Zeitreise

Georg Friedrich Schlatter: Der Pfarrer, der für die Demokratie ins Gefängnis ging

In Weinheim geboren, wird Georg Friedrich Schlatter nach dem Studium in Heidelberg zum Pfarrer in Heddesheim. Sein Einsatz für die badische Revolution bringt ihn ins Zuchthaus.

Von 
Hans-Jürgen Emmerich
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Das Geburtshaus von Georg Friedrich Schlatter in der Gerbergasse in Weinheim. © Hans-Jürgen Emmerich

Das Wichtigste in Kürze

  • Georg Friedrich Schlatter war ein liberaler Pfarrer aus Weinheim.
  • Er kämpfte für Demokratie und wurde nach der 1848er Revolution verhaftet.
  • Schlatter hatte 19 Kinder und verbrachte viele Jahre im Zuchthaus.

Heddesheim. Bis heute ist sein Name präsent. In Heddesheim erinnert eine Straße und ein Saal im evangelischen Gemeindezentrum an ihn, in Weinheim weist ein Schild im Gerberbachviertel auf sein Geburtshaus hin, in Mühlbach weist eine bronzene Tafel auf ihn hin: Georg Friedrich Schlatter. Sein Todestag jährt sich am 3. November zum 150. Mal. Anlass für einen Rückblick.

Kein anderer hat sich so intensiv mit Schlatters Leben und Wirken befasst wie Pfarrer Herbert Anzinger, einer seiner Nachfolger im Pfarramt in Heddesheim. Das alte evangelische Gemeindehaus trug Schlatters Namen, im neuen ist es ein Saal. Und auch eine Straße ist nach ihm benannt. Aber wer war jener Pfarrer Georg Friedrich Schlatter? Diese Frage hat Anzinger neugierig gemacht. Als er 2005 als Pfarrer in die Gemeinde kam, begann er sich für Schlatter näher zu interessieren.

Pfarrer Dr. Herbert Anzinger mit seinem Buch über Georg Friedrich Schlatter, Pfarrer und Freiheitskämpfer. © Hans-Jürgen Emmerich

Fast 20 Jahre und unzählbar viele Stunden später legte er Ende 2024 das Resultat vor. Auf 742 Seiten beschreibt Anzinger einen der ersten badischen Pfarrer, die sich im Vormärz und in der 48er Revolution für die Demokratie eingesetzt haben. Und einen Pfarrer, der sich auch in Heddesheim nicht nur Freunde gemacht hat. Exemplarisch nennt er die Beobachtung des Geistlichen, dass zu seiner Zeit auffallend viele Höfe in Flammen aufgingen. Er deckte den Versicherungsbetrug auf und ging dagegen vor.

Anzingers Recherchen beginnen im Rathausarchiv

An die Anfänge der Recherche kann sich auch der heutige Bürgermeister Achim Weitz noch gut erinnern, der damals als Leiter des Ordnungsamtes fürs Archiv zuständig war und dem Pfarrer buchstäblich die Türen in die Vergangenheit öffnete. „Der Schlatter ist keiner der herausragenden Akteure der 48er Revolution, sondern eher eine Randfigur, die sonst nirgends erwähnt wird“, sagt Autor Anzinger. Als 2012 das alte Pfarrhaus zum Abriss anstand, fragte ihn der damalige Bürgermeister Michael Kessler, ob Schlatter dort gewohnt habe. Hat er: „Wir sind in den Keller des Pfarrhauses gestiegen, ich habe Akten gewälzt, zuerst im Pfarramt, später in anderen Archiven.“

Wertvolle Handschriften von den Nachkommen Schlatters entdeckt

Zum Jubiläum der Kommune verfasste Anzinger einen Beitrag zur Kirchengeschichte. So richtig losgelegt mit der Schlatter-Forschung hat er erst 2015, mit dem Eintritt in den Ruhestand und nach einem Unfall und der erfolgreichen Reha. „Ich konnte wieder fahren, zum Beispiel nach Karlsruhe ins Generallandesarchiv“, erinnert sich der Autor dankbar.

