Zeitzeichen

Unnötige Anzeigen in der Wetterapp

In seiner Glosse stellt Julius Paul Prior die wichtigen Fragen, die hinter der "Gefühlten Temperatur" in der Wettervorhersage stecken - und gibt Antworten darauf. Zufriedenstellen dürften diese allerdings die Wenigsten

Von 
Julius Paul Prior
Lesedauer: 

Ein kurzer Blick auf die Wettervorhersage, bevor es aus dem Haus geht, um die Frage nach der richtigen Jacke zu beantworten. Muss sie wasserdicht sein oder reicht das Fleece? Dick einpacken muss man sich bei diesen frühlingshaften Temperaturen wahrlich nicht. Mehr als 10 Grad warm soll es werden, das verrät die App auf dem Handy. Allerdings steht darunter noch eine weitere Temperaturangabe: die „gefühlte Temperatur“. „RealFeel“ nennt sich das Ganze – modisch in Englisch ausgedrückt. Na, ja, es klingt ja auch besser. Allerdings wirft diese Anzeige einige Fragen auf: Wer bestimmt denn, wie sich die Temperatur draußen anfühlt? Wer hat die Fähigkeit, zu sagen, dass sich 6 Grad Celsius derzeit eigentlich wie 0 Grad Celsius anfühlen?

Oder noch extremer: Beim schlimmen Schneesturm in den Staaten sollen sich minus 6 Grad Celsius wie minus 20 Grad Celsius angefühlt haben. Da fragt man sich: Welcher Mensch weiß denn, wie sich minus 20 Grad anfühlen, und kann dann punktgenau sagen: „Ja, also das sind eindeutig minus 20 Grad“, ohne dass der Person vorher die Finger bis zur Gefühllosigkeit eingefroren sind?! Zählen zu diesen Menschen nicht eben jene, denen nie kalt wird? Die ihren Körper so trainiert haben, dass sie Kälte ganz anders wahrnehmen als die ewige Frostbeule, die es schließlich auch noch gibt?

Michel aus dem „Klima-Michel-Modell“ sieht das anders. Er ist der Durchschnittsmensch, der die „RealFeel“-Temperatur bestimmt. Die von der Wissenschaft erfundene Person, anhand derer Daten das Empfinden der Menschen gemessen wird. Messwerte, die Einfluss auf Michel haben, sind Wind oder Luftfeuchtigkeit. Sie verfälschen die gute alte Skala des Gefühlsthermometers. Blöd nur, dass der weibliche Körper wieder ein ganz anderes Temperaturempfinden hat. Michels Schwester Ida aus Lönneberga ist in der Wissenschaft aber nicht zu finden.

Dafür kennt sich seine Verwandte aus Stockholm, Greta, sehr gut mit dem Klima aus. Sie weiß: Es wird jedes Jahr wärmer. Die Anzeige der gefühlten Temperatur bleibt am Ende aber trotzdem unnütz. Schließlich sind die Wenigsten nicht nur männlich, sondern auch Mitte 30, haben ein Gewicht von 75 Kilogramm und 175 Zentimeter Körpergröße – und wenn, dann nicht ewig. Der nächste Geburtstag kommt bestimmt. Besser also: einfach kurz den Kopf aus dem Fenster strecken. 

Ehemalige Mitarbeit

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen