Heute zeigt Arnsburg dem Besucher zwei extrem unterschiedliche Gesichter. Da ist zum einen die Klosteranlage, deren Ursprünge in das 12. Jahrhundert zurückreichen. Zum anderen ein 1959/1960 angelegter Friedhof für Kriegstote mit schockierenden Botschaften. 1174 erfolgt die Gründung des noch heute teilweise erhaltenen Klosters. Die Herren von Arnsburg blicken damals bereits auf eine lange Geschichte zurück. Im 11. Jahrhundert dienen sie nämlich den salischen Kaisern als Reichsministeriale und erhalten im Gegenzug reiche Güter, was es ihnen ermöglicht, in den Hochadel einzuheiraten. Unter den staufischen Kaisern geht die Erfolgsgeschichte weiter. Die Erbtochter Gertrud ehelicht den mächtigen Reichsministerialen Eberhard von Hagen, der seinen Sitz in die etwa ab dem Jahr 1000 errichtete Arnsburg verlegt. Die Familie, die sich jetzt von Hagen-Arnsburg nennt, steigt zur mächtigsten im Rhein-Main-Gebiet auf und gründet um 1150 ein Benediktinerkloster auf dem Areal eines römischen Kastells. Doch das fromme Projekt will nicht gedeihen; lediglich die Ostteile der Kirche entstehen.
Nur wenige Kilometer entfernt errichten die Hagen-Arnsburg ihre großartige Burg Münzenberg. Sie verlassen die Arnsburg, deren Reste erst in den 1980er Jahren wiederentdeckt werden. 1174 nimmt Kuno I., der bedeutendste Vertreter der Familie, einen neuen Anlauf zur Klostergründung. Diesmal setzt man auf die Zisterzienser, den angesagten Orden der Zeit. Doch auch dieses Projekt kommt nur schleppend voran: Erst um 1197 ziehen Mönche vom Kloster Eberbach im Rheingau nach Arnsburg. Sie wählen einen abgelegenen Standort im Tal des Flüsschens Wetter, etwa einen Kilometer vom Ort des gescheiterten Klosterprojekts entfernt. Rasch blüht die Neugründung auf, was nicht zuletzt an den hervorragenden landwirtschaftlichen Kenntnissen der Zisterzienser liegt. Während sich die Mönche mehr dem Gebet und frommen Studien widmen, verrichten die Laienbrüder, die Konversen, körperliche Arbeiten. Um 1250 steht die Anlage, die spätromanische mit frühgotischen Stilformen kombiniert.
Schon früh gibt es Ärger mit der Stifterfamilie, ebenso mit deren Nachkommen. Die Münzenberger, wie sich die Hagen-Arnsburger später nennen, dann die Falkensteiner und schließlich die Grafen von Solms, denen die Klosteranlage noch heute gehört, beanspruchen immer wieder weitgehende Rechte über die Abtei. Verschärft wird der Streit, als die Solmser 1562 zum Protestantismus konvertieren. Es kommt zum Jahrzehnte währenden Streit, in den auch das Erzbistum Mainz eingreift. Erst mit der Auflösung der Abtei im Jahr 1803 enden die juristischen Auseinandersetzungen.
Als das Kloster 1404 aus seiner Sicht ungerechtfertigte Zahlungen an den Erzbischof von Mainz verweigert, droht dieser mit Zerstörung. Daraufhin lässt der Erzbischof von Trier 400 Soldaten in die Abtei verlegen. Die aus der Auseinandersetzung resultierenden Schäden sind nichts im Vergleich zum Horror des Dreißigjährigen Krieges. 1631 fliehen die Mönche vor den heranrückenden Schweden und kehren erst 1634 zurück. Sie finden ein Trümmerfeld vor, denn die Schweden und die mit ihnen verbündeten Solmser Grafen, Nachfahren der Stifter, hausen barbarisch, schänden die Gräber, zerstören Altäre sowie Gebäude und transportieren alles ab, was ihnen brauchbar erscheint. Kein Wunder, dass unter diesen Umständen die klösterliche Disziplin verfällt und nur mühsam wieder hergestellt werden kann.
