Wenn ein beliebter Künstler wie "Der Graf" alias "Unheilig" von der Bühne abtritt und dies auch noch zwei Jahre vor seinem letzten Konzert ankündigt, dann schürt das Spekulationen: Noch einmal Kasse machen, und dann den Rücktritt vom Rücktritt erklären? Oder einfach eine ausgedehnte Abschiedstournee unternehmen? Wir haben uns vor seinem Konzert am 5. August auf der Rothenburger Eiswiese mit dem "Grafen" unterhalten.
Nach dem angekündigten Abschied im Oktober 2014 sind jetzt fast zwei Jahre vergangen, Sie sind immer noch auf Abschiedstournee. Die Scorpions machen eine solche nun schon seit sechs Jahren. Eifern Sie den Hardrockern - zumindest unbewusst - nach?
Der Graf: Definitiv nein! Allerdings ist es mir wichtig, dass ich mich von den Fans verabschieden kann. Ich weiß, dass mir viele Menschen nicht glauben, dass es keinen Rücktritt vom Rücktritt geben wird. Gerade weil viele andere Musiker Abschiedstouren oder Abschiedsalben machen und sich nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt, wann der Vorhang für sie fällt, festlegen. Ich habe mich allerdings auf einen bestimmten Zeitpunkt festgelegt. Das habe ich schon vor circa zwei Jahren. Es ist auch wichtig die Verantwortung für die Menschen zu übernehmen, die mich beruflich begleiten. Da kann man nicht einfach abtreten und plötzlich weg sein. Meine beruflichen Partner müssen auch die Möglichkeit bekommen, sich in Ruhe darauf vorzubereiten, dass der musikalische Weg von Unheilig zu Ende ist, ohne dass sie plötzlich auf der Straße stehen und arbeitslos sind. Diese Möglichkeit bekommen sie nun, da der Abschied zwei Jahre dauert. So kann sich jeder in Ruhe darauf vorbereiten, wenn am 10. September der Vorhang für Unheilig fällt.
Welche Gedanken kreisen in Ihrem Kopf während eines so langen Zeitraums zwischen der Entscheidung zum Aufhören bis heute?
Der Graf: Ich erinnere mich gerne zurück an alles. Surfe im Internet, schaue mir Videos an und habe ein gutes Gefühl dabei. Ich habe ein lachendes und ein weinendes Auge. Das weinende ist der Musiker, der natürlich stolz auf das Erreichte ist, und das lachende freut sich einfach nur auf die Familie.
Sie haben im Lauf Ihrer Karriere einen breiten Zuhörerkreis von Anhängern des Gothic-Rocks bis hin zu Schlagerfans erreicht. Wie gut kann man solch einen Spagat planen?
Der Graf: Ich habe immer Musik für alle Menschen gemacht. Für mich gab es dann nie einen Unterschied, so wie es den für andere gibt. Der Mensch ist mir wichtiger als von Menschen gemachte Konventionen. Planen, welche Menschen man letzten Endes mit der Musik erreicht, kann man nicht. Das ergibt sich von ganz alleine. Ich habe in meinen Liedern immer alles aufgeschrieben, was in mir vorgeht. Wen die Musik dann erreicht und wer sich darin wieder findet, geschieht von ganz alleine.
Welche Eindrücke in dieser "Abschiedsphase" sind die bisher stärksten?
Der Graf: Die Emotionen bei den Konzerten sind wunderschön. Es ist schöner, als ich es mir vorgestellt habe. Mein Wunsch war es ein letztes Mal gemeinsam mit den Fans, denen ich so viel zu verdanken habe, tolle Momente bei den Konzerten zu erleben. Ich bin sehr dankbar, dass sie mir diesen Wunsch auch noch erfüllen.
Sie führen an, dass Sie sich nach dem Ende von "Unheilig" mehr um die Familie kümmern wollen. Gibt es schon konkrete Pläne, wie dieser Aspekt umgesetzt wird?
Der Graf: Konkrete Pläne gibt es da nicht. Ich glaube es ist wichtig, nach dem 10. September erst einmal alles auf mich zukommen zu lassen. Ich habe die letzten Jahre sehr viel Zeit ohne meine Familie verbringen müssen. Ich denke, das Leben wird natürlich anders sein. Allerdings freue ich mich darauf. Im Grunde wünsche ich mir ein ganz normales Leben.
Als Künstler und Musiker hört man eigentlich nie im eigentlichen Sinne auf. Welche Pläne schmieden Sie bereits für die Zukunft? Oder stehen zumindest künstlerische Wünsche an, die Sie bislang mit Unheilig nicht umsetzen konnten?
Der Graf: Ich weiß, dass viele Musiker es lieben, immer wieder auf der Bühne zu stehen, über rote Teppiche zu laufen, Interviews zu geben oder sich im Fernsehen zu sehen. Das habe ich alles erlebt und ich habe gespürt, dass ich mir im Grunde nur ein ganz normales Leben wünsche.
Die Songs auf Ihrem letzten Studioalbum "Gipfelstürmer" bezeichneten Sie als die besten, die Sie je geschrieben haben. Einige Kritiker warfen Ihnen aber vor, eine bei "Große Freiheit" gefundene erfolgreiche Formel einfach zum wiederholten Male angewandt zu haben. Haben Sie aber letztlich nicht einfach Ihren Sound gefunden?
Der Graf: Ich plane meine Musik nie. Ich mache einfach das, was mein Herz mir sagt. Es gibt auch keine Formeln für das perfekte Lied oder das perfekte Album oder die perfekte Produktion. Das ist alles einfach Geschmacksache. Darüber habe ich mir nie viele Gedanken gemacht. Wichtig war mir immer, dass die Lieder und alles was dazugehört, authentisch sind. Aus Zwang oder Zeitgeist seine Musik zu verdrehen oder zu verändern kam für mich nie infrage. Die Unheilig-Lieder sind einfach wie sie sind.
Ihre Lieder werden auf Hochzeiten ebenso wie auf Beerdigungen gesungen. Was bedeutet Ihnen dieser Fokus auf Ihre Lieder im kirchlichen Rahmen?
Der Graf: Ich sehe es als ein großes Geschenk an, wenn Menschen sich in meinen Liedern wieder finden. Entweder aus Trost oder aus Freude für ein bestimmtes Ereignis. Musik ist für mich auch wie ein Anker der Erinnerung an bestimmte Augenblicke. Somit finde ich es toll, wenn es viele Menschen gibt, bei denen das ebenso ist.
Sie waren und sind auch oft für caritative Zwecke im Einsatz, besuchten Kinder-Hospize und setzten sich als Spendensammler ein. Ist dieses Engagement für einen Künstler Ihrer Meinung nach eine Art "Ehrensache"?
Der Graf: Mir war es wichtig, mich für caritative Zwecke einzusetzen. Ebenso besondere Wünsche für schwer kranke Kinder zu erfüllen. Jeder Künstler oder Mensch, der in der Öffentlichkeit steht, soll für sich entscheiden, ob er sich sozial engagieren will oder nicht. Das von vornherein bei Künstlern oder Menschen in der Öffentlichkeit vorauszusetzen, dass sie so etwas tun sollen, halte ich für falsch. Wichtiger ist, dass sich jeder Mensch die Frage stellt, ob es für ihn wichtig ist sich für andere Menschen einzusetzen oder nicht.
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