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Adelsheim: Autorin Ira Peter berichtet über eigene Erfahrungen als Russlanddeutsche

Autorin Ira Peter las im Schloss in Adelsheim aus ihrem Buch „Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen“. Sie teilte ihre persönliche Geschichte.

Von 
Rainer Schulz
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Die Autorin Ira Peter schreibt in ihrem Buch auch über ihre eigene Geschichte. © Rainer Schulz

Adelsheim. Ira Peter las am vergangenen Mittwoch aus ihrem Buch „Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen“ im Schloss in Adelsheim vor. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Zuzug von Russlanddeutschen nach Deutschland viele Menschen vor neue Herausforderungen gestellt. Dabei treffen häufig unterschiedliche Erwartungen, Selbstverständnisse und Erfahrungen aufeinander, was sowohl innerhalb der Gruppe als auch in der gesamten Gesellschaft zu Konflikten und Missverständnissen führen kann. Rund 2,5 Millionen Russlanddeutsche sind seit den 1980er-Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen. Die freie Journalistin und Autorin verbindet in ihrem Buch persönliche Erfahrungen mit wissenschaftlicher Recherche. Die Lesung fand in Kooperation mit der Reinhold-Maier-Stiftung und der Stadt Adelsheim statt.

Ira Peter wollte mehr von ihrer Familiengeschichte erfahren

Seit 1989 zogen 2.500 russlanddeutsche Spätaussiedler nach Buchen, darunter auch Ira Peter, die am 3. Oktober 1992 dort ankam. Seit ihrer Kindheit habe sie sich gefragt, ob sie deutsch genug sei, sagte Peter. Sie sei häufig gefragt worden, woher sie komme, obwohl sie mit der deutschen Sprache aufgewachsen sei. „Ich wollte mehr über die Geschichte meiner Familie lernen, das hat mich motiviert, mein Buch zu schreiben.“

Schon der Begriff Russlanddeutsche sorge für Fragen, sagte Christoph Giesa. Er moderierte die Veranstaltung. Die Autorin berichtete, dass der Name erstmals während des Nationalsozialismus aufgekommen sei. Adolf Hitler sei es wichtig gewesen, deutsche Reichsbürger von Russlanddeutschen zu unterscheiden. Die Geschichte der Russlanddeutschen beginnt aber schon früher. Während der Herrschaft von Katharina der Großen zogen deutsche Siedler in das russische Zarenreich, wo sie über Generationen hinweg als Deutsche lebten, ihre Sprache und Religion pflegten.

Unter Stalin wurden deutschstämmige Familien deportiert

Während der Terrorherrschaft Stalins seien sie als potenzielle Nazi-Kollaborateure betrachtet und gezwungen worden, ihre Dörfer zu verlassen, informierte Peter. Viele seien bereits während der Deportation gestorben, und den Überlebenden hätten Gulag und Arbeitslager gedroht. Auch die Familie von Ira Peter war betroffen: Sie wurde 1936 aus der heutigen Ukraine nach Nordkasachstan verschleppt. Die Familie kam in der Sondersiedlung 28 unter. Ohne Genehmigung hätten ihre Verwandten zunächst nicht das Dorf verlassen dürfen, sagte Peter. „Zu Hause wurde über das erlebte Trauma der Familie nicht geredet“, erinnerte sich die Autorin. „Es war ein großes Schweigen.“ Erst als sie ihre Tante Emma vor einigen Jahren in der Nähe von Osnabrück besuchte, sollte sie davon erfahren.

Zur Person

  • Ira Peter ist 1983 in der Sowjetrepublik Kasachstan geboren.
  • Seit 1992 lebt sie in Deutschland.
  • Sie studierte Literaturwissenschaften und Psychologie in Heidelberg und Nizza.
  • Danach arbeitete sie als PR- und Marketingberaterin .
  • Peter arbeitet als freie Journalistin und schreibt unter anderem für Zeit Online, die Frankfurter Rundschau sowie den Hörfunk des SWR.
  • Außerdem ist sie Podcasterin des Aussiedler-Podcasts „Steppenkinder“. ra

Die Bundesrepublik erkennt später das Leid der Russlanddeutschen als Folge des Zweiten Weltkriegs an und ermöglicht ihnen als Wiedergutmachung die Übersiedlung nach Deutschland. Für die meisten wird dies jedoch erst nach dem Zerfall der Sowjetunion realisierbar. Einige sprechen ausschließlich Deutsch, andere nur Russisch. Gemeinsam seien ihnen jedoch die geteilten Erfahrungen, sagte die Autorin. Peters Familie stellte 1991 einen Ausreiseantrag. Sie wurden 1992 von den deutschen Behörden vom Grenzdurchgangslager Friedland in Niedersachsen nach Tettenhausen in Bayern geschickt. Damals war Peter neun Jahre alt. „Wir konnten nichts mit Knödeln mit Pflaumenmus anfangen. Mein Vater hatte zudem Angst vor Bergen, da er nur die Steppe kannte“, erläuterte die Autorin. Sie seien erleichtert gewesen, dass ihre Verwandten sie nach Buchen geholt hätten und sie der „bayerischen Berghölle“ entkommen konnten. Ihr Vater hätte im Odenwald wieder frei atmen können.

Peters Mutter vermisste Kasachstan

Die ersten Monate in Deutschland seien schwer für ihre Mutter gewesen, sagte Peter. Der anfänglichen Euphorie folgte ein Stimmungstief. Alles sei anders gewesen. Peters Mutter hätte Zweifel bekommen, ob die Ausreise nach Deutschland die richtige sei. Sie hätte Kasachstan vermisst. „Es war, als ob Mamas physischer Körper bei uns war, ihre Seele aber noch dort drüben“, sagte die Autorin. Ihre Mutter flog 1993 in ihre alte Heimat. Sie hätte ein Land vorgefunden, das nichts mehr mit ihren Erinnerungen gemeinsam hatte. „Nach einer Woche ist sie mit ihrer Seele zu uns zurückgekommen“, sagte Peter.

Bürgermeister Wolfram Bernhardt (von Links), Ira Peter und Christoph Giesa diskutieren, wie sich Russlanddeutsche besser integrieren können. © Rainer Schulz

Ira Peter sprach in der Lesung auch das Wahlverhalten der Russlanddeutschen in Deutschland an. Sie sagte, dass in einigen Hochburgen zwar überproportional Parteien am rechten oder linken Rand gewählt würden, sich das Wahlverhalten im Durchschnitt jedoch nur wenig von dem der Mehrheitsgesellschaft unterscheide. Zur Stigmatisierung trage bei, dass schlecht integrierte Russlanddeutsche auffielen, während gut integrierte kaum noch als Russlanddeutsche wahrgenommen würden. Eine bessere Integration könne dadurch entstehen, wenn sich Russlanddeutsche mehr in Vereinen engagieren, sagte Bürgermeister Wolfram Bernhardt. „Einige schämen sich zum Beispiel für ihr schlechtes Deutsch oder haben durch viele Nebentätigkeiten keine Zeit für einen Verein“, erklärte Peter.

Die Autorin hoffte, dass ihr Buch dazu beitrage, die Perspektive auf Russlanddeutsche zu verändern, und dass die Menschen dazu ermutigt würden, echtes Interesse an ihnen zu zeigen.

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