Chor Cappella Nova

Bad Mergentheim: Durchdrungen vom Geist und Daseinsgefühl des Tango

Die großartige Gesamtleistung aller Beteiligten wurde in der Schlosskirche am Ende mit Standing Ovations belohnt.

Von 
Thomas Hess
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Der Chor Cappella Nova begeisterte in der Schlosskirche. © Chor Cappella Nova

Bad Mergentheim. Großen Anklang fand einmal mehr die jüngste Aufführung des Chors Cappella Nova unter seiner Leiterin Esther Witt in der gut besuchten Schlosskirche. Außergewöhnlich war indes das Programm, das diesmal nicht aus dem Fundus der abendländischen Chortradition schöpfte, sondern aus der hierzulande noch wenig beachteten lateinamerikanischen, genauer gesagt: der argentinischen. Hier führt natürlich kein Weg am Tango vorbei, doch dass dieser Tanz, dessen dunkler Ursprung im Milieu der Hafenkneipen von Buenos Aires zu suchen ist, einmal als musikalische Grundlage einer katholischen Liturgie dienen könnte, war lange kaum vorstellbar.

Der argentinische Komponist Martin Palmeri belehrte freilich mit seiner 1996 entstandenen „Misa a Buenos Aires“ die Skeptiker eines Besseren und schuf ein Werk, das scheinbar wesensfremde Stile und Ausdrucksformen zu einem tief berührenden Gesamtkunstwerk einzuschmelzen verstand. Palmeris etwa vierzigminütige Messe bildete so den Mittelpunkt dieses Chorkonzerts in der Schlosskirche, ergänzt durch vier rein instrumentale Tangos von Großmeister Astor Piazzolla (1921 bis 1992), ohne dessen bahnbrechende, mit einem qualitativen Quantensprung verbundene Erneuerung dieser Gattung zum „Tango Nuevo“ auch Palmeris Werk nicht denkbar gewesen wäre.

Untrennbar mit dem Tango verbunden ist nicht nur eine bestimmte Grundstimmung, man könnte auch sagen: ein Lebensgefühl und zugleich ein genau umrissenes Klangbild, dessen charakteristische Farbe das Bandoneon mit seinem seufzenden und wimmernden Klang beisteuert, einem Klang voller Wehmut und Melancholie, in dem ursprüngliche Hafenschenken-Atmosphäre des Tango am sinnfälligsten bewahrt ist. In dieser Aufführung wurde es von einem herausragenden Virtuosen in Person von Norbert Kotzan gespielt, der sich im Lauf seiner Künstler-Karriere zu einem der führenden Experten des Bandoneonstils – auch als Lehrer und Komponist – entwickelt hat. Unterstützt wurde er dabei vom „Ensemble Tangazo“ unter Leitung der Geigerin Carolina Ehret, bestehend aus einer Pianistin in Person der Ukrainerin Ganna Trofymchuk und einem je nach Bedarf in unterschiedlicher Besetzung auftretenden Streichquintett, das die teils elegische oder schmerzlich-depressive, teils auch heiter-beschwingte und lebensfrohe Stimmung („Libertango“) der vier bekannten Piazzolla-Kompositionen in transparente, delikate und hochexpressive Klangbilder übersetzten. Last but not least hatte Norbert Kotzan auch als Bandoneonsolist seinen großen Auftritt einem weiteren Piazzolla-Tango „Chiquilin de Bachin“. Als ein meisterhaft arrangiertes Intermezzo im Rahmen der MisaTango geriet die Nummer zu einem weiteren Höhepunkt dieses Konzerts.

Folgt der traditionellen katholischen Liturgie

Martin Palmeris Messe folgt in ihren Nummern der traditionellen katholischen Liturgie mit dem „Credo“ als inhaltlichem Schwerpunkt. Sie hält sich auch in vielen Form-Elementen an die kirchenmusikalische Tradition, beispielsweise in zwei Fugen zu Beginn und Ende der MisaTango. Gleichwohl ist diese geistliche Musik nicht nur im gattungstypischen Rhythmus und Melos durchdrungen vom Geist und Daseinsgefühl des Tango, das man vielleicht mit einer Wortverbindung wie „stolze Trauer“ oder „stolze Schwermut“ am ehesten umschreiben könnte. Dies zeigt sich sehr eindrucksvoll etwa in den Rufen des „Kyrie“, die voll beschwörender Intensität wie aus abgründigen Tiefen emporsteigen, in Teilen des „Credo“ oder auch im „Dona nobis pacem“ des „Agnus dei“. Hoffnung, Freude und Jubel sind ebenfalls vorhanden - doch als eine Haltung, die der grundierenden Schwermut des Tango regelrecht abgerungen und -getrotzt werden muss.

Mit einer tief beeindruckenden Leistung, einer ergreifenden Mischung aus Klarheit, Präzision, Einfühlung und kontrollierter Leidenschaft machten die vom „Ensemble Tangazo“ begleiteten Sänger(innen) des Chors Cappella Nova unter Leitung von Esther Witt Palmeris Messe gewissermaßen zu ihrer eigenen. Fesselnd ewaren die geschmeidige Dynamik und expressive Textausdeutung im „Credo“, die mystische Qualität im milde strahlenden „Benedictus“ und die lyrische Intimität zu Beginn des „Agnus dei“, das schließlich in den gewaltigen Steigerungen des Fugen-Finales kulminiert. Dazu fügte die Sopranistin Judith Wiesebrock als Solistin lichte und dezente Gesangslinien voll verhaltener Emotion. Für die großartige Gesamtleistung aller Beteiligten gab es in der Schlosskirche am Ende Standing Ovations.

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