Er studierte Prozessakten, die leider nur bruchstückhaft vorhanden waren: „Vieles ist verloren gegangen.“ Vor allem aber nahm Anzinger Kontakt zu den Nachkommen von Schlatter auf. Einer von ihnen, Harald Schlatter, fand bei der Entrümpelung eines Schrankes in einer Schublade eine Kladde, in alter Kanzleischrift verfasst. Zwei Fragmente zu einer Autobiografie, die Schlatter zu schreiben begonnen hatte.

Diese Tafel erinnert in Mühlbach bei Eppingen an Georg Friedrich Schlatter. © Peter Schmelzle

Die Wiege von Schlatter stand an der Bergstraße. 1799 wurde er in Weinheim als Sohn eines Blaufärbers geboren. Ein Schild an dem schmucken Fachwerkhaus mit zwei verzierten Erkern in der Gerbergasse 14 erinnert an ihn. In diesem Haus wurde er geboren, hier wuchs er auf, studierte später dank seines Mäzens Albert Ludwig Grimm Theologie in Heidelberg, legte nach nur vier Semestern die Prüfung ab.

Schon mit 20 Jahren galt er in den Gemeinden der Umgebung als beliebter Aushilfsprediger, wie Gerhard Schwinge in einer Biografie über ihn schreibt. Offenbar hatte Schlatter also die Gabe, mit Worten zu begeistern. Dennoch dauerte es viele Jahre, bis er nach dem Vikariat in Dallau bei Mosbach 1827 in Linkenheim seine erste Stelle als Pfarrer antrat. 1832 kam er dann nach Heddesheim.

Leben und Wirken von Georg Friedrich Schlatter



  • Georg Friedrich Schlatter wurde am 16. Dezember 1799 in Weinheim (Bergstraße) geboren und starb dort am 3. November 1875.
  • Er war evangelischer Pfarrer , stark liberal-politisch engagiert. Bereits im Vormärz und während der Revolution von 1848/49 trat er öffentlich für Demokratie und Reformen ein.
  • Schlatter war Alterspräsident der badischen Verfassunggebenden Versammlung 1849 .
  • Nach der Niederschlagung der Revolution wurde er verhaftet, wegen Hochverrats verurteilt , verlor seine Pfarrstelle und musste ab 1850 mehrere Jahre Zuchthausstrafe verbüßen — u.a. Einzelhaft. Später konnte er durch allgemeine Amnestie (1855 bzw. 1856) freikommen.
  • Er war zweimal verheiratet , hatte 19 Kinder , musste nach seiner Rückkehr aus der Haftzeit und dem Tod seiner Frau alleine kleinere Kinder versorgen. hje

Als Vikar hatte er eine der Töchter des Ortspfarrers geehelicht, die jedoch nach vier Jahren im Kindbett starb. Darauf heiratete er als Pfarrer von Linkenheim ein 20-jähriges Mädchen, welche ihm während 27 Ehejahren die meisten seiner zahlreichen Kinder gebar, bis auch sie mehr als 20 Jahre vor ihm verstarb.

In den Jahren des Vormärz wirkte Schlatter weiterhin in Politik und Kirche als liberaler Oppositioneller, wie Schwinge schreibt. Nachdem er die Wiederwahl von Karl Theodor Welcker und Friedrich Hecker in die II. Kammer der badischen Landstände unterstützt hatte, wurde ihm ein kirchlicher Disziplinarprozess gemacht. „Der Mann muss weg“, zitiert Anzinger eine Randnotiz aus einem Protokoll. Am Ende wurde er nach Mühlbach strafversetzt. Doch das hielt ihn nicht davon ab, sich 1849 zum Abgeordneten wählen zu lassen. Er war Alterspräsident der Verfassunggebenden Versammlung, die Revolution indes wurde wenig später von den Preußen niedergeschlagen.

