Bad Mergentheim. Der kopfsteinholprige Pfarrgang schenkt, bis auf die verpfuschte Intrada am Nordosteck, den alten Mergentheimern noch eine Begegnung, die wohltut. Markantester Bau ist da das so genannte Kanzlerhaus, Nummer zwei. Hier saß bis vor ein paar Jahren die Verlegerfamilie der 1791 gegründeten Tauber-Zeitung.
Anscheinend hat sich selbst der sonst recht nüchterne Bauhistoriker Emil Raupp in das Anwesen verliebt. So schwärmte er in seiner, im Lazarett unter Qualen verfassten, Doktorarbeit von 1947, die erst 1975, elf Jahre nach seinem frühen Tod, im Druck erschienen ist. Wie sehr eine sentimentale Gefühlsanwandlung in dieser Spätzeit Wucht und Ernst des barocken Ausdrucks in eine zarte und beschwingte Heiterkeit verwandle, sei hier zu erleben: „Zierlich gegliedert und in den elegant geformten Umriß eines gebrochenen Daches auslaufend, findet der ruhig gelagerte Baukörper am Portal seinen künstlerischen Höhepunkt; dieses ist geschickt mit einem Flurfenster gekuppelt, von einem malerischen Spiel fantastischer Dekorationsformen umgeben und von einer Madonnenfigur bekrönt.“
Aber dann beginnt schon das Rätselraten. Am Portal steht die Jahreszahl 1730. Raupp datiert das Baujahr auf 1740, Peter Högler in seiner ungedruckten Monographie über Franz Joseph Roth auf 1750. Dass der so vielseitig wie hoch begabte gebürtige Wiener Roth (1690-1758) das Haus für den Hofkammerrat des Deutschen Ordens mit dem federkielkrakeligen Namen Johann Jakob Tautphoeus errichtet hat, ist klar. Nur wann? Und wer schuf die Supraporte mit der hoheitsvollen Madonna? In seiner schier unausschöpfbaren Arbeit über die Bildhauerfamilie Auwera plädiert Georg Menth 1987 vehement für Anton Grimbach, Jahrgang 1708. Anno 1730 wäre er 22 Jahre jung gewesen und hätte gewiß nicht den repräsentativen Auftrag für die Supraporte, das meist mit einem Gemälde geschmückte Fach zwischen Türrahmen und Decke des ersten Stockwerks, erhalten.
Ein eigenwilliger Kopf wie Grimbach, wir kommen darauf zurück, war jedoch auch Franz Joseph Roth. Die heutigen Mergentheimer kennen Roth meist nur als Stukkateur und Baumeister. Er war jedoch auch gelernter Bildhauer. Als er sich 1725 als Bauinspektor beim Ellingen Deutschorden bewarb, wurde er zunächst abgewiesen da er „bishero von der Bildhawerey und Stuccator-Wesen alleins Profession gemachet“. Als der zweite Barockgarten des Klosters Bronnbach gen Süden angelegt wurde, mit Pavillons, Grotte, Terrassen und reichem Figurenschmuck, erhielt Roth 1726 allein für seine Gartenstatuen 358 Gulden. Karl Kolb vermutet in seinem Pionierwerk „Barock im Taubertal“, um 1953 erschienen, Roth habe anscheinend sogar die ganze Anlage des Gartens geleitet, da er 1736 noch einmal „größere Summen“ für den Neuen Garten kassierte.
Hat ein so selbstbewusster Mann wie Roth den Blickfang seines Mergentheimer Prestigebaus einem knapp zwei Jahrzehnte jüngeren Künstler wie Grimbach anvertraut? Das erscheint doch sehr fraglich. Was spricht gegen die These, er habe selbst als Bildhauer sein Bauwerk vollendet? Kolb bezeichnet den Typ der aus gelbem Sandstein gehauenen Madonna auf schlangenumwundener Weltkugel trotz des fehlenden Zepters als Regina Pacis. bfs
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