Abschied

Eine Ära endet: Annemarie schließt Eubigheims Traditionsladen

Der 1906 gegründete Backwarenladen hat im Laufe der Zeit sein Sortiment erweitert und wurde zu einer Institution im Ort.

Von 
Elisabeth Englert
Lesedauer: 
Großer Bahnhof am letzten Öffnungstag: Simone Strenkert, Bernhard Offner und Benjamin Czernin bedauerten aufrichtig die Schließung, wünschten aber Annemarie Schmid (Zweite von rechts) alles Gute für die neue Lebensphase. © Elisabeth Englert

Eubigheim. Alles hat ein Ende. Wem nun die Wurst mit deren zweien in den Sinn kommt, dem sei gesagt, auch Baguettes, Laugenstangen und vielerlei Backwerk haben zwei, womit wir in medias res gelandet sind: im Backwarengeschäft von Annemarie Schmid. Dieses schloss zum Bedauern der großen Kundschaft aus nah und fern sowie zu ihrem eigenen zum Wochenende nach drei Generationen seine Pforten.

Das Geschäft in dritter Generation geführt

Von ihren Großeltern, die das Gebäude erwarben und sich im Jahr 1906 in Eubigheim sesshaft machten, über Vater Alfred mit Ehefrau Martha bis hin zu Annemarie Schmid stand das Geschäft für handwerkliche Backkunst und sorgte für das täglich Brot. Wohnhaus, Backstube und Laden befanden sich unter einem Dach, man lebte und arbeitete an Ort und Stelle. Damals, so erinnert sie sich an Erzählungen ihrer Eltern, habe es nur Brot und Brötchen gegeben. Es seien harte Zeiten gewesen, zwei Kriege, der Großvater 1945 verstorben, die beiden Söhne an der Front.

Überaus große Freude habe unter den Dorfbewohnern geherrscht, als für zehn Tage während des Heimaturlaubs der Duft von frisch Gebackenem aus der Backstube wehte. Als ihr Vater, sein Bruder war gefallen, aus dem Krieg heimkehrte, habe dieser die Bäckerei übernommen und einen wichtigen Beitrag zur Ernährungssicherheit geleistet. Resche Brezeln an den Samstagen waren etwas Besonderes. Allmählich kamen süße Leckereien hinzu, wie Nougatschnitten oder die mit Nussmasse gefüllten nach ihrer Form benannten Schmetterlinge aus Hefeteig. Auch eigens hergestellte breite Nudeln oder Suppennudeln füllten die Regale.

Früher buken die Dorfbewohner ihr Brot auch selbst

Bis in die 1960er Jahre sei es üblich gewesen, dass Dorfbewohner mitunter ihre Brote oder Kuchen selbst zubereiteten und vom Fachmann in seinem leistungsstarken Ofen gegen ein kleines Entgelt backen ließen. Mit dem Handkarren brachte man die Laibe vorbei und holte sie knusprig gebacken wieder ab. Nostalgie pur, heute unvorstellbar.

Das Angebot von damals und heute unterscheide sich grundlegend. Man habe eben sprichwörtlich kleinere Brötchen gebacken und sei mit dem zufrieden gewesen, was es gegeben habe.

Als 1974 ihr Vater starb, sei es für sie, die mit Backstube und Laden aufgewachsen war, trotz anderen Berufswunsches klar gewesen, in den elterlichen Betrieb einzusteigen, die Mutter zu unterstützen und sie absolvierte eine Lehre als Einzelhandelskauffrau. Fortan habe man sich bemüht, die Bevölkerung mit Backwaren gut zu versorgen und ließ sich über viele Jahre von verschiedenen Bäckereien aus der Region beliefern, bis 1984 ausschließlich die Bäckerei Seitz aus dem Nachbarort die Kundschaft verwöhnte.

Bekannt für die breite Palette an Weihnachtsgutseln

„Es hat gepasst und die kurzen Wege waren vorteilhaft“, beschreibt sie die gute Zusammenarbeit. Dennoch griffen Mutter und Tochter zu Rührschüssel und Knethaken. Die breite Palette ihrer „Weihnachtsgutseln“ fand eine große Fangemeinde und ging weg wie geschnitten Brot. Legendär bis zuletzt das Feingebäck wie Liebesknochen, Nougattaler, Schweizer Waffel oder, wie von manchen noch immer so genannt, die „Fünfer Ringle“, ein Mürbteigkringel mit Hagelzucker, der einst für fünf Pfennige den Alltag versüßte.

