Soziales

Bad Mergentheim: Verein „Sprungbrett“ kämpft um Inklusion

Trotz großer sportlicher Erfolge bleibt Unterstützung aus. Der Verein „Sprungbrett“ will seinen Reitern dennoch internationale Turnierteilnahmen ermöglichen.

Von 
Simon Retzbach
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Florian Kaplirz (vorne, Zweiter von links) und Dr. Sabine Kaplirz (vorne rechts) aus Bad Mergentheim zusammen mit der Nationalmannschaft, Trainern und Betreuern im Rahmen der Virtus-EM. Virtus ist die Weltorganisation für den internationalen Leistungssport von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung. © Kaplirz

Bad Mergentheim/Üttingshof. „Viel Nachholbedarf im deutschen Parasport“, titelte der Deutschlandfunk Ende 2024 mit Blick auf die Paralympics in Paris. Inklusion gehe in Deutschland nur schleppend voran, gerade im Vergleich mit Ländern wie etwa Schweden, so das Urteil des Berichts. Was man hier allerdings bedenken muss: Bei den Paralympics, der wohl populärsten Leistungssportveranstaltung im Parasport, treten überwiegend Sportler mit körperlicher Beeinträchtigung an. Für Sportler mit geistiger Beeinträchtigung fällt diese Entwicklung noch schlechter aus.

So erzählt es Dr. Sabine Kaplirz, die Vorsitzende des Bad Mergentheimer Vereins „Sprungbrett“. Der Verein hat es sich seit nunmehr bald 25 Jahren auf die Fahnen geschrieben, geistig beeinträchtigen Menschen „durch individuelle Förderung Möglichkeiten zum Lernen, zum Leben und zum Arbeiten zu eröffnen – wie sie andere Menschen auch haben“. Ein Angebot ist dabei seit 2007 das Reiten. Dieses biete den Beeinträchtigten auf unterschiedliche Arten einen enormen Mehrwert, beispielsweise durch die Stärkung sozialer Kompetenzen im Umgang mit den speziell geschulten Tieren oder auch eine Steigerung der Motivation sowie eine Verbesserung der Konzentration durchs Reiten. „Das Pferd ist als Helfer ganz besonders, es erkennt die Stimmung der Reiter und spiegelt diese“, fasst es Sabine Kaplirz kurz zusammen.

Florian Kaplirz aus Bad Mergentheim holte in England bei seinem EM-Debüt Silber - und will auch bei den World Games wieder aufs Treppchen. © Kaplirz

Und manch einer entwickelt dabei auch sportlichen Ehrgeiz, wie etwa Florian Kaplirz. Der 45-Jährige ist seit langem leidenschaftlicher Reiter und nahm im vergangenen Jahr erstmals an den „Virtus Open European Championships“ teil. Dieses Turnier entspricht einer Europameisterschaft und endete für den Debütanten äußerst erfolgreich mit der Silbermedaille, die deutsche Mannschaft erreicht mit zwei Gold- und zwei Silbermedaillen den zweiten Platz in der Gesamtwertung. Ein großer Erfolg, der vor dem Hintergrund erschwerter Bedingungen für die deutschen Teilnehmer umso höher zu gewichten ist.

Denn im Gespräch mit Sabine Kaplirz wird deutlich, wie sehr die geistig beeinträchtigten Reitsportler auf allen Ebenen um Akzeptanz und Anerkennung, vor allem in Form konkreter Unterstützung, kämpfen müssen. Allgemein habe sich der Verein im Laufe der Jahre „viel erkämpfen müssen“, beschreibt sie. Gekürzte Mittel sorgen für klamme Kassen und sorgen dafür, dass der Verein verstärkt auf Spenden angewiesen ist.

Der Verein „Sprungbrett“

  • Der Verein wurde im Jahr 2000 von Eltern, Lehrern und der Schule im Taubertal nahestehenden Menschen gegründet
  • Sprungbrett ist Träger in der Behindertenhilfe und Anbieter von niederschwelligen Betreuungsangeboten (familienentlastende Dienste) nach der Unterstützungsangebote-Verordnung Baden-Württemberg.
  • Das Vereinsangebot umfasst Kultur-, Bildungs- und Freizeitangebote einschließlich verschiedener sportlicher Aktivitäten – auch in Kooperation mit Partnern ohne Beeinträchtigung.
  • Neben Einzelangeboten zur Alltagsbewältigung finden wöchentlich Gruppenangebote statt
  • Der Vereinsvorstand arbeitet ehrenamtlich
  • Weitere Infos unter www.sprungbrettev.com

Dabei gibt es große Unterschiede im Ländervergleich bei der Förderung beeinträchtigter Menschen im Allgemeinen und Sportler im Speziellen. Bei der Teilnahme an der EM in England im Sommer des vergangenen Jahres merkte die 72-Jährige das besonders deutlich. Denn hier traten neben der deutschen Mannschaft auch Delegationen aus Ländern wie Spanien, Australien oder den Niederlanden an. „Das waren große Gruppen mit über 40 Teilnehmern, einheitlich ausgerüstet und mit dreiwöchigem Aufenthalt“, erzählt Kaplirz. Der Auftritt der deutschen Mannschaft fällt da bescheidener aus, lediglich acht Teilnehmer plus Begleiter nahmen teil. Die einzige Unterstützung: „Ein Poloshirt für jeden.“ Ansonsten musste alles selbst bezahlt werden, mehrere tausend Euro fallen pro Teilnehmer an. Anders als bei körperlich beeinträchtigten Reitern erhalten intellektuell beeinträchtigte Athleten keinerlei Unterstützung durch das Deutsche Olympische Komitee für Reiterei, da sie vom Parareitsport ausgeschlossen wurden.

Verteilungskonflikt unter beeinträchtigten Sportlern

Dr. Sabine Kaplirz beschreibt eine Art Drei-Klassen-Gesellschaft im Reitsport. Zuerst kämen die nicht eingeschränkten, dann die körperlich beeinträchtigten und erst zuletzt die geistig beeinträchtigten Reiter. „Da geht in Sachen Unterstützung die Schere sehr weit auf“, erklärt Kaplirz. Doch warum gibt es zwischen den beeinträchtigten Sportlern überhaupt noch diesen Unterschied, existiert dort nicht auch eine Art Solidarität? „Nein. Die körperlich beeinträchtigten Reiter können noch für sich selbst sprechen und ihre Standpunkte klarmachen. Außerdem muss ein kleiner Kuchen so nicht durch noch mehr geteilt werden“, erklärt sie, warum der Kampf um Unterstützung zwischen körperlich und geistig beeinträchtigten Sportlern eine Art Verteilungskonflikt auslöst. Häufig gehe dieser Konflikt zugunsten der körperlich beeinträchtigten Sportler aus.

Die Vorsitzende des Vereins „Sprungbrett“ sorgt sich um die allgemein schlechter werdende Unterstützung, denn das Reitangebot habe einen großen Mehrwert für die Teilnehmer. Insbesondere auch der sportliche Erfolg, wie zuletzt bei der EM. „Das macht etwas mit den Menschen, es motiviert und sie entwickeln Ehrgeiz“, beschreibt die 72-Jährige. Ihr Sohn Florian ist ein gutes Beispiel. Der 45-Jährige reitet schon seit Kindertagen. Obwohl er das Down-Syndrom hat, geht er einer regulären Beschäftigung nach, hat eine gute Haltung und kein Übergewicht, was bei Menschen mit Down-Syndrom häufige Begleiterscheinungen seien. Zudem inspiriere der Erfolg viele der 30 Personen, die die Reitangebote auf dem Gelände des Üttingshofs wahrnehmen.

Ihre Forderung an die Politik ist daher klar: „Ich wünsche mir eine offenere Gesellschaft für alle Menschen. Inklusion muss gelebt, die Schwächsten in der Gesellschaft berücksichtigt werden.“ Das brauche anfangs zwar mehr Unterstützung, könne jedoch in frühen Lebensphasen nachhaltig wirken und Folgeschäden einer Beeinträchtigung im Erwachsenenleben verhindern. Sie macht sich daher Sorgen über mögliche Kürzungen im Sozialbereich, die auch ihren Verein weiter treffen könnten.

Doch sie will sich nicht unterkriegen lassen. In diesem Jahr wollen die Reiter an den World Games teilnehmen, die ebenfalls in England stattfinden. Für Kaplirz ist damit ein hoher Organisationsaufwand und viel Vorbereitung verbunden. Doch diese nimmt sie gerne auf sich. Das Ziel ist klar: Eine Medaille soll es wieder werden. „Das wäre vielleicht ein Schritt zu besserer Finanzierung“, hofft sie.

Redaktion

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