einer stetigen Verbesserung hin zu mehr Nachhaltigkeit gearbeitet wird.“ Nur zwei Prozent der im Rahmen der GIVUN-Studie der Europa-Universität Flensburg befragten über 100 Betriebe berichteten laut Referent Gerd Hofielen von negativen Auswirkungen auf ihre Finanzergebnisse. Er hob positiv hervor, dass sich die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit für eine Mehrheit der Unternehmen durch die Gemeinwohl-Bilanzierung verbessert habe. Diese eigne sich sogar als „Managementsystem zur Unternehmenssteuerung“, berichtete Tobias Fletscher, der beim Elektronik-Lieferant elobau mit über 1000 Mitarbeitern die Einführung der Gemeinwohl-Orientierung wissenschaftlich begleitete. Andreas Huber vom „Club of Rome“ spannte den Bogen weit. Nach dem Bericht „Grenzen des Wachstums“ von 1972 habe der Club 2017 das Buch „Wir sind dran“ herausgegeben. Huber zeigte sich überzeugt, dass die Gemeinwohl-Bilanz dazu beitragen könne, die von den Vereinten Nationen ausgerufenen nachhaltigen Entwicklungsziele umzusetzen. Was es aber weiter brauche, so Huber, sei nichts weniger als „eine neue Aufklärung“. Ein vielbeachtetes Thema auf der Konferenz war der Austausch über die Rolle von Eigentum in Wirtschaftsbetrieben, was im Mittelstand ein kritisches Thema sei, so Gärtnerei-Inhaber Harro Colshorn, Apotheker und Stiftungsgründer Albrecht Binder sowie die Brüder Achim und Adrian Hensen von der „purpose“-Stiftung.

Sie alle sehen Stiftungen an der Seite eines Unternehmens als“Kapital-Transformationsinstrument“ und als Garant dafür, dass das Eigentum und damit der erarbeitete Wert des mittelständischen Betriebes in kritischen Phasen nicht einem vorschnellen Verkauf zum Opfer falle.

Wer gedacht hatte, dass nur Unternehmen im Fokus stehen, wurde auf der Konferenz eines Besseren belehrt: auch in Kommunen und öffentlichen Betrieben gibt es erste Erfahrungen. Dr. Oliver Viest von em-faktor hat die Stadt Stuttgart mit vier Eigenbetrieben kürzlich bei einer Gemeinwohl-Prüfung begleitet, unter anderem die Stuttgarter Stadtentwässerung und das Sozialunternehmen „leben& wohnen“.

Statt dem ursprünglich geplanten einen Eigenbetrieb wurden inzwischen vier Betriebe bilanziert.

Die Stadt Freiburg und das Land Hessen hätten sich in Stuttgart bereits kundig gemacht und würden künftig ebenso Eigenbetriebe auf das Gemeinwohl ausrichten.

Und die Landrätin von Marburg-Biedenkopf hat mitgeteilt, der erste gemeinwohlzertifizierte Landkreis Deutschlands werden zu wollen, berichtet Josef Rother von der Gefak Marburg. Zu diesem Zweck wurden bereits mehrere „Leader“-Projekte in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsförderung anvisiert.

Eine für Bad Mergentheim spannende Frage wurde beim Abschluss beantwortet, nämlich wie die Konferenz ihren Weg in die Kurstadt gefunden hatte.

Die Organisatoren hatten zwischen Frankfurt und Nürnberg ein größeres Bio-Hotel gesucht und fanden das Bad Mergentheim Savoy-Hotel mit seiner rein regionalen, saisonalen biologischer Kost.

Informationen über die Tagung findet man unter: Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland im Internet unter „www.ecogood.org/de/“.

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