Bekanntlich lebt der Mensch nicht vom Brot allein und da mangels Mobilität die Menschen oftmals nicht aus dem Dorf gekommen seien, habe man das Sortiment auf Lebensmittel erweitert. Nach und nach sei mehr hinzugekommen, Deko- und Geschenkartikel, Karten und Schreibwaren, Handarbeitsbedarf oder die farbige Perücke für den Rosenmontagsball. „Ich war immer bestrebt die Wünsche der Kunden zu erfüllen“, beteuert sie und wer sie kennt, weiß, dass das keine leeren Worte sind. Ob Lieblingszigarettenmarke, Zeitschrift oder Schnupftabak, stets habe sie ihr Bestes gegeben.

Mit ihrem 65. Geburtstag habe sie ihr Geschäft an die Bäckerei Seitz verpachtet, stand dennoch weiterhin mit Freude und Leidenschaft hinter der Theke. Wenig verwunderlich daher, dass ein jeder, vom Kleinkind angefangen „die Annemarie“ kennt. Nach rund 60 Jahren avancierte sie zur Institution, niemand kaufte bei Frau Schmid ein. Überhaupt, so eine Kundin wehmütig, hätten ihre Kinder bei ihr das Einkaufen gelernt. Kein Regaldschungel im Supermarkt, eine Ladentheke, die Verkäuferin dahinter und zum Schluss ein Keks für den Heimweg. In Erinnerung bleiben bei Kleinen wie inzwischen Groß-gewordenen wird die „Süße Tüte“, gefüllt mit einem bunten Fruchtgummimix aus blauen Schlümpfen, roten Kirschen, langen Schnüren und dergleichen.

Am Herzen sei ihr auch ein gutes Verhältnis zu den Vereinen gelegen, weiß sie doch aus eigener aktiver Zugehörigkeit zu Sportverein, Kirchenchor oder Frauengruppe wie hilfreich eine harmonische Zusammenarbeit sei.

„Der Laden war mein Leben“

„Der Laden war mein Leben“, blickt sie zurück und man spürt, wie berührt sie vom Ende dieser Ära ist. Selbst als sie ihre eigene Familie hatte, zwei Kinder und vier Enkeltöchter gehören dazu, und mit ihrem Mann in ihr Eigenheim gezogen sei, habe sich ein Großteil ihres Lebens weiterhin in ihrem Elternhaus abgespielt. „Ich habe die Kinder mitgenommen, sie hier gewickelt und gefüttert.“ Selbst Enkelin Marie fällt das Loslassen schwer: „Ich kenne Oma ohne ihren Laden gar nicht.“

Und so war es wenig überraschend, dass sich zum letzten Öffnungstag die Kunden die Klinke in die Hand gaben, nicht nur zum Einkaufen, vielmehr, um sich herzlich zu verabschieden, zu danken, darunter auch Ahorns Bürgermeister Benjamin Czernin sowie Ortsvorsteher Bernhard Offner nebst Stellvertreterin Simone Strenkert. „Dein Lächeln hinter der Ladentheke, deine anpackende Art und der nette Plausch werden fehlen“, bedauerte der Rathauschef, natürlich neben all den Backwaren. Es sei kein schöner Tag für sie, dennoch habe sie sich den Ruhestand mehr als verdient. Mit „Eine Ära geht zu Ende“, unterstrich Offner die Bedeutung ihres Geschäfts für die Ortschaft und lobte, es sei aller Ehren wert, was sie in den letzten Jahrzehnten geleistet habe.

„Ich bin sprachlos“, freute sich Annemarie Schmid sichtlich ergriffen. Doch allzu lang hielt diese Sprachlosigkeit nicht an, denn die nächsten Kunden warteten bereits. Auch für diese, über deren Treue sie sich sehr freute, ein schwer vorstellbarer Gedanke. Doch wie so vieles in ihrem Leben wird sie auch diesen neuen Lebensabschnitt gebacken kriegen.

Blick in die Geschichte: Bäckermeister Alfred Hornung vor seinem Backofen. © Elisabeth Englert

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten

VG WORT Zählmarke