Literatur allerorten

Bad Mergentheim: Das ist bei der „Winterlese“ am 23. November geboten

Von einer gerechten Zukunft bis zur Schauerromantik: Sechs Lesungen bei der „Winterlese. Büchermarkt unabhängiger Verlage“. Der Eintritt ist frei

Von 
LIA
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Autorinnen und Autoren zu Gast bei der „Winterlese 2026“: Verlegerin und Herausgeberin Britta Jürgs, Autor und Buchhändler Axel Dittrich, Wirtschaftsjournalist und Autor Caspar Dohmen, Schriftstellerin Elli Unruh, Übersetzer Stefan Weidle und Lyriker Abdalrahman Alqalaq. © Autoren

Bad Mergentheim. Zum siebten Mal findet in diesem Jahr am Sonntag, 23. November die „Winterlese“ statt – der Büchermarkt unabhängiger Verlage. Zum zweiten Mal ist die „Winterlese“ zu Gast im Evangelischen Gemeindezentrum Bad Mergentheim. Von 11 bis 17 kann man im Albert-Schweitzer-Saal an den Ausstellungstischen von 17 Verlagen stöbern, sich mit Verlegerinnen und Verlegern unterhalten und sich für die Winter- und Weihnachtszeit mit reichlich Büchern eindecken. Zu gewinnen gibt es dieses Jahr eine Reise nach Stuttgart ins Literaturhaus. Jeweils um 13.45 Uhr, 14.45 Uhr und 15.45 Uhr bieten die „Buchserviererinnen“ ein lustiges, spannendes, vielseitiges Bilderbuch-Vorleseprogramm für Kinder ab 4 Jahren an – im Jochen-Klepper-Saal. Und den ganzen Tag über sind Autorinnen und Autoren auf der Lesebühne im Martin-Luther-Saal im Gespräch mit Beatrice Faßbender zu erleben. Und das alles bei freiem Eintritt!

Bereits um 11.15 Uhr geht es mit der ersten Veranstaltung los: Dabei steht Alice Berend im Mittelpunkt, die 1875 geborene Schwester der Malerin Charlotte Berend-Corinth. Sie veröffentlichte vor allem zwischen 1910 und 1920 zahlreiche Romane, die bei S. Fischer in Auflagen von mehreren hunderttausend Exemplaren erschienen sind und ihr den Ruf eines „weiblichen Fontane“ einbrachten. 1933 wurden ihre Bücher von den Nationalsozialisten auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt. Als Jüdin verfolgt, emigrierte Alice Berend 1935 über die Schweiz nach Italien, wo sie 1938 nach schwerer Krankheit mittellos starb. Dank des AvivA Verlags kann Alice Berend wiederentdeckt werden. Verlegerin Britta Jürgs stellt diese besondere Autorin und ihr Werk vor, Ulrike Götz liest daraus Passagen vor.

Verblüffende und Praktikable Vorschläge zur Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

Gleich danach geht es um eine drängende Frage: Wie kann man Ökologie und Ökonomie auf soziale Weise zusammenbringen? Die große Mehrheit der Menschen kann nur dann für ein zukunftsfähiges Wirtschaften gewonnen werden, wenn es dabei gerecht zugeht. Der Wirtschaftsjournalist und Autor Caspar Dohmen macht so verblüffende wie praktikable Vorschläge, mit denen gleich heute begonnen werden könnte – und sollte. Sein Buch „Grün geht nur gerecht. Unterwegs in die sozialökologische Zukunft“ stellt er um 12.15 Uhr im Martin-Luther-Saal vor.

Ziemlich heiter wird es um 13.15 Uhr: Axel Dittrich – den Mergentheimern vor allem als Buchhändler bei Moritz und Lux bekannt – beschäftigt sich in seinem neuen Buch mit einem seinerzeit aufsehenerregenden Staatsbesuch von Queen Elizabeth II. Kein Staatsbesuch war für die junge Bundesrepublik so bedeutsam. Keiner dauerte länger. Keiner begeisterte mehr Menschen als der Besuch der Queen im Jahr 1965. Elf Tage lang reiste sie durch Deutschland und einen dieser Tage verbrachte sie im Ländle: Stuttgart, Marbach, Schwäbisch Hall und Langenburg standen auf ihrem Programm. Tausende säumten die Straßen und Plätze. Bis heute bleibt dieser Staatsbesuch in der Erinnerung vieler lebendig. Doch was hat sich wirklich zugetragen? Welche der Legenden beruht nur auf einer Zeitungsente? Und warum um Himmels willen trugen am Ende manche Stuttgarter grüne Schuhe? All das erfährt man am Sonntagmittag im Martin-Luther-Saal.