Die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges bilden den Hintergrund einer Sage. In der Ruine soll es demnach eine Geheimtür zum ehemaligen Speicher über der Kirche geben. Ein Mönch überlebt darin die Schrecken der schwedischen Besatzung. Dieses enorme Risiko nimmt er auf sich, um eine alte Prophezeiung zu erfüllen: Die Abtei wird so lange überleben, wie ein Mönch sich darin aufhält. Die Wirklichkeit hinter der Sage: Überliefert ist, dass sich Abt Adam Will mit einem Konversen mehrere Monate lang im Kloster verbarg.
Die Abtei ersteht neu in barocken Formen, doch erst 1672 kann wieder Gottesdienst in der Kirche gehalten werden. Bis 1803 währt die letzte Blüte. Dann wird die Abtei aufgelöst. Die vier Linien der Grafen von Solms erhalten das Kloster und dessen Besitzungen als Ersatz für verlorene linksrheinische Liegenschaften. Die Kirche fällt bald darauf teilweise der Spitzhacke zum Opfer; 1818 stürzen Dächer und Gewölbe ein. Auch der Kreuzgang sowie einige Gebäude verschwinden. Die Ausstattung des Klosters wird verstreut. Die Grafen von Solms-Laubach nutzen vor allem die barocken Bauten.
Nach verschiedenen Nutzungen beginnt 1959/60 ein neues Kapitel der Klostergeschichte: Im Bereich des früheren Kreuzgangs wird ein Kriegsopferfriedhof angelegt. Ebenfalls 1960 gründet sich der Freundeskreis des Klosters Arnsburg, der immens viel für Pflege und Erhaltung der mittelalterlichen Teile tut. Die Ehrenamtlichen lassen das Dormitorium, den Schlafsaal der Mönche, zum Veranstaltungsraum umgestalten. Sie befreien die Ruinen vom wuchernden Bewuchs, sichern Mauerwerk und vieles mehr. Konzerte, Ausstellungen, Gottesdienste, Lesungen, Vorträge und Führungen bringen Leben in die Anlage. Dann der Schock: 2022 kündigt die Familie Solms-Laubach den Vertrag mit dem Freundeskreis, da sie die Klosteranlage selbst übernehmen will. Mit dem Stopp der Erhaltungsarbeiten entfällt der Hauptzweck des etwa 300 Köpfe zählenden Vereins, doch mit der Erforschung der Klostergeschichte hat er eine weitere anspruchsvolle Aufgabe. Und mittlerweile habe sich das Verhältnis zwischen Graf und Verein wieder enger gestaltet, erläutert Vorstandsmitglied Manfred Kuras auf Anfrage.
Der Besucher betritt die Klosteranlage durch den zwischen 1774 und 1777 errichteten Pfortenbau, über dessen Portal eine Figur des heiligen Bernhard von Clairvaux steht. Weiter geht es zum Bursenbau, der einst Speise- und Schlafsaal der Laienbrüder beherbergte und Zugang zur Klosteranlage gewährt. Dahinter lag der Kreuzgang, der wie fast alle einst angrenzenden Gebäude verschwunden ist. Der Blick fällt auf den vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge angelegten Kriegsopferfriedhof. Zuvor waren die 447 Gräber über die Region verstreut. Deutsche Soldaten und Zivilisten liegen hier, Kriegsgefangene und Arbeiter aus der Sowjetunion und Polen sowie 81 Frauen und sechs Männer, die von Gestapo und SS am 26. März 1945 erschossen wurden. Auch 13 russische Kriegsgefangene des 1. Weltkriegs fanden hier ihre letzte Ruhe. Einige Schicksale. Die Luxemburgerin Emilie Schmitz ist die einzige Ermordete des 26. März 1945, deren Namen man einem Leichnam zuordnen kann. Sie kam ins Gefängnis, weil sie Luxemburger versteckt hatte, die zur Wehrmacht eingezogen werden sollten. Jewdokija Solnzewa und ihr Sohn Iwan, russische Zwangsarbeiter, wurden Anfang April 1945 von amerikanischen Soldaten getötet. Otto Wittke gehörte zur SS-Gebirgsdivision Nord. Er fiel im April 1945 bei dem Versuch, die amerikanischen Linien nach Osten zu durchbrechen. Auch zwei unbekannte deutsche Feldstrafengefangene zählen zu den Opfern. In solche Einheiten kamen Soldaten, die zu Gefängnisstrafen verurteilt waren. Beide fielen am 28. März 1945 in einem Gefecht mit Amerikanern.
