Seit 2007

Auf dem Pferderücken Stärken wecken und Ängste abbauen

Der Verein „Sprungbrett“ fördert auf dem Gelände von Gut Üttingshof Menschen mit Handicap

Von 
Renate Henneberger
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Kleiner Junge ganz groß – Julian auf dem Kaltblut-Wallach Mondeo. © Renate Henneberger

Üttingshof. „Er ist ein richtiger Lausbub!“ Maja lächelt verschmitzt, wenn sie von Toby spricht. „Sechs Jahre ist es her“, erzählt das Mädchen, „da war ich das erste Mal auf dem Üttingshof.“ Es war der Beginn einer großen Freundschaft zwischen der Zehnjährigen und dem braungescheckten Tinker-Pony-Wallach. Wer die leidenschaftliche Reiterin heute erlebt, kann sich kaum vorstellen, dass sie damals nur mit Unterstützung aufrecht saß. „Maja kam mit einem ‚offenen Rücken’ auf die Welt und hat bereits etliche Operationen hinter sich. Inzwischen hat sich die Stabilität in der Hüfte deutlich verbessert. Mit Hilfe kann sie heute stehen und gehen“, berichtet ihre Mutter. Sie ist überzeugt: „Diese Fortschritte verdankt Maja mehr als jeder anderen Therapie dem Reiten.“ Während Maja vorläufig noch das freie Reiten an der Longe (einem langen Seil) trainiert, hat sie ein Ziel vor Augen: „Ich möchte bald allein reiten“, erklärt sie mit leuchtenden Augen.“

Erreichtes kann nur durch ständiges Fördern und Trainieren erhalten werden. Deshalb bekam Maja zunächst eine pädagogische Einzelförderung am Pferd und wurde dann in die Voltigier-Gruppe übernommen. 2022 legte die talentierte Reiterin erfolgreich die Prüfung für das „Voltigier-Abzeichen 10“ ab. Maja ist ein Beispiel dafür, was mit gezielter Förderung alles möglich ist. Inzwischen hat sie Reiten als Sport für sich entdeckt. Mit entsprechenden Hilfsmitteln steht einer Teilnahme am Para-Reitsport nichts im Wege.

Es ist etwas Paradiesisches um die Freundschaft zwischen Kind und Pferd, ein Zauber, wie er über der ganzen Anlage des Gutshofes liegt. Grüne Wiesen breiten sich bis zum Waldrand hin aus. Mächtige Bäume werfen ihre Schatten auf die frischgemähten Rasenflächen um das schöne alte Gutshaus. Stille – nur ab und zu durchbrochen von fröhlichen Kinderstimmen und dem Schnauben eines Pferdes. Ein Ort, an dem man gerne ist.

„Es ist wichtig, dass die Kinder hier zur Ruhe zu kommen“, findet Dr. Sabine Kaplirz zu Sulewicz“, die Vorsitzende des Vereins „Sprungbrett“.

Vor einigen Jahren haben sie und ihr Mann Uwe den Hof an Tochter Sophie übergeben, die das Gut im Sinn ihrer Eltern weiterführt. Die Reitanlage ist eine vom Deutschen Kuratorium für Therapeutisches Reiten anerkannte und zertifizierte Einrichtung.

Rund 25 Kinder und Erwachsene nehmen zurzeit eines oder mehrere der therapeutischen Angebote auf dem Gut wahr.

Fördern von Körper, Geist, Seele

Staub wirbelt unter den Hufen des prächtigen Kaltblüter-Wallachs Mondeo auf. Sein braunes Fell glänzt in der Sonne, die dunkle Mähne weht im Wind. Und da ist diese Stimme, der er bedienungslos folgt. Sarah Neumann ist von Beruf Pferdewirtin. Sie verfügt über eine Ausbildung als Trainerin im Pferdesport und eine Zusatzqualifikation als Reittherapeutin. Leise, aber bestimmt dirigiert sie das Pferd, das nach ihren Anweisungen an einer Longe im Kreis läuft. Oben auf dem großen Mondeo sitzt ein kleiner, schmächtiger Junge, sicher gehalten von einem Gurt, die Hände fest am Voltigier-Griff, unterm Po ein Voltigier-Pad. Julian reitet, wie auch die anderen Kinder, ohne Sattel. „Durch das Pad spüren sie die Muskelbewegungen des Pferdes, ihr Körper muss ausgleichen und ausbalancieren. Gleichgewichtssinn und Aufmerksamkeit werden gefördert“, erklärt die Therapeutin. „Julian ist ein zartes Kind, aber er hat sich sehr gut gemacht“, ergänzt Dr. Sabine Kaplirz zu Sulewicz. Aufmerksam verfolgt sie die Fortschritte ihrer Schützlinge. Mondeo fällt in leichten Trab. „Jetzt beug’ dich mal nach links und pflücke dem Mondeo ein paar Erdbeeren. Streckt dich, hole ihm einen Apfel vom Baum.“