Wir bleiben im Ländle – und zwar bei einer jungen Autorin, die gerade ihren faszinierenden ersten Roman über die mennonitische Minderheit in der Sowjetunion vorgelegt hat: Ein „erstaunliches, ganz und gar ungewöhnliches Buch“ hat der Kritiker Jörg Plath gelesen. „In ihrem Debüt erzählt Elli Unruh, die 1987 in Kasachstan geboren wurde, in Süddeutschland aufwuchs und im Deutschen Literaturarchiv Marbach arbeitet, als ob sie nie etwas anderes getan hätte. ‚Fische im Trüben‘ ist voller Konkreta und atmosphärisch dicht. Weil Unruh den Figuren meist nah ist und der Tonfall dem Mündlichen angenähert, entsteht der Eindruck großer Unmittelbarkeit. Er verdankt sich auch einer ungewöhnlichen Kunstsprache mit altertümlichem Deutsch – und Übernahmen aus dem Russischen...“ Mehr über dieses bemerkenswerte Buch erfährt man um 14.15 Uhr.

Themen wie Obsession, Empfindsamkeit und Natur verarbeitet

Vom Roman zur Lyrik und Kurzprosa: Abdalrahman Alqalaq, 1997 in Alyarmouk, einem Flüchtlingslager am Rand von Damaskus, geboren, ist ein palästinensischer Schriftsteller, Dichter und Performer. Er studiert Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis, mit Schwerpunkt Theater und Literatur, sowie Kulturpolitik im internationalen Vergleich an der Universität Hildesheim und an der Université MV in Rabat. Abdahlrahman Alqalaqs Gedichte und seine Erzählungen haben dabei mitunter einen bitteren Ton, sie handeln von Krieg, Flucht und Leben im Exil, wollen aber auch die zärtlichen Momente nicht vergessen. Sie spüren der alten Heimat nach, der Distanz, die sich zwischen dem Ich und ihr aufgetürmt hat, setzen sich mit der neuen auseinander, gedenken Freunden. „Übergangsritus“ heißt sein Buch, aus dem er um 15.15 Uhr lesen wird.

Wer in den letzten Jahren die „Winterlese“ besucht hat, kennt selbstverständlich den Weidle Verlag. Inzwischen ist der renommierte Kleinverlag von Barbara und Stefan Weidle unter das Dach des Wallstein Verlags geschlüpft (der dieses Jahr ebenfalls dabei ist). Aber von Ruhestand kann bei den beiden nicht die Rede sein. Stefan Weidle hat eben eine brillante Übersetzung von Mary Shelleys „Mathilda“ vorgelegt. Mary Shelley kennt man vor allem durch ihren Klassiker „Frankenstein“, einen wegweisenden Roman der Schwarzen Romantik. Auch in dem nachfolgenden Werk „Mathilda“, das erst über hundert Jahre später posthum veröffentlicht wurde, verarbeitete sie Themen wie Obsession, Empfindsamkeit und die Erhabenheit der Natur. Stefan Weidle wird um 16.15 Uhr im Gespräch mit Beatrice Faßbender nicht nur von Mary Shelley erzählen, sondern auch von der Kunst des Übersetzens berichten. Passagen aus dem Band liest Ulrike Götz.

Wer nun denkt, dass eigentlich keine einzige Veranstaltung am 23. November verpasst werden sollte, hat vollkommen recht. Zwischendurch kann man sich ja an der großen Kuchentheke (alles selbstgemacht) stärken. Kaffee und Prosecco werden selbstverständlich ebenfalls angeboten. Die „Winterlese“ ist eine gemeinsame Veranstaltung von „Literatur allerorten“ und der Stadt Bad Mergentheim. Hauptunterstützer ist das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.

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