Bad Mergentheim. Der Mann aus Wachbach ist ehemaliger Patient der seit Januar geschlossenen Vitalarztpraxis Dr. Träger und versucht mittlerweile seit fast einem Jahr erfolglos, an seine Patientenakte zu kommen.
Eine Nachwirkung der abrupten Schließungen, die im Januar als Konsequenz der Schwierigkeiten des Mannheimer Unternehmens Medicas erfolgten. Zwar ging die ehemalige Praxis von Silke Stahnke in einem neu geschaffenen Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) am Caritas-Krankenhaus auf, jedoch wurde damit nur für eine der drei Paxen die Nachfolge geregelt.
Ute Emig-Lange, Pressesprecherin des Caritas-Krankenhauses, bestätigte die entsprechende Schilderung: „Da der Sitz von Silke Stahnke durch das MVZ übernommen wurde, haben wir auch Zugriff auf die Akten der ehemaligen Patienten dieser Praxis. Auf die anderen Unterlagen jedoch nicht.“
Laut der Landesärztekammer Baden-Württemberg sei eine Übergabe von Akten an einen anderen Arzt durch Zustimmung des Patienten möglich. Dies findet beispielsweise dann statt, wenn der Patient eine Behandlung bei einem neuen Arzt in Anspruch nimmt und entsprechende Einverständniserklärungen unterzeichnet.
Über einen neuen Arzt also zu den alten Akten? Im speziellen Fall ist das nicht so einfach. Dr. Carsten Köber, als Hausarzt und stellvertretender Vorsitzender der Kreisärzteschaft von dem Sachverhalt betroffen, hat einige der ehemaligen Patienten übernommen. Neben einem erschwerten Praxisbetrieb aufgrund zahlreicher Patienten sei insbesondere der fehlende Zugriff auf die alten Befunde ein Problem. „Wir haben teils Patienten mit Chemotherapien oder schweren Vorerkrankungen ohne Befunde, das erschwert die Behandlung“, erklärt Köber. Auch bei der Beantragung einer Kur oder der Anerkennung einer Schwerbehinderung, wo zahlreiche medizinische Befunde verlangt werden, sei das Fehlen der Patientenakte problematisch. Da es kein zentrales, digitales Archiv gebe, sei ein Zugang nicht zu schaffen.
Arzt in der Verantwortung
Doch wer ist nun zuständig? Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), die Landesärztekammer und Ärztevertreter Köber sehen hierbei klar den bisherigen Arzt in der Verantwortung. „Er muss den Patienten den Zugang zu den Akten ermöglichen, auch wenn er nicht mehr tätig ist. Dafür kann es unterschiedliche Möglichkeiten geben. Die einfachste ist, wenn die Praxis durch einen Nachfolger fortgeführt wird. Ansonsten kann er es natürlich selbst übernehmen oder auch jemanden damit beauftragen“, erklärt KVBW-Pressesprecher Kai Sonntag. Eine zentrale Anlaufstelle gebe es nicht, dies sei eine Sache zwischen Arzt und Patient.
„Jeder Patient hat ein Recht auf die Herausgabe seiner Daten und könnte das theoretisch sogar einklagen“, ergänzt Carsten Köber. In der Realität sei das allerdings wenig erfolgversprechend. Der Versuch, Dr. Heinz-Jürgen Träger zu erreichen, blieb über mehrere Tage erfolglos und dürfte so auch für ehemalige Patienten verlaufen.
Der Mannheimer Dienstleister Medicas kann jedenfalls keinen Zugriff auf die Daten herstellen. „Die Medicas GmbH hatte als Dienstleister (sie war nicht Betreiber der Praxen) nach hier vorliegendem Kenntnisstand keinen Zugang zu Patientenakten“, teilt Insolvenzverwalter Henrik Schmoll seine Sicht auf die Dinge mit.
Ausbleibende Mietzahlungen
Sowohl KVBW als auch die Landesärztekammer erklären in ihren Stellungnahmen, dass sie bei „erschwertem Zugriff“ auf Patientendaten unterstützend zur Verfügung stehen. Konkrete Maßnahmen wurden allerdings nicht genannt. Auch auf die Frage, ob die Landesärztekammer im Bad Mergentheimer Fall Berufspflichten eines Kammermitglieds verletzt sieht, ist keine klare Auskunft zu erhalten.
Wie drängend das Problem der plötzlich fehlenden Hausärzte ist, zeigt eine kuriose Schilderung, die im Zuge der Recherche ans Licht kam. Manuel Schülein, Vorstand der BAGeno Raiffeisen eG, vermietete Räumlichkeiten in der Zaisenmühlstraße an die Vitalarztpraxis Dr. Träger. „Leute stehen bei uns im Markt und fragen nach den Akten“, erzählt er. Wenig erfreulich ist für ihn auch der Umstand, dass noch Mietzahlungen der Praxis ausstehen. Über die Höhe macht Schülein mit Blick auf ein laufendes Verfahren keine Angaben. Wichtig ist ihm nur zu betonen, dass nicht Dr. Heinz-Jürgen Träger, sondern die Medicas hierfür verantwortlich sei.
Nach zahlreichen Gesprächen und Anfragen kann klar beantwortet werden, wer für die Patientenakten zuständig ist. Diese Aktenhoheit liegt weiterhin beim ehemaligen Praxisinhaber, auch wenn dieser nicht mehr tätig ist. Weiterhelfen dürfte das den ehemaligen Patienten jedoch nicht, denn mangels Erreichbarkeit ist eine Durchsetzung der Ansprüche kaum möglich.
Carsten Köber hält es für möglich, dass zukünftig vermehrt Praxen ohne Nachfolger schließen. Um ein vergleichbares Szenario künftig zu vermeiden, wünscht er sich eine Digitalisierung der Akten und ein zentrales Archiv mit Patientendaten. Hier könnte dann für behandelnde Ärzte ein Zugriff ermöglicht werden. Angesichts der großen Bedeutung des Datenschutzes in Deutschland ist er allerdings skeptisch, ob eine solche Lösung erreicht werden kann.
Für Bad Mergentheim tritt der Fall einer Praxisschließung jedenfalls schon zum Jahresende wieder ein. Der Allgemeinmediziner und Hausarzt Dr. Uwe Steinorth gibt seine Praxis auf und tritt in den Ruhestand ein, einen Nachfolger hat der 70-Jährige nicht. „Hinsichtlich der Patientenakten bin ich auf meine Patienten zugegangen, habe diese mündlich, telefonisch oder per Inserat kontaktiert und stehe für eine Übergabe der Akten zur Verfügung“, erklärt Steinorth seine Vorgehensweise. Wobei damit jedoch nur das vergleichsweise kleinere Problem gelöst ist: Die Suche nach einem Hausarzt dürfte in der Kreisstadt nach dem Wegfall der Praxen schwierig werden.
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