Weltdiabetestag

Auf die Risiko-Summe kommt es an

Professor Dr. Bernhard Kulzer über die Auswirkungen von Corona auf Menschen mit „Zuckerkrankheit“

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In Deutschland leben mehr als acht Millionen Menschen mit Diabetes – Tendenz steigend. Zum Weltdiabetestag wollen Kurverwaltung und Diabetes-Klinik Bad Mergentheim auf das Thema aufmerksam machen.

Bad Mergentheim. Mehr Bewusstsein für die Volkskrankheit „Zucker“ schaffen: Bad Mergentheim gilt mit einer Diabetes-Klinik, einer Diabetes-Akademie und einem Diabetes-Forschungsinstitut als eines der führenden deutschen Kompetenz- und Behandlungszentren für Diabetes mellitus.

„Wir sind stolz auf diese hohe Diabeteskompetenz und unsere Vorreiterrolle“, sagt Kurdirektor Sven Dell. „Die Diabetes-Klinik und mehrere Rehakliniken in Bad Mergentheim eröffnen mit ihren Behandlungs- und Schulungsprogrammen neue Möglichkeiten, die Prävention und die Behandlung von Diabetes voranzutreiben“, so Dell in einer Pressemitteilung zum heutigen Weltdiabetestag.

Ihre Programme stimmt die Diabetes-Klinik Bad Mergentheim auf die persönliche Situation des einzelnen gezielt ab, so dass Typ-1-und Typ-2-Diabetiker den Alltag wieder aktiv und gesundheitsorientiert gestalten können. Infolge der Corona-Pandemie stieg die Zahl der Patienten, die mit einem Post-Covid-Syndrom bei der Diabetes-Klinik angemeldet wurden.

Covid kann Organe schädigen

Welche Auswirkungen hat Corona auf Menschen mit Diabetes? Professor Dr. Bernhard Kulzer, leitender Psychologe des Diabetes-Zentrums erklärt: „Menschen mit Diabetes haben zwar kein erhöhtes Risiko, an Covid-19 zu erkranken, aber wenn sie sich mit dem Corona-Virus infiziert haben, ist die Prognose besonders bei schweren Verläufen der Erkrankung deutlich ungünstiger als bei Menschen ohne Diabetes. Wie wir wissen, kann Covid eine ganze Reihe von Organen in Mitleidenschaft ziehen, leider auch die Bauchspeicheldrüse.“ Daher gebe es Menschen, bei denen als Folge einer Covid-Erkrankung ein Typ-1-Diabetes aufgetreten ist, weil „sich die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse selbst zerstört haben“. Eine Folge der Maßnahmen zur Eindämmung von Covid sei es, dass Menschen mit Diabetes seltener zum Arzt gegangen seien, was unter anderen die Zahl von akuten Stoffwechselentgleisungen erhöht hab. „Viele Menschen haben sich während des Lockdowns deutlich weniger bewegt und an Gewicht zugenommen, was in Bezug auf die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes ungünstig ist. Schon jetzt erkranken in Deutschland mehr als 600 000 Menschen jährlich neu an Typ-2-Diabetes – „Tendenz leider steigend“, so der Psychologe.

Gute „Einstellung“ wichtig

Die Prognose einer Covid-19-Erkrankung hängt von mehreren Risikofaktoren ab. Dazu zählt neben hohem Alter, Übergewicht, Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, des Atmungssytems, Leber- und Nierenerkrankungen, Krebs auch Diabetes.

Da viele Menschen mit Typ-2-Diabetes bereits älter und übergewichtig sind, sowie häufig auch kardiovaskuläre Erkrankungen aufweisen, ergibt sich aus der Summation der Risikofaktoren die schlechtere Prognose. Aber auch erhöhtes Blutzuckerwerte verschlechtern den Verlauf von schweren Infektionen mit Covid, die eine Aufnahme in ein Krankenhaus notwendig machen, da diese das Immunsystem schwächen.

Umgekehrt bedeute dies auch, dass Menschen mit Diabetes bei einer guten Blutzuckereinstellung und keinen weiteren Risikofaktoren, „kein erhöhtes Risiko bei einer Infektion mit Covid“ haben, so Kulzer.

Als Psychologe interessieren Kulzer besonders die psychischen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Und diese sind schon bei Kindern und Jugendlichen, aber auch Erwachsenen ohne Diabetes beträchtlich. „Menschen mit Diabetes führen ihre Therapie jeden Tag eigenständig durch und müssen dafür eine ganze Menge Motivation, Selbstdisziplin und auch Zeit aufbringen. Nach einer aktuellen Studie von uns im Durchschnitt bei Typ-1-Diabetes 85 Minuten, bei Typ-2-Diabetes 53 Minuten. Dies funktioniert schlechter, wenn die Lebensqualität eingeschränkt ist und eine psychische Erkrankung vorliegt.“, hält Kulzer fest. Letztere seien während der Covid-19-Pandemie bei Menschen mit Diabetes angestiegen, „sodass wir vermehrt in der Diabetes-Klinik Menschen mit Diabetes und einer gleichzeitigen Depression oder Angsterkrankungen behandeln.“ Aber auch Long-Covid, häufig verbunden mit Energielosigkeit und Erschöpfungszuständen erschweren die tägliche Umsetzung der Diabetestherapie: „Das war für uns der Grund, ein spezielles Programm für Menschen mit Diabetes und Post-Covid zu entwickeln und in der Diabetes-Klinik anzubieten.“

Es ist ein interdisziplinäres Angebot für Patienten, an der Ärzte, Pflegepersonal, Psychologen, Diabetesberater und Sportlehrer beteiligt sind. Nach der Diagnostik wird ein Behandlungsplan entwickelt, der sich an dem Schweregrad und der Symptomatik der Patienten orientiert. Er kann eine gezielte weitere Diagnostik, Schmerzbehandlung, Riechtraining, Bewegungstherapie oder psychologische Gespräche beinhalten.

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