Angriff mit Messer

Bad Mergentheim: Gericht sieht Tötungsvorsatz bei Attacke auf Würth-Areal

Wollte ein Arbeiter seinen Kollegen wegen rassistischer Anfeindungen mit einem Schnitt am Hals töten? Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung waren sich bei der Bewertung uneinig

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Simon Retzbach
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Der Angeklagte muss sich in U-Haft weiter gedulden: Über seinen Angriff auf einen Arbeitskollegen entscheidet das Schwurgericht. © Simon Retzbach

Bad Mergentheim. So viel ist klar: Im Prozess um die Attacke eines Leiharbeiters auf einen Arbeitskollegen auf dem Bad Mergentheimer Würth-Areal (wir berichteten) muss das Schwurgericht in Ellwangen entscheiden. Das Schöffengericht am Amtsgericht Bad Mergentheim verwies den Fall nach Teilen der Beweisaufnahme bindend dorthin, nachdem es von einem Tötungsvorsatz des 28-jährigen Angeklagten bei der Tat ausging.

Doch von vorne: Angeklagt war der 28-jährige D., ein Leiharbeiter in der Logistik von Würth Industrie Service. Er soll im Mai mit einem Cuttermesser und einem Hammer auf einen Arbeitskollegen losgegangen sein und diesen mit einem etwa 20 Zentimeter langen Schnitt am Hals schwer verletzt haben.

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Die Kriminalpolizei ermittelte wegen eines versuchten Tötungsdelikts, das war auch der Grund für den Haftbefehl des 28-Jährigen. Doch die Anklage vor dem Schöffengericht lautete nun auf gefährliche Körperverletzung, die Staatsanwaltschaft Ellwangen sah nun also keinen Tötungsvorsatz in der Tat des Angeklagten mehr.

Der Angeklagte ließ über eine Dolmetscherin ausrichten, dass die vorherigen Schilderungen von Oberstaatsanwalt Jörg Böhmer „teilweise nicht richtig“ seien. Er habe den Geschädigten nicht, wie dargestellt, in den Schwitzkasten genommen und ihm dann in den Hals geschnitten. Er habe vielmehr vor dem Geschädigten gestanden und das Messer in einer Art abwehrenden Bewegung mit gestrecktem Arm am Hals vorbeigeführt. Zudem beschrieb er rassistische Anfeindungen durch den Geschädigten: „Ich habe das Gefühl, dass ihm meine Hautfarbe nicht gefallen hat.“

Am Tattag sei er schon morgens schlecht gelaunt gewesen und es habe direkt einen Konflikt mit dem 49-jährigen Geschädigten gegeben, weshalb der Angeklagte das Gespräch mit seinem Vorgesetzten suchte. Als dieser zum gemeinsamen Austausch mit Angeklagtem und Geschädigtem kam, habe der Geschädigte ihn mehrmals als „Lügner“ bezeichnet.

Lügenvorwurf als Auslöser der heftigen Attacke?

Eine nicht hinnehmbare Beleidigung für D., der daraufhin nach eigener Aussage das Messer gegriffen habe. „Es war der schlimmste Tag meines Lebens. Ich habe lange Geduld gezeigt, aber ’Lügner’ war zu viel für mich. Die Attacke war nicht geplant, das war die geballte Wut“, erklärte der Angeklagte den Tathergang. Er habe seinen Vorgesetzten schon früher mehrfach auf die Probleme mit dem Arbeitskollegen hingewiesen, jedoch ohne Erfolg im Sinne einer nachhaltigen Lösung.

Besagter Vorgesetzter war dann auch der erste von insgesamt elf Zeugen, die das Schöffengericht zum Vorfall hören wollte. Der Geschädigte war übrigens nicht unter ihnen, er war im Vorfeld des Prozesses wieder in sein Heimatland zurückgekehrt. Ein erschwerender Umstand bei der Tatrekonstruktion.

