Konzert - Neil Young & Crazy Horse galoppieren in der gut gefüllten Hanns-Martin-Schleyer-Halle durch ihre Bandgeschichte

Wuchtige Fußstapfen des Rock-Giganten

Von 
Harald Fingerhut
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Neil Young groß in Form und gut bei Stimme.

© DPA

"Walk like a Giant on the Land" singt er. Getreu dem Songtext stapft der gebürtige Kanadier, wenn er nicht gerade mit Bassist Billy Talbot und Gitarrist Frank "Poncho" Sampedro einen innigen Kreis bildet, über die Bühne der Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer-Halle. Neil Young, ganz in schwarz gekleidet und mit Cowboyhut, setzt auch musikalisch wuchtige Fußstapfen ins weite Rund der gut gefüllten Halle. Wie immer, wenn er "Crazy Horse" sattelt, bricht er auf dem Rücken des "verrückten Pferdes" zu musikalischen Parforceritten durch die Bandgeschichte auf - ausufernd und manisch, kompromisslos und hart. Nur ein kleines akustisches Zwischenspiel gewährt Akteuren und Zuhörern eine kurze Atempause. Fast zweieinhalb Stunden nimmt er das am Ende restlos begeisterte Publikum mit auf eine Zeitreise, die bei "Buffalo Springfield" beginnt und bei der aktuellen CD "Psychedelic Pill" endet. Und Neil Young & Crazy Horse lassen keinen Zweifel: Sie sind ein roher Monolith in der Rocklandschaft.

Der Aufgalopp ist verwirrend, vor allem aus der Distanz: Techniker in weißen Kitteln streiten sich mit Bauarbeitern in orangefarbenen Leibchen über den Bühnenaufbau, bis schließlich die Kisten am Bühnenhintergrund hochgezogen werden. Der Blick auf überdimensionale Lautsprecherboxen wird freigeben - eine Reminiszenz an die "Live Rust"-Tour. Es folgt das Abspielen der deutschen Nationalhymne. Die Herren Musiker, in der Zwischenzeit auf die Bühne gekommen, verharren andächtig mit der rechten Hand auf dem Herzen. Was dieser pathetische Zinnober sollte, erschloss sich nicht so ganz. Schabernack oder bitterer Ernst? Was danach kommt schon.

Beim Opener "Love and only Love" vom überragenden "Ragged Glory"-Album aus dem Jahr 1990 zerfräst Neil Young mit seinen schneidenenden Gitarrenriffs jede falsche Gefühlsduselei und jeglichen patriotistischen Kitsch. Der Sound ist hammergut und hammerhart, laut, aber nicht zu laut. Selbst in den hinteren Reihen kommt er noch glasklar rüber. Youngs Stimme ist an diesem Abend hervorragend abgemischt und liegt immer über den Instrumenten. Perfekt. Mit dem zweiten Song "Powderfinger" wischt Young die letzten Zweifel beiseite, dass er patriotische Gefühlsduselei betreibt. Die fräsenden Soli weichen harmonischen Twin-Guitar-Soli, die ob des Dramas auf dem Fluss erfüllt sind von trauriger Melancholie. Zwei elektrische Elegien der Extraklasse.

Im weiteren Verlauf hält sich Neil Young zunächst an die Setlist der anderen Auftritte. Es folgen "Psychedelic Pill" und "Walk like a Giant". Letzteres mündet in ein minutenlanges Rückkopplungsgewitter, das Ohren und Gemüt auf eine harte Probe stellt, um dann in ein harmonieseliges "Hole in the Sky" einzusteigen.

Danach folgt, auch das hat schon Tradition bei Konzerten mit Neil Young & Crazy Horse, ein akustisches Zwischenspiel. Das Pferd in den Stall geschickt und schon geht's zur Lagerfeuerromantik mit Gitarre und Mundharmonika über.

Nach "Human Highway" serviert er "Heart of Gold" und die Halle steigt textsicher ein. Reduziert auf das Grundkorsett erzeugt der wohl größte Hit Youngs Gänsehaut pur. Danach tischt er "Blowin in the Wind" auf. Diesmal traditionell geklampft und gesungen, im Gegensatz zu der Weld Live Tour, als er und Crazy Horse angesichts des Irak-Kriegs eine Brachial-Version des Friedensmanifests in die Hallen zimmerten. Beide Versionen eindringlich und mahnend.

Danach nimmt das Quartett wieder Fahrt auf. Als letzten Song des regulären Sets greift Young ganz tief in die Schatztruhe und kramt Mr. Soul von "Buffalo Springfield" heraus. Vollkommen entstaubt, teilweise an "Satisfaction" erinnernd, feuert er den Klassiker in die Menge. Als Zugabe gibt es eine mitreißende, gut 15-minütige Version von "Like a Hurricane", bei der Young und seine Mitstreiter den Song in seine Einzelteile zerlegen, wieder zusammensetzen und die Leute letztendlich zufrieden in die laue Nacht entlassen.

Die Begegnung mit dem "Cinamon Girl" verweigert Young an diesem Abend in Stuttgart. Auch die Grunge-Ur-Hymne "Hey, hey, mey, mey" kommt nicht zum Zug. Bei der langen Liste an Ausnahmesongs, wahlweise wären hier noch angeführt "Cortez the Killer", "Helpless", "After the Goldrush", "Cowgirl in the Sand", oder "Down by the River", reichen selbst zweieinhalb Stunden nicht aus, um alle Wünsche zu befriedigen. Aber das trübt den grandiosen Gesamteindruck an diesem Abend mit tropischen Temperaturen in der Halle nicht. Deshalb bleibt nur zu sagen: "Keep on rockin in the free world".

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