Titelblatt einer Schlatterveröffentlichung. © Staatsarchiv

Ihm brachte das zehn Jahre Zuchthaus, die er in Einzelhaft absaß, ehe er nach sechs Jahren in einer allgemeinen Amnestie begnadigt wurde. Ein eigenes Gnadengesuch hatte er abgelehnt. Die letzten Lebensjahre lebte er in Mannheim, vor allem von staatlicher Unterstützung und als Publizist. Als er 1856 mit der Hoffnung auf Verkaufserlöse über seine überstandenen Gefängnisjahre unter dem Titel „Kerkerblüthen“ humoristische Gedichte hatte drucken lassen, wurden alle Exemplare sofort konfisziert und Schlatter erneut zu sechs Wochen Festungshaft in Rastatt verurteilt, wie Schwinge berichtet. Seine letzten Jahre verbrachte er in Mannheim und Weinheim, wo er am 3. November 1875 verstarb.

Stadt Weinheim hütet ein paar Schätze im Archiv

Eine Würdigung Schlatters aus Anlass des Todestages plant seine Geburtsstadt zwar nicht. Allerdings wird im Rahmen von Stadtführungen auf seine Persönlichkeit, die Badische Revolution und die Demokratiegeschichte hingewiesen. Im Stadtarchiv befindet sich der Band „Zwanzig Predigten als Zeugnisse christlicher Rechtgläubigkeit gegen pietistische Verketzerungen“ von 1832 und „Zuchthausstudien, die Frucht einer sechsjährigen Einzelhaft“, aus den Jahren 1857 bis 1860.

Was Anzinger am meisten an Schlatter beeindruckt? „Seine Geradlinigkeit und seine aufrechte Haltung“, sagt der Autor: „Was er für richtig hielt, dafür trat er ein, auch wenn er sich dadurch Feindschaft und Hass zuzog.“ Bemerkenswert bei Schlatters Kampf für die Demokratie findet Anzinger, dass er keineswegs auf einen gewaltsamen Umsturz gesetzt, sondern eigentlich auf eine friedliche, gewaltfreie Revolution gehofft hatte. Nicht zuletzt war Schlatter überaus offen für die damalige Reformpädagogik, bei deren Verfechter Albert Ludwig Grimm er selbst einst lernte.

Weinheim. Hinweisschild am Geburtshaus von Georg Friedrich Schlatter. © Hans-Jürgen Emmerich

„Und – das hat mich persönlich stark beeindruckt – er war an allem interessiert, was sich in den Naturwissenschaften, z.B. in der Astronomie und der Paläontologie an neuen Entdeckungen und Theorien ergab“, erklärt Anzinger. Schlatter hat sich intensiv mit den damals neu gefundenen Fossilien von Dinosauriern beschäftigt: „Ermöglicht wurde ihm dies freilich auch durch seine moderne, an Vorstellungen des Idealismus orientierte Philosophie und Theologie.“

Im Wohngebiet Gänsgräben in Heddesheim gibt es eine Schlatterstraße zur Erinnerung an Georg Friedrich Schlatter. © Hans-Jürgen Emmerich

Das Leben Schlatters ist dank Anzinger inzwischen intensiv erforscht. Aber wo wurde er beigesetzt? Und gibt es sein Grab noch? Bei der Stadt Weinheim hat man recherchiert. Da der Pfarrer der Altstadtgemeinde Weinheims, Friedrich Hermann Guth, die Beerdigung durchgeführt habe, sei davon auszugehen, dass diese auf dem 1871 wieder für Bestattungen zugelassenen Friedhof bei der Peterskirche stattfand. Über einen Lageplan der Bestattungen verfügt das Stadtarchiv Weinheim jedoch nicht. Auch ein Grabstein oder ein Grab seien nicht erhalten, heißt es. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen Mann, der unermüdlich für die Demokratie gekämpft hat.

Redaktion Aus Leidenschaft Lokalredakteur seit 1990, beim Mannheimer Morgen seit 2000.

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