Der Vorgesetzte des D., Teamleiter bei Würth in Bad Mergentheim, bestätigte einen Konflikt an besagtem Morgen. Der Angeklagte singe gerne bei der Arbeit, der Geschädigte sei davon genervt. Nach weiteren „kleineren Reibereien“ habe der Geschädigte dann tatsächlich „Du lügst“ in Richtung des Angeklagten gesagt, woraufhin es zu „einer Rangelei“ kam. Der Angeklagte habe den Mann in den Schwitzkasten genommen und mit dem Messer „durchgezogen“. „Wie ein Hund, der sich verbissen hat“, beschrieb der Mann das Verhalten des Angeklagten. Der Teamleiter erklärte sich den Konflikt mit „unterschiedlichen Kulturen“, die aufeinanderprallten. Bei dem Geschädigten hätten selbst „nette Dinge sehr hart“ geklungen, auch gut gemeinte Tipps wären beim Angeklagten schlecht angekommen.

Angeklagter wollte mit Hammer erneut auf Geschädigten los

Aus mehreren Zeugenbeschreibungen wird deutlich, dass die Attacke dennoch völlig überraschend kam. Der Angeklagte wurde als „guter Junge“, sehr zuverlässig und fleißig beschrieben. Ebenso wie der Geschädigte sollte auch D. in Kürze aus der Leiharbeit fest durch Würth Industrie Service übernommen werden, entsprechende Pläne wurden von der Geschäftsführung bestätigt.

Folgenschwer für die Beurteilung der Tat war die Aussage eines damals hinzugerufenen Kollegen. Dieser kam hinzu und trennte den Angeklagten nach der Messerattacke vom Geschädigten, der „voller Blut“ gewesen sei. „Er nahm im Weggehen auf einmal einen Hammer aus der Schublade und wollte wieder zurück [zum Geschädigten, Anm. d. Red.]. Er hat dabei mehrmals ’Du wirst sterben’ gesagt“, beschrieb der Arbeitskollege der beiden, der den Hammer allerdings direkt wieder an sich nahm und den Angeklagten vom Tatort wegbrachte.

Diese Worte soll auch der Geschädigte vernommen haben. So schilderte es vor Gericht jedenfalls ein Kriminalbeamter, der den Mann nach der Tat vernommen hatte. Er nannte dabei auch andere Gründe für Konflikte mit dem Angeklagten. Dieser sei zu spät und – regelwidrig – mit Kopfhörern am Arbeitsplatz erschienen, zudem hätte er häufig und lange Pausen eingelegt.

Uneinigkeit bei den Prozessparteien

Eine ebenfalls zu klärende Frage war, ob die Klinge des Cuttermessers ausgefahren war oder nicht. Die Aussagen waren hierzu unterschiedlich. Ein Gutachten kommt zu dem Schluss, dass sich „die Schnittverletzungen leichter durch eine ausgefahrene Klinge erklären lassen“. Auch wenn der Schnitt oberflächlich gewesen sei: „Scharfe Gewalt in der Halsregion ist grundsätzlich lebensgefährlich.“ Es habe eine abstrakte, aber keine konkrete Lebensgefahr für das Opfer bestanden. Nach der Hälfte aller geplanten Zeugenaussagen unterbrach das Schöffengericht für eine längere Zeit. Im Anschluss ließ Richterin Susanne Friedl die Beteiligten wissen, dass das Schöffengericht durchaus einen bedingten Tötungsvorsatz in den Taten des D. sieht. Sowohl in der Messerattacke als auch im Greifen des Hammers, verbunden mit den Worten „Du wirst sterben“. Unabhängig davon, wie weit die Klinge ausgefahren war, sei ein „Cuttermesser durch die Schärfe extrem gefährlich, die Halsregion ist sehr empfindlich“.

Diese Schilderungen führten zu der seltenen Konstellation, dass Oberstaatsanwalt Jörg Böhmer und Verteidiger Frank Gangl in ungewohnter Einigkeit die Ansicht des Schöffengerichts ablehnten. „Das reicht hinten und vorne nicht für einen Tötungsvorsatz“, so Böhmer. Er sah weiterhin ’nur’ eine gefährliche Körperverletzung in der Tat.

Doch es half nichts: Nach einer kurzen Besprechung verwies das Schöffengericht den Sachverhalt in einem bindenden Beschluss an das Schwurgericht in Ellwangen, das für versuchte und erfolgte Tötungsdelikte zuständig ist. „Es gibt nach vorläufiger Prüfung durch das Schöffengericht Anhaltspunkte für einen bedingten Tötungsvorsatz“, so Richterin Friedl dazu abschließend. Es wird also zu einem erneuten Prozess in der Sache kommen.

Redaktion

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