Ein extremer Gegensatz: Hinter dem Feld des Todes liegt ein Raum von erlesener Schönheit. Im frühgotischen Kapitelsaal versammelten sich über Jahrhunderte Tag für Tag die Mönche, um der Lesung eines Kapitels der Ordensregel zu lauschen. Hier steht auch das fein gearbeitete Grabmal des 1365 verstorbenen Ritters Johannes von Falkenstein, drei Meter hoch und 1,30 Meter breit. Es ist vor den schädlichen Einflüssen der Witterung geschützt. Viele teils aus dem Mittelalter stammende Grabsteine hat man dagegen an den Außenmauern des ehemaligen Kreuzgangs aufgestellt, wo sie nach und nach der Zerstörung anheimfallen. Falls der Freundeskreis doch die Gelegenheit bekommen sollte, sein segensreiches Wirken fortzusetzen: Hier wartet eine lohnende Aufgabe. Über dem Kapitelsaal liegt das Dormitorium, der Schlafsaal der Mönche. Leider war es am Tag des Besuchs verschlossen.
Obwohl die Dächer und fast alle Gewölbe fehlen, beeindruckt die Ruine der 85 Meter langen dreischiffigen Basilika mit ihren strengen frühgotischen Formen. Vor der Westseite steht die einstige Vorhalle, das Paradies. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie zeitweise als Schafstall genutzt. Der Mist soll darin einen Meter hoch gelegen haben. Heute dient das Gebäude als evangelische Kirche. Im unweit gelegenen Mönchssaal findet der Besucher eine Ausstellung zur Geschichte des Klosters. Die prächtigen Barockbauten sind bewohnt und daher nicht zu besichtigen.
Kloster Arnsburg zählt zu den Orten, die an viele Epochen erinnern: vom Glanz des Hochmittelalters über den Horror des Dreißigjährigen Kriegs bis zu den Schrecken der jüngeren Vergangenheit. Wer Interesse mitbringt, erhält eine eindrucksvolle Geschichtslektion.
Informationen für Besucher
Anfahrt von Mannheim : auf der A67 in Richtung Frankfurt, am Darmstädter Kreuz auf die A5 Richtung Hannover/Dortmund/Frankfurt, Abfahrt 12 (Butzbach/Rockenberg) nehmen, weiter nach rechts Richtung Rockenberg, durch den Ort in Richtung Münzenberg. An Münzenberg vorbei in Richtung Lich. Bei Muschenheim auf die B488. Nach kurzer Strecke weist ein Schild rechts den Weg zum Kloster Arnsburg, wo mehrere Parkplätze zur Verfügung stehen.
Fahrstrecke: etwa 127 Kilometer
Fahrzeit: ungefähr 80 Minuten
Nahverkehr: Infos im Internet unter www.vrn.de
Öffnungszeiten: bei Tageslicht
Eintrittspreise: zwei Euro pro Person am Drehkreuz
Internetseite des Fördervereins : www.kloster-arnsburg.de
Kontakt: Anfragen zu Führungen und Veranstaltungen bei der
Graf zu Solms-Laubach‘schen Rentkammer, Rufnummer 06405-9104-0,
rentkammer@schloss-laubach.de; Freundeskreis Kloster Arnsburg: Rufnummer
06404-806-239, freundeskreis@kloster-arnsburg.de
Literatur: Otto Gärtner: Kloster Arnsburg. kba
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