Rechts, links, oben, unten – die Tiefenwahrung wird geübt, die Fähigkeit, die Umgebung dreidimensional wahrzunehmen. Höchste Konzentration ist in Julians Gesicht zu lesen. Lachend erklärt Sarah Neumann: „Voltigieren beschreibt ein ‚Dreiecksverhältnis’. Trainer, Reiter und Pferd stehen in ständigem Dialog. Achtsamkeit, Einfühlungsvermögen und Koordination werden geschult.“ Sie weiß um den positiven Einfluss, den Tiere allgemein auf Kinder haben. „Was die Förderung mit dem Pferd so einzigartig macht, ist die durch die spezielle Schrittfolge es Pferdes entstehende dreidimensionale Bewegung des Pferderückens. Körperliche und seelische Verspannungen können gelöst werden.“ Jedes der Kinder ist anders. Eines hat vor allem körperliche Einschränkungen, motorische Probleme, ein anderes mehr geistige Beeinträchtigungen, Ängste, wenig Selbstwertgefühl. „Reiten ist ein ganzheitliches Training. Es fördert den Menschen mit Körper, Geist und Seele“, erklärt Dr. Sabine Kaplirz zu Sulewicz. „Eigene Stärken werden geweckt, Ängste abgebaut. Reiten macht selbstbewusst, ist Hilfe zur Selbsthilfe, zu einem so weit wie möglich selbstbestimmten Leben.“

„Ich mag Kinder und Pferde“, erklärt Nicole Blagojevic – eine ideale Kombination. Die passionierte Reiterin betreut die Kinder während der Reitpausen. Bei ihr lernen die kleinen Reiter einiges über Pferdepflege und trainieren ganz nebenbei die Feinmotorik. Mondeo ist ein „cooler Typ“ und lässt sich die streichelnden, putzenden und striegelnden Kinderhände gern gefallen. Therapiepferd wird man nicht so einfach. Dazu muss man geboren und ausgebildet sein. „Entscheidend sind die Charaktereigenschaften“, erklärt Sarah Neumann. „Mondeo ist klug, freundlich, aufmerksam, eine in sich ruhende Pferdepersönlichkeit.“ Ein Blick in seine sanften dunklen Augen sagt alles: „Er hat gute Augen.“

Glück braucht keine Worte

Die jüngste Reiterin erscheint an der Hand von Mama. Ungeduldig drängt die kleine Frida zum Pferdestall, wo Pony Pünktchen auf sie wartet. Frida wurde mit dem Down-Syndrom geboren. Es ist dem lebhaften, unaufhörlich plappernden Mädchen kaum anzumerken. „Frida ist viereinhalb Jahre, bereits im Alter von gut zwei Jahren saß sie zum ersten Mal auf dem Pferd“, erzählt ihre Mutter. „Mit frühzeitiger Förderung lässt sich viel erreichen.“ Lustig wippt Fridas Pferdeschwanz mit dem Schweif des Ponys um die Wette. Angst scheint das selbstbewusste Mädchen nicht zu kennen. Laut jauchzt sie, wenn Pünktchen in flottem Trab mit ihr über den Reitplatz fegt. „Ich freue mich genauso wie Frida auf diese halbe Stunde“, versichert ihre Mutter. „Wie schön wäre es, die Zeit unbeschwert genießen zu können, ohne sich Gedanken machen zu müssen, wie wir das finanziert bekommen.“

Der Nachmittag geht zu Ende. Die Eltern holen ihre Kinder ab. „Na, wie war’s denn?“ Ein Blick in die strahlenden Gesichter genügt, da braucht es keine Worte. Vom ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker stammt der Satz: „Glück empfinden zu können, ist eine Fähigkeit, die Menschen mit und ohne Behinderung verbindet.“

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